Lieber Jan Böhmermann,

wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet. Wir, das sind die Zuschauer der Talkshow von Günther Jauch, die Redaktion der Sendung, die Medien insgesamt und überhaupt alle Nutzer von Medien.

Sie haben in ihrer Sendung behauptet, das Video mit dem ausgestreckten Mittelfinger des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, das in Jauchs Sendung gezeigt wurde, sei eine von Ihnen hergestellte Fälschung. In einem Making-of-Video führen Sie vor, wie ein Techniker am Computer die Videobilder manipuliert. Varoufakis winkt, gestikuliert, rudert mit den Armen, ganz wie gewünscht – die Bearbeitungssoftware macht alles möglich. Ein paar Knopfdrücke genügen. Das wirkt alles unglaublich echt und ist sehr eindrucksvoll. Uns ist noch mal deutlich vor Augen geführt worden, wie einfach man heute jedes Foto, jedes Video herstellen oder manipulieren kann.

Uns ist außerdem noch einmal klar geworden, dass es sich im Netz wahrscheinlich für jede noch so absurde Theorie etwas finden lässt, das auf den ersten Blick wie ein Beweis aussieht. Wenn nicht, kann man sich diese „Belege“ offenbar blitzschnell selbst zusammenklicken.

Was ist echt, was ist Fälschung? Es wird immer unübersichtlicher. Nichts ist so, wie es scheint, lernen wir von Böhmermann. Für die Medien liegt hier eine große Chance. Ihre Aufgabe ist es, noch viel intensiver und professioneller zu prüfen, ob eine Geschichte, ein Bild oder ein Video tatsächlich echt und geeignet ist, die Wahrheit zu transportieren. Verlässlichkeit der Berichterstattung kann die Zukunftsversicherung für Qualitätsmedien sein.

Im Fall Jauch ist das leider komplett schief gegangen. Die Redaktion der Talkshow ist allerdings nicht auf ein gefälschtes Video hereingefallen, wie uns Böhmermann zunächst glauben machen wollte. Sie hat einen viel schlimmeren journalistischen Fehler begangen. Sie hat das Mittelfinger-Video von Varoufakis in einen falschen Kontext gestellt, um ihre Message bis zu Verdrehung der Wahrheit zu vereinfachen und zu emotionalisieren: Varoufakis zeigt den Deutschen, die sich mit viel Geld für Griechenland eingesetzt haben, den Mittelfinger. Diese Botschaft versteht man auch noch nach drei Bierchen und dem Tatort am Sonntagabend. Nur leider hat Varoufakis die Geste in einem ganz anderen Zusammenhang verwendet. Man kann den griechischen Finanzminister kritisieren. Doch nicht für diese Geste – denn Varoufakis hat den Deutschen in diesem Video nicht den Mittelfinger gezeigt. Das erkennt man, wenn man sich seine Rede noch einmal ansieht (entscheidender Satz ab Minute 1:50).

Danke für diese Lektion, Jan Böhmermann. Zuschauer sollten nicht alles glauben, Medien sollten gar nichts glauben, bevor sie es nicht selbst recherchiert und geprüft haben. Wir haben verstanden und werden uns in Zukunft noch mehr bemühen, diesen Weg zu gehen. Oder wie Böhmermann am Ende seines Videos sagt:

„Liebe Redaktion von Günther Jauch. Yanis Varoufakis hat unrecht. Ihr habt das Video nicht gefälscht. Ihr habt einfach das Video nur aus dem Zusammenhang gerissen und einen griechischen Politiker am Stinkefinger durchs Studio gezogen. Damit sich Mutti und Vati abends nach dem Tatort noch mal schön aufregen können: ‚Der Ausländer! Raus aus Europa mit dem! Er ist arm und nimmt uns Deutschen das Geld weg. Das gibt’s ja wohl gar nicht. Wir sind hier die Chefs! So!‘ Das habt ihr gemacht. Und der Rest ist von uns.“

Bild: Screenshot