Deutschland ertrinkt in einer Paketflut: Bekam im Jahr 2010 jeder Haushalt im Durchschnitt 23 Pakete nach Hause zugestellt, waren es 2016 schon 38 Paketsendungen. Das bedeutet: Jeden Tag werden in Deutschland zehn Millionen Paketkartons umhergefahren und ausgeliefert, im Jahr über drei Milliarden. Für 2017 erwartet der Bundesverband Paket & Expresslogistik (BIEK) eine Steigerung auf 41 Paketablieferungen an die Haustür.

Kein anderes Geschäft in der Logistik wächst so stark wie die Paketzustellung. Das wiederum stellt die Kurier- und Paketdienste vor Herausforderungen, wie sie bei verstopften Straßen und Fahrverboten in den Innenstädten ihre Lieferungen in Zukunft überhaupt noch an ihr Ziel bringen können. Eine Idee betrifft die Paketshops: Sogenannte weiße Shops könnten entstehen, in denen nicht mehr nur Sendungen eines bestimmten Paketdienstes abgeholt werden können, sondern auch Lieferungen der Konkurrenten. Bislang arbeiten die Marktriesen DHL, Hermes, DPD, GLS und UPS strikt getrennt. „Es wird Lösungen geben müssen, die auch die Übergabestationen in den Paketläden betreffen“, sagte Klaus Esser, der Autor der aktuellen Marktstudie des BIEK.

Ein Ziel der Paketdienste besteht darin, die Zahl der Ablieferungen an den Haustüren zu verringern und mehr Pakete gebündelt etwa in den Shops abzugeben. Die „Eigen-Logistik der Kunden“, also das eigene Abholen, soll einen größeren Anteil einnehmen. Auch Mikrodepots in den Innenstädten sollen helfen, den Stadtverkehr zu entlasten. In diese Container oder Läden werden bis zu 2.000 Pakete geliefert, die dann per Fahrradkurier zu den Bestellern gebracht oder abgeholt werden. „Die Notwendigkeit ist vorhanden, dass wir einiges ändern müssen“, sagte der Wissenschaftler Esser.

Der Druck kommt auch vom wachsenden Online-Handel und dort von neuen Geschäftsfeldern. So erwartet die Branche der Paketdienste, dass der Anteil der Bestellungen von Gütern des täglichen Bedarfs – das sind Lebensmittel bis hin zu Verbrauchsgütern wie Toilettenpapier – in den kommenden Jahren um zweistellige Prozentzahlen zunehmen wird. Für das Jahr 2030 rechnet die Studie eine Zahl von einer Milliarde Auslieferungen aus diesem Geschäft hoch. Intelligente Lieferkonzepte zum Beispiel mit einer Bündelung von Bestellungen bei verschiedenen Lieferanten gibt es bislang jedoch noch nicht. Ob es Lebensmittelhändler, Kurierdienste oder andere Logistikfirmen sind: Jeder betreibt derzeit sein eigenes Modell und sorgt für Verkehr in den Straßen vor allem in den Abendstunden. Unter diesen Anbietern verdienen die wenigsten Geld, denn der Lebensmittel-Onlinehandel ist derzeit meist noch ein Zuschussgeschäft.

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Umsatzzuwachs von sechs Prozent für die Branche

Die Zahlen sind beeindruckend: Der Markt für Kurier-, Express- und Paketsendungen ist vergangenes Jahr in Deutschland um gut sieben Prozent auf rund 3,2 Milliarden Sendungen gewachsen, das entspricht fast einer Verdoppelung gegenüber dem Jahr 2000.

Der Umsatz der Branche stieg 2016 um sechs Prozent auf 18,5 Milliarden Euro. Für die kommenden Jahre rechnet der Verband mit ähnlichen Wachstumszahlen. Das bedeutet, dass spätestens 2021 gut vier Milliarden Pakete durch das Land verschickt werden. Hinter all dem stehen rund 220.000 direkt und 231.000 indirekt Beschäftigte bei den Paketdiensten und ihren Subunternehmern.

Doch eben diese Paketfahrer geraten zunehmend in Bedrängnis, wenn wegen der Schadstoffbelastung die Innenstädte für ihre Dieselfahrzeuge gesperrt werden. Längst nicht alle Firmen stellen ihre Fahrzeugflotten bereits auf alternative Antriebsarten um. Der Lobbyverband macht dafür auch die Politik verantwortlich. „Wir sind gerne die Pioniere bei der E-Mobilität, wenn die Bundesregierung dies auch fördert und ermöglicht“, sagte Florian Gerster. Der frühere SPD-Politiker arbeitet heute als Vorsitzender des BIEK. Sein Verband verlangt zum Beispiel den Aufbau einer flächendeckenden Infrastruktur aus Stromladestationen.

Doch auch direkte Zuschüsse werden genannt: „Der Staat sollte die Aufschläge bezahlen, die für den Wechsel von einem Dieselfahrzeug hin zu einem Elektrowagen notwendig sind“, sagte Cheflobbyist Gerster. Die den Firmen entstehenden Mehrkosten sollten durch Zuschüsse ausgeglichen werden. „Die nächste Bundesregierung wird sich mit dem Thema mehr befassen, als es die alte getan hat“, sagte Gerster. Auch beim autonomen und vernetzten Fahren sieht der Verband die Paketdienste als „prädestinierte Pioniere“. Angeblich gibt es darüber Verhandlungen mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Der BIEK vertritt alle großen Paketdienste außer der Deutschen Post mit ihrer Tochterfirma DHL.

Grenzüberschreitender Online-Handel wächst vehement

Dieser Trend macht deutlich, warum die Probleme mit den Paketlastern im Straßenverkehr noch gewaltig zunehmen werden: Paketsendungen an Privatkunden stiegen vergangenes Jahr um 13 Prozent, Ablieferungen an Geschäftskunden dagegen nur um knapp ein Prozent. Für private Pakete muss der Paketbote jedoch eventuell mehrmals an die Haustür kommen oder zusätzliche Strecken zum Paketshop fahren, um sie abliefern zu können. Im Unterschied dazu trifft er bei Geschäftsadressen stets einen Empfänger an und liefert nicht selten gleich mehrere Kartons ab. Das heißt, mit dem Boom der privaten Online-Bestellungen ist überproportional mehr Straßenverkehr verbunden.

Eine weitere Herausforderung stellt der internationale Einkauf da: Der grenzüberschreitende Online-Handel wächst vehement. Als Folge davon steigt die Paketzustellung aus dem Ausland stärker als das Gesamtgeschäft, und zwar derzeit um gut acht Prozent bei den Sendungsmengen.

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Dieser Text ist zuerst auf Welt.de erschienen.

Bild: Getty Images/Sean Gallup/Staff