Die Angriffe der Zukunft, da ist man sich im Verteidigungsministerium sicher, werden höchstwahrscheinlich nicht über Land, aus der Luft oder übers Wasser kommen. Die neue Bedrohung lauert im Digitalen, jener Sphäre, die im Bundeswehr-Sprech Cyber-Raum heißt. „Deutschlands Freiheit“, heißt es auf großformatigen Anzeigen der Bundeswehr, „wird auch im Cyber-Raum verteidigt“.

Das Ministerium von Ressortchefin Ursula von der Leyen (CDU) richtet sich so langsam auf die neue Bedrohungslage ein. Seit Anfang April steht etwa eine eigene Teilstreitkraft mit dem Namen „Cyber- und Informationsraum“, sie soll 2021 voll einsatzfähig sein und dann 15.000 Mann stark sein. Zum Start umfasst das Kommando gerade mal 260 Leute (aber immerhin gibt es schon ein eigenes Abzeichen mit Blitz und Weltkugel sowie eine eigens komponierten Cyber-Marsch).

Daneben soll eine Cyber-Reserve gebildet werden, an der Bundeswehr-Uni in München entsteht ein neuer Cyber-Forschungsbereich mit elf Professuren, der IT-Direktor der Truppe heißt jetzt Chief Information Officer.

Auf Tuchfühlung mit der Startupszene

Und es soll eine Einheit entstehen, mit der Ministerium und Bundeswehr sogar auf Tuchfühlung mit der Startupszene gehen wollen. Cyber Innovation Hub heißt die Abteilung, die sich gerade noch im Aufbau befindet und in ein paar Monaten irgendetwas zwischen Innovationsagentur, Tech-Beschaffungszentrum und Rekrutierungsmaßnahme für die in der Truppe so dringend benötigten Nerds wird.

„Wir wollen die Innovationen des Startup-Ökosystems der Bundeswehr zugänglich machen“, so fasst Marcel Yon die Mission des Hubs gegenüber Gründerszene zusammen. „Das können Technologien und Produkte sein, aber auch eine agile Arbeitsweise, Kultur und Talente.“ Heißt: das Bunte, Schnelle, Kreative, was die Startupszene eben so ausmacht – und was der Bundeswehr weitgehend abgeht.

Dass die beiden Welten dennoch irgendwie zusammenfinden können, soll Yon beweisen – auch mit seiner Biografie. Yon ist Seriengründer, seit 1999 in der Szene aktiv – aber auch Fregattenkapitän der Reserve. Zusammen mit Weblin– und Veeseo-Gründer Jan Andresen sowie dem Ex-Google-Manager und Hubschrauberpiloten Nicolas Heyer war Yon für die Vorbereitungsarbeit für den Hub verantwortlich.

Dafür wurden vor allem militärische Innovationsagenturen anderer Nato-Länder studiert – vor allem in den USA. Die dortige Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa) ist mit ihrem Jahresbudget von drei Milliarden US-Dollar legendär. Und unerreichbar. Dem Cyber Innovation Hub stehen fürs erste gerade mal 12,6 Millionen Euro Budget zur Verfügung, weitere 15 Millionen für Projekte. Das soll für drei Jahre reichen. Allerdings finanziert die Darpa auch weitreichende Grundlagenforschung, da kann es auch mal 20 Jahre dauern, bis eine Technologie zum Einsatz kommt. „Wir sind kurzfristiger orientiert“, erklärt Yon.

Die Idee für eine Agentur, „die als Schnittstelle zu Innovationsakteuren fungiert“, wurde zum ersten Mal im sicherheitspolitischen Weißbuch skizziert, mit dem Ministerin von der Leyen ihre langfristige Strategie für die Bundeswehr im vergangenen Jahr darlegte. In dem Weißbuch heißt es auch, eine solche Agentur könnte „Mittel zur Beteiligung an Studien oder Startups in Schlüsseltechnologien“ steuern. Venture-Capital-Investments soll der Hub allerdings nicht tätigen. Dafür soll er hinterfragen, „wie wir neue Technologien finden“, sagt Yon. Es gebe gute Erfahrungen mit „wettbewerbsorientierteren, offenen Ansätzen“. In den USA hat die Darpa in der Vergangenheit Preisgelder ausgeschrieben für die Entwicklung von autonomen Fahrzeugen oder Robotern.

Im Moment hat der Hub noch nicht einmal eigene Räume. Im Sommer sollen sie bezogen werden, nicht im Ministerium, sondern in einem Altbau in Berlin-Moabit. Bis Ende 2018 soll der Hub 30 Mitarbeiter umfassen, im Moment sind es erst zehn. Unternehmer und Wissenschaftler sollen mit einem Entrepreneur- bzw. Scientist-in-Residence-Programm angelockt werden. Sie sollen für einen Zeitraum von sechs Monaten bis zwei Jahren an Bord kommen. Das Angebot richte sich „auch an Social Entrepreneurs und nicht nur Techies“, so Yon. Damit meint der Hub-Aufbauhelfer auch Leute, die „etwas für Deutschland bewegen“ wollen. Er wirb: „Bei uns kannst Du Deinem Land dienen in einem Job, der technologisch anspruchsvoll und auf der Höhe der Zeit ist.“

„Klar wird es auch Berührungsängste geben“

Die Frage ist, ob das verfangen kann. Denn Hackern und Nerds ist in Deutschland eher eine staatsferne Haltung zu eigen, um es mal vorsichtig zu formulieren. Und ob ein Gründer wegen des Aufruf, Deutschland zu dienen, das lockere Startup-Leben über Bord wirft und sich der Neuausrichtung des Rüstungswesens in der Bundeswehr verschreibt? Schwer vorstellbar.

„Klar wird es auch Berührungsängste geben“, sagt Yon dazu. Er gibt sich aber überzeugt, dass die Aufgabe reizvoll sei: „Wir sind ein internationales Logistikunternehmen, Krankenhausbetreiber und einer der größten Bildungsanbieter. Die Bundeswehr ist ein Ökosystem, in dem die gesamte Komplexität und Diversität des realen Lebens abgebildet wird.“ Und: Dass es beim Aufeinandertreffen von Startup-Mindset mit großen, hierarchischen Komplexen zu einem Kultur-Clash kommt, sei ganz normal. „Diese Erfahrung habe ich aber auch schon früher als B2B-Unternehmer gemacht, bei dem Versuch, innovative Produkte in einen Konzern einzuführen“, erzählt Yon. „Es ist nun mal Teil des Jobs: Auch Kunden sehen nicht immer, was sinnvoll für sie ist, weil sie die Fragestellung aus ihrer gewohnten Perspektive betrachten.“

Die Bundeswehr ist nicht nur eine brutal hierarchisch durchorganisierte Organisation – auch die Art und Weise, wie Projekte angegangen werden und Prozesse modelliert werden, orientiere sich „oft am traditionellen, sequentiellen Vorgehen, wie wir es aus der Ausbildung unserer Ingenieure kennen“, so Yon. Er kann sich vorstellen, dass die Truppe von Ansätzen wie Lean Startup, Open Innovation oder Design Thinking profitieren kann. Ihnen gemeinsam ist, Nutzer früh in die Entwicklung einzubeziehen und nicht lange zu planen, sondern Fehler zu erlauben und schnell daraus zu lernen.

Natürlich ist der potenzielle Anwendungsbereich solcher Ansätze begrenzt. Am Ende ist die Bundeswehr eben kein Konzern, dessen Aufgaben sich in Produktentwicklung, Strategie, Marketing und Verkauf mehr oder weniger erschöpfen. Sondern eine militärische Organisation, die im Zweifelsfall zum Kampfeinsatz bereit sein muss – und hier hat sich das hierarchische Führungsmodell bewährt.

Trotzdem hat Yon noch einen Bereich entdeckt, in denen es mögliche Gemeinsamkeiten gebe. Ein Teil des Startup-Erfolgrezepts habe „mit dem Umgang mit Risiken“ zu tun, so Yon. „Von der Startup-Welt können wir etwas über Entscheidungen unter Unsicherheit und sich ständig verändernden Umgebungen lernen.“

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