Michael Brahms erinnert sich noch genau an den Moment, als die Falle zuschnappte. Das war vor einem Jahr. Seine Frau war verreist, und nach einem fröhlichen Männerabend surfte der Mittdreißiger im Internet. „Ich war vom Abend noch ein wenig verzaubert, sonst hätte ich nie meine Bankverbindung eingetippt“, sagt er. Brahms war auf der Kuppelseite Dateformore.de gelandet. Dort rekeln sich schöne Frauen in Dessous unter dem Slogan „Gönnen Sie sich eine Affäre“.

Der Anblick brachte den Strohwitwer für wenige Augenblicke um den Verstand. Er klickte das Schnupperangebot an, zwei Wochen für einen Euro. Dann konnte er die Datingprofile einiger Frauen einsehen. Schon am nächsten Morgen bereute er seinen Leichtsinn und mailte die Kündigung. Brahms hatte den virtuellen Ausflug längst wieder vergessen, als er Wochen später bemerkte, dass auf seinem Konto Geld fehlte.

Das Testabo hatte sich automatisch zum Premium-Halbjahresvertrag verlängert, für den monatlich ab sofort knapp 90 Euro fällig werden sollten. Michael Brahms ärgerte sich und versuchte, den Kundenservice zu erreichen. Vergeblich.

Nicht mit mir, dachte sich Brahms – und ließ jeden Monat das Geld zurückbuchen. Doch Dateformore.de zeigte sich unnachgiebig. Bis heute bekommt er regelmäßig Post von einer Inkasso-Firma, die inzwischen rund 700 Euro eintreiben will. Sie erklärte ihm auch, was er falsch gemacht habe. Beim Testabo hätte statt der Kündigung „Ihrerseits ein Widerruf gesendet werden müssen“.

Ein falsches Wort also soll der Grund für diese Art von Zwangsabo gewesen sein. Auch der Premium-Vertrag ließ sich nicht auf Anhieb kündigen. Erneut schrieb Michael Brahms eine E-Mail. Doch das war zwecklos, denn im Kleingedruckten ist vermerkt, dass das Portal anders als bei Widerrufen bei Kündigungen weder Mail noch Fax akzeptiert – angeblich aus „Sicherheitsgründen“, damit nicht etwa stellvertretend Dritte kündigen können.

Klingt kompliziert? Das soll es wohl auch sein. Verwirrende Geschäftsbedingungen, Klauseln im Kleingedruckten, Inkasso-Terror – so funktionieren Abofallen, warnt Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale Hamburg. Sie hat sich den Anmeldevorgang von Dateformore.de angesehen. Ihr Fazit: So geht es nicht.

Die Verbraucherzentrale wird eine Abmahnung schicken. Woran sich Rehberg besonders stört: Beim Abschluss des Test-Abos wird der Nutzer gezwungen, auf sein Widerrufsrecht zu verzichten. Das steht nicht nur im Widerspruch zur Auskunft des Inkasso-Unternehmens an Michael Brahms, sondern laut Rehberg auch zu geltendem Recht.

Die Verbraucherzentralen haben viel Arbeit mit Datingwebseiten. Die Angebote boomen. Insgesamt wurden 2014 nach Schätzungen des Portals Singlebörsen-Vergleich 160 bis 170 Millionen Euro Umsatz mit Datingportalen gemacht. Deshalb wittern Abzocker ein gutes Geschäft. „Selbst bei vielen größeren und auf den ersten Blick seriösen Angeboten gibt es immer wieder Ärger“, sagt Rehberg. Die Hamburger Verbraucherzentrale hat sich bereits mit den Anbietern Parwise.de, Parship und Elitepartner vor Gericht gestritten – bisher immer erfolgreich.

G Tipp – Lesenswert bei Gründerszene Lovoo-Gründer Benjamin Bak im Interview:
„Eine große Reichweite lockt schwarze Schafe an“

Die Welt am Sonntag hat nicht nur die Praktiken mit den dubiosen Angeboten untersucht, sondern auch zu den Hinterleuten der Seiten recherchiert. Und die spielen häufig bewusst mit der Scham der Nutzer. Auch Michael Brahms aus Berlin heißt anders, weil ihm die Sache denkbar peinlich ist. Seine Frau soll nichts erfahren. Er ist kein Einzelfall.

Die Welt am Sonntag hat mit einem halben Dutzend Dateformore-Abonnenten gesprochen und bei einigen die Korrespondenz eingesehen. Vom Lkw-Fahrer bis zum pensionierten Spitzenmanager eines Energieversorgers ist alles vertreten. Und ihre Geschichten ähneln sich: wenige Klicks zum Testabo, das sich in einen Premiumvertrag umwandelte, der sich nicht einfach per Mail oder Fax kündigen lässt. Wer sich Geld zurückholt, kriegt Post von der Jedermann Inkasso GmbH.

Entsprechend groß ist die Wut in Verbraucherforen, in denen Betroffene über Schwierigkeiten mit der Kündigung klagen. Die Kommentare reichen von „Ihr verdammten Abzocker“ bis „Möge Allah euch bestrafen“. Kundenzahlen der Portale sind unbekannt. Aber das Geschäft dürfte viele Millionen Euro schwer sein. Wenn nur 50.000 Männer kostenpflichtige Halbjahresverträge hätten, würde der Betreiber Einnahmen von 4,5 Millionen Euro im Monat kassieren. Parwise.de wirbt im Netz sogar mit über einer Million registrierter Singles. Offizielle Daten für Dateformore.de sind nicht zu erfahren.

Welches Ausmaß der Ärger mit Dateformore.de hat, weiß wahrscheinlich der Kündigungsprofi Bernd Storm am besten. Der Münchener betreibt das Internetportal Aboalarm, das Betroffenen mit juristisch sauberen Kündigungen hilft. Und diese falls nötig per Klage durchsetzt. Für Dateformore.de und andere Portale der Firma Ideo Labs GmbH hat Aboalarm mehr als 8000 Kündigungen verschickt. „Wir bekommen immer mehr Beschwerden über die verbraucherunfreundlichen Methoden dieser Abo-Angebote“, sagt Storm.

Er forschte nach und stieß auf weitere Webseiten, die Dateformore.de auffällig ähnlich sind. Die Internetseite für den Bezahlvorgang sieht bei den Datingportalen Parwise.de, Primesingles.de, Just-date.de, Daily-date.de und seit kürzerem auch Only-dates.de nahezu identisch aus. „Das hat Methode“, sagt Storm. „Wenn eine dieser Webseiten durch die Diskussionen in Verbraucherforen verbrannt ist, wird einfach eine neue aufgemacht.“

Aber wer steckt hinter den Seiten? Laut Impressum betrieb die Ideo Labs GmbH bis diese Woche, in feinster Berliner Lage Unter den Linden 16 die Seiten Dateformore.de, Zuuyo.com und mindestens zwei ähnliche Angebote. Nur: Vor Ort ist kein Firmenschild zu finden. Wenige hundert Meter entfernt, in der Charlottenburger Straße 68, sitzt eine Firma namens Ideo Labs.

Bitte wenden – hier geht’s zur zweiten Seite.

Bild: Dmitriy Devyatkin/Getty Images

Die fünfte Etage teilt sie sich mit zwei Dutzend anderen Firmen in einer Bürogemeinschaft. Nach großer Firmenzentrale sieht das nicht aus. Auch nicht nach der zweistelligen Mitarbeiterzahl, von der auf Anfrage der Anwalt der Ideo Labs schreibt. Die Welt am Sonntag hat nachgefragt, warum die Adressangabe in Impressum und Handelsregister fehlerhaft ist. Eine Reaktion folgte prompt, wenn auch nicht die erwartete. Nur wenige Stunden später wies Dateformore.de auf seiner Webseite eine neue Anschrift aus. Diesmal in einem heruntergekommenen Bürogebäude in Berlin-Tempelhof.

Dort klebt tatsächlich ein winziges Schild am Briefkasten. Anzutreffen ist niemand. Die Verwalterin des Komplexes sagt, die Ideo Labs habe einen einzelnen Arbeitsplatz in einem Großraumbüro gemietet. Die Post würde sie nachschicken. Wohin? „Das darf ich ihnen nicht sagen, sonst bräuchten die ja nicht so ein virtuelles Büro.“ Der Anwalt der Ideo Labs erklärt dazu, die Firma werde gerade umstrukturiert. Das Impressum der Seiten sei deshalb aktualisiert worden. Wo die Firma ihre Zentrale mit den vielen Mitarbeitern hat, teilt er hingegen nicht mit.

Noch etwas scheint nicht so richtig zu einem hippen Berliner Szene-Startup passen zu wollen. Die 62-jährige Geschäftsführerin Gerda Wessel-Marquardt lebt im sechs Zugstunden entfernten Monheim bei Köln. Laut Wirtschaftsauskunftsdienst Creditreform wohnt im selben Haus der 65-jährige Friedrich Trappe, seines Zeichens Geschäftsführer von Parwise.de. Seine Tochter Heidi Braig wiederum führt die Geschäfte der Flirtcafe Online GmbH. Der Lokalpresse sind ein Klaus Dieter Trappe und dessen Lebensgefährtin Gerda Wessel-Marquardt als Karnevalsjeck und Maikönigin bekannt.

Beide waren für die Welt am Sonntag nicht zu erreichen. Der Anwalt teilt mit, „dass die Ideo Labs GmbH keine Strohfirma ist, sowie auch die Geschäftsführerin keine Strohfrau ist“. Wer tiefer forscht, stößt auf ein schwer zu durchschauendes Wirrwarr von Firmen und Personen.

Eine kleine Datei, ein Cookie, weist den Weg weiter nach Köln. Cookies speichern sich beim Surfen auf den Rechner. Wer bei Parwise.de auf die Seite ging, erhielt einen Cookie von einem Server, der „internetone“ im Namen trug. Diese Firma gibt es tatsächlich.

In einem tristen Bau am Hansaring 61 sitzt die Internetone AG mit rund 50 Mitarbeitern, ein Online-Marketing-Unternehmen, das laut Webseite auch Startups entwickelt. Bei den Referenzen bleibt die Firma im Ungefähren, „namhafte Marken“ und „Hidden Champions aus dem Mittelstand“ seien darunter. Vielleicht gibt es auch einen anderen Grund für die Zurückhaltung: Aussagen von Ex-Mitarbeitern sowie internen Firmendokumenten zufolge ist die Internetone AG tief in den Betrieb von Dateformore.de und mehrerer ähnlicher Dating-Portale verstrickt.

Zahlreiche Ex-Mitarbeiter sagen, die Portale würden aus Köln programmiert und vermarktet. Ein Teil war sogar bereit, eidesstattliche Versicherungen dazu abzugeben. Der Welt am Sonntag liegen interne Arbeitsprotokolle der Internetone AG vor. Darin fallen die Portalnamen gleich mehrfach. Auch ein Geschäftsleiter wird genannt: Ein gewisser Ingo Kaun, den alle befragten Ex-Mitarbeiter als Führungskraft identifizierten.

Kaun tritt in der Öffentlichkeit nicht als Geschäftsleiter auf, im Netz hat er kaum Spuren hinterlassen. Bei der Noah-Konferenz Anfang Juni in Berlin ist ein Ingo Kaun als Teilnehmer gelistet – als Managing Director und Partner der Internetone AG. Trotz unzähliger Versuche war Ingo Kaun persönlich für die Welt am Sonntag nicht zu erreichen. Einen Tag nach der Presseanfrage verschwindet aber sein Eintrag bei der Noah-Konferenz plötzlich. In der Dating-Szene ist Kaun hingegen kein Unbekannter: Als ehemaliger Eigentümer der Medusa United Media stand er hinter Flirtcafe – einem Dating-Portal, das die Verbraucherzentrale später erfolgreich wegen angeblich erloschener Widerrufsrechte abmahnte.

Ein renommierter Mann könnte aufklären, was bei der Internetone AG vor sich geht: Der Promi-Anwalt und frühere RTL-Moderator Ralf Höcker. Vielen ist er als Vertreter von Jörg Kachelmann und Heidi Klum bekannt. Oder als smarter Talkshowgast bei Lanz, Illner und Plasberg. Was hingegen die wenigsten wissen: Höcker, Professor für Marken- und Medienrecht, ist zugleich der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Internetone AG. Er sollte deshalb den Überblick haben, was in dem Haus passiert.

Höckers Kanzlei vertritt überdies auch die Ideo Labs – jene Berliner Firma mit den vielen Adresswechseln. Seine Anwälte haben die Markenrechte von Dateformore.de beim Markenamt registriert und reagieren auf Journalisten-Anfragen. Dann weisen sie gerne auch mal darauf hin, dass man dies und das besser nicht schreiben solle. Fragen der Welt am Sonntag beantwortet Höcker mit einer Stellungnahme und dem Hinweis, dass daraus nicht zitiert werden dürfe.

G Tipp – Lesenswert bei Gründerszene Übersicht: 10 Fakten zum Tinder-Börsengang

Etwas offener ist da ein anderer Kollege aus der Kanzlei Höcker, der – Zufall oder nicht – gleich für drei Mandanten tätig ist: die Ideo Labs GmbH, die Internetone AG und Ingo Kaun. Der Anwalt hat auf alles eine Antwort, und sei sie noch so krude. Der Ausschluss von E-Mail und Fax sei notwendig, damit nicht unbefugt Dritte kündigen könnten, erklärt er. Die Portale böten zudem eine systeminterne Online-Kündigungsoption, die mit TAN-Nummern funktioniere. Die Regelungen entsprächen denen der bekanntesten deutschen Online-Dating-Anbieter, sagt der Anwalt. Die Zahl der Dateformore.de-Kündigungen über Aboalarm sei „aller Wahrscheinlichkeit nach falsch“. Die Dateformore.de und die anderen Webseiten würden von den jeweils in den Impressen genannten Firmen betrieben, nicht von der Internetone AG, sagt der Anwalt.

Und Ingo Kaun? „Unser Mandant ist weder Angestellter noch Geschäftsführer der Internetone AG“, schreibt der fleißige Jurist, auch sei er nicht Gesellschafter oder Aktionär. Die Noah-Konferenz habe er nicht als Geschäftsführer der Internetone besucht, deshalb sei der Internet-Eintrag gelöscht worden. Ingo Kaun sei auch „keine Schlüsselfigur eines Netzwerks von Datingseiten oder deren Betreiber“. Als Geschäftsführer der Internetone AG nennt der Anwalt Stefan Warner. Wenn sich der Jurist da mal nicht irrt. Im Impressum der Internetone-Webseite heißt der Mann Andreas Warner. So oder so: In der Datingszene jedenfalls sind beide Namen unbekannt.

Noch jemand könnte Licht ins Dunkel bringen: Andreas Lenz, der stellvertretende Aufsichtsrat der Internetone AG. Auch er ist Anwalt in Köln. Handelsregister- und Creditreform-Unterlagen zeigen ihn an der Spitze eines komplizierten Firmengeflechts, das Datingportale und Internetone AG verbindet. Bis Mai gehörte über eine Zwischengesellschaft auch die Ideo Labs dazu. Lenz teilt mit, seine Kanzlei sei bei der Ideo Labs nur der Treuhänder für einen Dritten gewesen, ohne Geschäftsbefugnisse oder Gestaltungsmöglichkeiten. Wer der Dritte ist, sagt Lenz nicht. Wichtig ist ihm die Feststellung, weder er noch seine Kanzlei hätten die Datingseiten betrieben.

Unfreiwilligen Abonnenten bleibt noch der Weg zum eigenen Anwalt oder zu Aboalarm. Das Münchener Unternehmen hat bei rund 200 Fällen von Ideo-Labs-Portalen bereits einen Anwalt eingeschaltet. Die Rechtslage ist offenbar so eindeutig, dass Aboalarm sogar das Kostenrisiko für eventuelle Rechtsstreits übernimmt. „All diese Fälle wurden zur Zufriedenheit der Kunden erledigt“, sagt Geschäftsführer Bernd Storm. Er vermutet: Vielleicht fürchten die Hintermänner Prozesse. Dabei wüsste man gerne, was im Gerichtssaal noch alles herauskäme.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Welt.de.

Bild: Dmitriy Devyatkin/Getty Images