Deutschland soll zum Leitmarkt der E-Mobilität werden – eine gute Erzählung, aber die Zahlen zeigen anderes.

Dass Politiker Zeitpläne korrigieren, wenn Ziele in selbst gesetzten Fristen nicht zu schaffen sind, ist kein Drama – sondern oft schlicht pragmatisch. Und ob in Deutschland nun im Jahr 2020 eine Million Elektroautos unterwegs sind, wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor einigen Jahren angekündigt hat, oder erst 2022, wie es jetzt heißt, ist unerheblich.

Problematisch ist es aber, wenn die Entwicklung auf ein Ziel hin viel rosiger dargestellt wird, als sie ist. Und das ist beim Thema Elektromobilität im Deutschland gerade der Fall. Die Kanzlerin hat sich nach Vorlage des Lageberichts, den ihr die Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) jedes Jahr übergibt, weiter optimistisch gezeigt, dass Deutschland bei den Elektroautos ganz vorne dabei sein wird. „Leitmarkt“ soll das Land für die Stromer werden, und die deutsche Industrie „Leitanbieter“.

So wie sie es jetzt bei Benzinern und Dieseln ist. Die NPE, die die Bundesregierung in Sachen Elektromobilität berät, verschiebt zwar das Eine-Million-Ziel um zwei Jahre, sieht die jüngste Entwicklung hierzulande hin zu den E-Autos aber durchaus positiv.

„Mit der weltweit höchsten Wachstumsdynamik bei den kumulierten Fahrzeugneuzulassungen im Jahr 2017 schließt Deutschland zu den internationalen Leitmärkten auf“, heißt es im aktuellen Fortschrittsbericht der NPE. „Die deutsche Automobilindustrie ist bei der Elektromobilität Innovationsführer.“ Und: „Das Modellangebot wird sich bis 2020 verdreifachen.“ Zudem werde „das Ladenetz im Land zunehmend engmaschiger“. Es läuft also, könnte man meinen.

Ein Einstieg in den Massenmarkt sieht anders aus

Kanzlerin Merkel zieht deshalb folgende Bilanz: Es dauere zwar mit der Durchsetzung der Stromer länger, als vor einigen Jahren gedacht. „Aber wir kommen voran.“ Und man habe „den Einstieg in den Massenmarkt vollzogen“, so Merkel. „Das müssen wir natürlich jetzt in die gesamte Breite hineinbringen.“

Statistiken zur Entwicklung der E-Autos und Analysen von Experten, die nicht der NPE angehören, vermitteln jedoch ein ganz anderes Bild der Lage. Nach Zahlen des Center Automotive Research (CAR) sind aktuell in Deutschland 68.000 reine Elektroautos und 58.400 Plug-in-Hybride auf den Straßen. Und das bei einem Fahrzeugbestand von 56,5 Millionen zugelassenen Fahrzeugen. Zum Vergleich: In China gibt es derzeit rund eine Million zugelassene Elektroautos.

In Deutschland wächst zwar die Nachfrage seit diesem Jahr schneller als in anderen Ländern, aber das von so niedrigem Niveau, dass andere Autonationen weiterhin bei den E-Autos meilenweit entfernt sind. Ein Einstieg in den Massenmarkt sieht anders aus.

Nach Berechnungen des Centers of Automotive Management (CAM) wurden im ersten Halbjahr 2018 in absoluten Zahlen am meisten E-Autos in China, Norwegen und den USA verkauft. Deutschland kommt kurz vor Großbritannien auf Platz vier. „Damit bleiben China und Norwegen die Treiber und Ausnahmeerscheinungen der globalen Elektromobilität“, heißt es im jüngsten CAM-Bericht. Die Volksrepublik „festige ihre Position als weltweiter Leitmarkt für E-Autos“, die USA bleiben nach Absatzzahlen zweitgrößter E-Fahrzeugmarkt.

Das Förderprogramm wird nicht ausgeschöpft

In Norwegen haben E-Autos inzwischen einen Marktanteil von 46,6 Prozent. Was ein Ausreißer nach oben und dem großen Wohlstand dort sowie der großzügigen Förderung von E-Autos geschuldet ist. In den Niederlanden beträgt der Anteil der Stromer an der Gesamtflotte 3,6 Prozent, in China schon 2,9 und in Großbritannien 2,2 Prozent. Erst dann folgt Deutschland, das gleichauf mit Frankreich auf einen Marktanteil von 1,8 Prozent kommt.

Tatsächlich haben in diesem Jahr die Zulassungszahlen bei E-Autos hierzulande prozentual stärker zugelegt als in anderen Jahren, doch von einem Boom kann keine Rede sein, wie die Zahlen des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle belegen, das den sogenannten Umweltbonus in Höhe von 4000 Euro für Batterieautos und 3000 Euro bei Hybriden auszahlt.

Auf Anfrage von Welt erklärt eine Sprecherin: „Insgesamt sind für den Bundesanteil am Förderprogramm 600 Millionen Euro eingeplant. Bis zum 11. September waren rund 110 Millionen Euro an Mitteln gebunden.“ Das Programm läuft seit 2016, und das Interesse der Deutschen ist so gering, dass es über den Sommer kommenden Jahres verlängert werden soll.

Deutsche E-Branche nur auf Platz fünf

Auch die Analysten des Beratungsunternehmens Roland Berger ziehen für Deutschland in ihrem „Index Elektromobilität 2018“ eine kritische Bilanz. „Die Gesamtführung im Index liegt unverändert bei China, während Frankreich im Indikator Technologie Platz eins erreicht“, lautet die Kernaussage.

Für den Index waren die wichtigsten Industrieländer auf die Leistungsfähigkeit ihrer Industrie bei den E-Autos untersucht worden, der Stand der Technologie und das Potenzial des jeweiligen Marktes. Dabei kommt Deutschland technologisch mit einigem Abstand zu Frankreich auf Platz zwei.

Die deutsche Autoindustrie und ihre Zulieferer erreichen gemessen an ihrer Leistungsfähigkeit bei der Elektromobilität aber nur Platz fünf. Nach China, den USA, Japan und Südkorea. Und als Markt landet Deutschland auf Position drei nach China und Frankreich.

Das wäre alles in allem kein schlechtes Ergebnis. Wenn Deutschland derzeit im Automobilbau nicht so weit vorne läge. Und wenn man die Ziele für das Zeitalter der E-Autos bescheidener formulieren würde.

Bild: Getty Images / Eva Carollo Photography

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.