War einer der ersten 40 Angestellten bei Airbnb: Der Gießener Daniel Pourasghar.

23 Jahre alt war Daniel Pourasghar, als er die Diagnose bekam: bipolare Störung. „Ich konnte es gar nicht glauben“, sagt er heute, zehn Jahre später. In dem kleinen Café in San Francisco hält Pourasghar sich an seinem Getränk fest und lächelt zurückhaltend. „Eigentlich sollte es doch gerade so richtig losgehen nach der Uni. Stattdessen wurde mir gesagt, dass ich damit jetzt mein Leben lang zu tun haben werde.“

Pourasghar lernte nicht nur, mit der Störung umzugehen und ein stabiles Leben zu führen. Mittlerweile hat er ein Unternehmen gegründet, das Menschen mit psychischen Störungen helfen soll: Campfire. Damit bietet er Selbsthilfegruppen online an. Denn was dem Gießener auf seinem Weg trotz aller Fortschritte immer schwerfiel, war, über seine Diagnose zu sprechen. „Ich habe mich geschämt und vor der Reaktion meiner Freunde und Kollegen gefürchtet“, sagt der 33-Jährige. „Das hat dazu geführt, dass ich mich oft allein gefühlt habe.“

Dann reiste Pourasghar vor anderthalb Jahren nach Chile – und es wurde stressig. „Ich hatte mehrere Nächte lang sehr schlecht geschlafen. Für Menschen mit bipolarer Störung ist das ein Warnsignal“, erzählt er. Mit klopfendem Herzen öffnete er sich seinen Mitreisenden. „Ich hatte Angst vor Ablehnung. Aber das Gegenteil ist passiert: Sie haben mich unterstützt und eine Person hat sogar von ihren eigenen Problemen mit Depressionen erzählt.“ Gemeinsam haben die Reisenden im nächsten Ort mit gebrochenem Spanisch Schlaftabletten in einer Apotheke gekauft – und Pourasghar konnte endlich durchschlafen.

Der Wendepunkt: Pourasghar kündigte 

Für den Deutschen, der damals als einer der ersten 40 Mitarbeiter seit fünf Jahren für Airbnb arbeitete, war das der Wendepunkt. „Ich wollte ein Auffangnetz, ein System zur Unterstützung für andere schaffen.“ Er kündigte seinen Job.

Was genau Pourasghar aufbauen wollte, fand er beim Mittagessen mit Freunden heraus. Dabei lernte er seinen Mitgründer Benjamin Stingle kennen, der zuvor bei Investoren wie Battery Ventures und DFJ gearbeitet hatte. Während des Studiums in Harvard hatte Stingle als studentischer Ansprechpartner Nachtdienste geleistet, bei denen Studenten mit Problemen Hilfe und das Gespräch suchen konnten. In der gemeinsamen Diskussion entstand dann die Idee, Menschen für Selbsthilfegruppen online zusammenbringen. Der Anfang von Campfire.

Das Konzept: Fünf bis zehn Menschen mit einem ähnlichen Problem finden sich in einer gemeinsamen Gruppe wieder. Besprochen werden zum Beispiel Depressionen, Essstörungen, das Coming-out oder der Umgang mit Trauer. Einmal pro Woche tauschen sich die Teilnehmer per Videochat aus. Für schnelle Unterstützung gibt es außerdem eine Messaging-App, in der sich die Mitglieder an ihre Gruppe wenden können.

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„Wir wollen keine Therapeuten ersetzen“, erklärt Pourasghar. „Aber wir möchten ein leicht zugängliches Angebot schaffen, mit dem Menschen beginnen können, über ihre Schwierigkeiten zu sprechen.“ Von den Erfahrungen anderer, so glaubt der Gründer, könnte man viel lernen: Für ihn selbst wäre es zum Zeitpunkt seiner Diagnose sehr hilfreich gewesen, sich mit jemandem auszutauschen, der in seiner Behandlung schon weiter gewesen wäre als er selbst. „Schon allein, um zu sehen, dass man es schaffen kann.“

Außerdem könne mit dem Angebot wichtige Zeit überbrückt werden: „Oft müssen Patienten monatelang auf ihren Therapieplatz warten.“ Entfernungen werden ebenfalls unwichtiger – gerade in einem Land, das so groß wie die USA ist, ist das relevant. „In einer unserer Gruppen haben wir beispielsweise eine alleinerziehende Mutter, die zwei Stunden bis zur nächsten Stadt fahren müsste, um andere Therapieteilnehmer zu treffen. Das ist für sie gar nicht möglich.“

Viele Menschen mit psychischer Störung werden nicht behandelt

Im Moment ist das Startup noch in einer recht frühen Phase. Laut Webseite testen die Gründer in bisher 13 Gruppen, wie das Zusammenspiel funktioniert und sie die Erfahrung noch wertvoller für die Mitglieder gestalten können. Konkretes verrät Pourasghar da noch nicht. Ein Problem aber, das er angehen möchte, ist Einsamkeit. „Sehr viele Menschen fühlen sich einsam – und das Gefühl ist schädlich für uns. Wenn Menschen einen Schicksalsschlag erleben, wissen sie oft nicht, mit wem sie darüber sprechen können.“ Gerade dann sei es wichtig, sich auf enge Beziehungen zu anderen verlassen zu können. „Mit Campfire schaffen wir neue soziale Netze zu Themen, die auf Facebook in der Regel nicht angesprochen werden.“

Die potenzielle Nutzergruppe für Campfire in den USA ist groß. Laut dem National Institute for Mental Health lebte im Jahr 2016 einer von sechs Erwachsenen mit einer mentalen Störung. Das sind 44,7 Millionen Menschen oder 18,3 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung. Nur 43 Prozent von ihnen haben allerdings in den vorangegangenen zwölf Monaten eine Behandlung erhalten.

„Unser Ziel ist es, so vielen Menschen wie möglich zu helfen“, sagt Pourasghar. Die Kosten für die Nutzer wolle er daher niedrig halten. Sie könnten Campfire zunächst gratis testen und zahlten dann üblicherweise 20 US-Dollar monatlich. Je nach Struktur der Gruppe und dem Moderator experimentiere man aktuell noch mit verschiedenen Preisen.

Die Moderatoren sind Gruppenmitglieder, die Campfire geschult hat. Sie sollen darauf achten, dass alle Richtlinien wie zum Beispiel zur Vertraulichkeit eingehalten werden. Wer sich nicht an die Regeln hält, wird aus der Gruppe entfernt. Die kostenpflichtige Teilnahme ist für den Gründer auch ein Weg zur Kontrolle: Wer sich anmeldet und zahlt, meint es ernst, hofft er. Missbrauch soll so vermieden werden.

Finanziell unterstützt wird Campfire bisher von einer Handvoll Business Angels: dem Managing Partner von Precursor Ventures Charles Hudson, dem ersten Mitarbeiter von Airbnb Nick Grandy, dem VP Engineering von LinkedIn, Erran Berger, und den beiden Locu-Gründern Rene Reinsberg und Marek Olszewski.

„Dass Investoren trotz meiner Offenheit über die bipolare Störung in mein Startup investieren, zeigt mir, dass sich schon einiges getan hat“, sagt Pourasghar. Er hofft aber, noch mehr Menschen dazu zu bringen, offen mit Fragen zur mentalen Gesundheit umzugehen. Und mehr Gründer zu motivieren, sich mit dem Bereich zu beschäftigen. „Uns wird leider zu oft beigebracht, dass Verwundbarkeit eine Schwäche ist.“

Bild: Daniel Pourasghar