cultural-fit

Die Autorin Jana Schilling arbeitet seit 2012 bei der Personalagentur I-potentials und verantwortet in der Unit Digital Executives den Bereich Digital Marketing & Media Sales für E-Commerce- und Medienunternehmen.

Nicht nur Fachkenntnisse zählen bei der Mitarbeitersuche

Es gibt sicher weit über 1.000 gute und weniger gute Fachbücher mit Tipps  und Tricks, wie man Kandidaten in einem Vorstellungsgespräch am besten befragen und bewerten kann. Dabei wird das Hauptaugenmerk oft auf die fachlichen Skills, sowie generelle Eigenschaften wie Problemlösefähigkeit, Analytik und Kritikfähigkeit gelegt.

Neben diesen wichtigen Faktoren unterscheidet sich ein guter von einem exzellenten Kandidaten aber vor allem durch die kulturelle Ähnlichkeit zum Unternehmen, den sogenannten „Cultural Fit“. Dieser kann nicht losgelöst vom Unternehmenskonstrukt betrachtet werden und hat vor allem mit sozialen Kompetenzen und Wertevorstellungen zu tun. In der Prüfung dieser Komponente wird oft nicht auf gezieltes Fragenstellen gesetzt, sondern auf das eigene Bauchgefühl. Und das geht längst nicht immer gut.

Gesucht: Traumkandidat – ein Fallbeispiel

Um dies zu verdeutlichen, stelle man sich folgende (fiktive) Situation vor: Ein junges Startup ist auf der Suche nach einem neuen Chief Marketing Officer und hat einen fachlich sehr guten Kandidaten interviewt; Performance-Marketing-Profi, ausgeprägtes Business-Verständnis, Macher-Mentalität, starke analytische Fähigkeiten und Führungserfahrung.

Er wird eingestellt, aber schnell merkt man, dass die Zusammenarbeit mit den Kollegen nicht funktioniert, da er alle Dinge allein umsetzt und sich nicht ins Team integriert. Darunter leidet auch die generelle Stimmung und nach wenigen Monaten wird der gerade eingestellte vermeintliche Leistungsträger entlassen. Man fragt sich: Was ist hier passiert?

Fehlende Übereinstimmung der Werte als Kündigungsgrund

Obwohl der Kandidat auf dem Papier quasi perfekt war, passte er nicht zu den Unternehmenswerten des Startups. Grund hierfür können zum Beispiel unterschiedliche Vorstellungen in Bezug auf die Arbeitsweise oder auseinandergehende Überzeugungen über das Verhalten gegenüber Kollegen und Kunden sein. Da bei einem Werteunterschied auch Entscheidungen maßgeblich anders ausfallen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass dem neuen Mitarbeiter der Entscheidungsspielraum übertragen wird, den er erwartet hat, weil das Vertrauen fehlt.

Je nach Unternehmenskultur kann es dann schnell zu unüberbrückbaren Differenzen kommen, die die bestehende Dynamik im Team stören und das Zusammenarbeiten im schlimmsten Fall unmöglich machen. Das heißt aber, wie das Beispiel zeigt, nicht unbedingt, dass der Kandidat kein A-Player ist, oder das Unternehmen kein attraktiver Arbeitgeber. Sondern vielleicht einfach, dass die beiden nicht zusammenpassen.

Wie stellt man also sicher, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf der Werteebene harmonieren? Folgende Punkte können dabei helfen, den Cultural Fit im Auswahlprozess bewusst zu berücksichtigen.

Die Außensicht auf die eigene Unternehmenskultur

Um herauszufinden welcher Bewerber kulturell zum eigenen Unternehmen passt, sollte man sich im ersten Schritt mit der eigenen Kultur auseinandersetzen. Zu inflationär werden oft Begriffe wie flache Hierarchien, eine offene Kultur und flexible Arbeitsmodelle verwendet. Diese Aspekte durch den Kicker oder unbegrenzten Club-Mate-Vorrat in den Vordergrund zu rücken, ist längst kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Hier gilt es abseits von Floskeln tiefer in die eigene Organisationskultur zu schauen: Was ist uns wirklich wichtig und was möchten wir nach außen darstellen? Das Ergebnis sollte bei jedem Unternehmen anders aussehen. Authentizität ist hier das A und O.

Was eine Unternehmenskultur genau auszeichnet, hängt nicht zuletzt von dem bestehenden Team ab. Wenn die Kultur noch nicht klar definiert ist, kann ein erster sinnvoller Schritt ein Workshop mit den bestehenden Mitarbeitern sein. Das schafft Einheitlichkeit in Bezug auf die Vision und fördert gleichzeitig die Motivation und den Zusammenhalt des bestehenden Teams.

Übertragung der eigenen Werte auf den Interviewprozess

Ist der erste Schritt getan, kann man sich dem Kandidaten zuwenden. Wie finden wir heraus, dass die Werte und Einstellungen unseres Gegenübers am Interviewtisch den unseren entsprechen? Leicht ist es für einen Bewerber zu sagen, dass er flache Hierarchien und Gestaltungsfreiraum in seiner täglichen Arbeit schätzt. Soweit so gut, aber wer sagt das heutzutage nicht? Interessanter wird es, konkrete Fragen zur eigenen Unternehmenskultur zu entwickeln und zu stellen.

Wenn viel in Teams gearbeitet wird, ist es wichtig zu erfahren, ob der Bewerber Aufgaben abgeben kann und will, oder lieber alle Fäden selbst in der Hand hält. Möchte er mit seiner Arbeit lieber allein gelassen werden (und schätzt er wirklich Freiheit), oder braucht er am Ende doch jemanden, der ihm den Weg weist?

Wenn zum Beispiel jemand darin aufgeht, Dinge gut im Voraus zu planen und mit Liebe zum Detail umzusetzen, weil ihm Perfektion wichtig ist, wird er in einem Unternehmen, das Dinge auch mal „über den Zaun bricht“ wahrscheinlich nicht glücklich. Wenn Kritik nur in der Sandwich-Technik akzeptiert wird, der Chef aber ein Freund davon ist, Dinge geradeheraus zu sagen, werden beide Seiten Schwierigkeiten haben, effektiv zu kommunizieren. Jeder Mensch hat andere Präferenzen und die müssen passen.

Gezieltes Fragestellen und Ausprobieren von neuen Methoden

Durch gezieltes Fragen nach Präferenzen im Arbeitsalltag kann man eine Menge über den Kandidaten lernen. Was hebelt Dich, was hemmt Dich? Wenn Du zwischen Situation x und y auswählen könntest, wo läge Deine Präferenz? Wirklich strukturiert wird es, wenn man basierend auf den Unternehmenswerten einen konkreten Fragenkatalog entwirft, der diese widerspiegelt. Je nach Unternehmen mag das aber schon zu viel Struktur sein.

Aussagekräftig wird es, wenn man seine Kandidaten in untypische Bewerbungssituationen beziehungsweise Alltagssituationen mit sozialem Bezug bringt. Ein Barbesuch oder Essen am Ende des Tages kann viel über einen Bewerber und die Fähigkeit sozialer Interaktion aussagen. Wenn dafür keine Zeit eingeräumt werden kann, sollte man sich immer fragen, ob man bereit wäre, mit dem Bewerber auch seine Freizeit zu verbringen. Beantwortet man diese Frage mit „nein“, könnte dies ein Indiz dafür sein, dass es auf der Werteebene nicht harmoniert und sollte näher hinterfragt werden.

Hinzukommt, dass es mit der Einstellung längst nicht getan ist. Jemanden zu finden, der von der Mentalität ins Team passt und ähnlich „tickt“, ist ganz nebenbei auch die beste Voraussetzung dafür, dass die Person sich langfristig im Unternehmen wohlfühlt und mitwächst und damit wichtige Grundlage im Retention Management.

Fazit: Konsequent sein in der Einstellung von Mitarbeitern, die passen

Auch wenn man beim fachlichen Fit das Gefühl hat, ein Bewerber passt perfekt, lohnt es sich auch die „weichen“ Kriterien zu prüfen: Man sollte vermeiden jemanden einzustellen, der von den Werten und Vorstellungen des Miteinanders nicht zur eigenen Kultur passt. Zwar erscheint diese Entscheidung auf den ersten Blick nicht rational, da ein Kandidat ein bestimmtes, in der Regel akutes (Recruiting-)Bedürfnis decken kann, jedoch ist dieser Effekt nur kurzfristig.

Langfristig ist die Entscheidung für kulturell nicht passende Mitarbeiter für das Unternehmen sehr viel teurer und letztlich vor allem auch nicht im Sinne des Bewerbers, dem es darum geht, einen Arbeitgeber zu finden, bei dem er sich wohlfühlt. Schließlich kann eine Fehlentscheidung nicht nur Auswirkungen auf die Ergebnisse und gesamte Stimmung des Teams haben, sondern die Mitarbeiter im Zweifelsfall sogar auseinandertreiben.

Anstatt das Wir-Gefühl zu stärken, ruft solch ein „Culture Clash“ Demotivation und Unzufriedenheit bei allen Beteiligten hervor. Und zufriedene und motivierte Mitarbeiter sind einer der zentralsten Erfolgsfaktoren starker Unternehmen.

Bild: Rebell / PantherMedia