Ein Beitrag von Patrizia Trolese, Beraterin für Professional Service Firmen.

Big Data wird nach Boden, Arbeit und Kapital weltweit als vierter Produktionsfaktor eine große Rolle spielen. Dabei erzielen Geschäftsmodelle, die auf Big Data basieren, ihren Erlös mit Hilfe personenbezogener Daten. Das sind Daten, die eindeutig einer bestimmten Person zugeordnet sind, oder Daten, bei welchen diese Zuordnung unkompliziert erfolgen kann. In Deutschland gilt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Es gilt das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen. Europa folgt bei der Gesetzgebung und -sprechung diesem Muster. Das ist gut so, denn das ist die „Unique Selling Proposition“ Europas im globalen Wettbewerb, wenn es um Geschäfte mit Big Data und Cloud Computing geht.

Die Sammlung und Verwertung von Big Data treffen in Deutschland allerdings auf ein Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), das Sparsamkeit, Zweckbindung und zeitnahe Löschung in den Vordergrund stellt. Das BDSG funktioniert nach dem Prinzip des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt. Jeder Umgang mit personenbezogenen Daten ist verboten, es sei denn, er wird im Gesetz erlaubt oder der Betroffene hat seine Einwilligung erklärt. Der Grundsatz der Sparsamkeit verlangt, dass nur die nötigsten Daten erhoben und gespeichert werden. Der Grundsatz der Zweckbindung besagt, dass für jeden Datensatz im Vorfeld ein Zweck definiert sein muss. Nach Wegfall oder Erledigung ihres ursprünglichen Zweckes müssen Daten gelöscht werden.

Der Umgang mit personenbezogenen Daten ist laut diesem Gesetz dann zulässig, wenn er für die Begründung, Durchführung oder Beendigung des rechtlichen Verhältnisses mit einem Kunden erforderlich ist. Hierunter fallen sämtliche Daten, die gebraucht werden, damit der Vertrag realisiert werden kann, zum Beispiel Adressen für den Versand und die Rechnung, Konfektionsgröße bei Kleiderbestellung, Sehschwäche bei Brillenanfertigung, Schuhgröße beim Schuhkauf und so weiter.

Außerdem ist der Umgang mit diesen Daten zulässig, wenn er zur Wahrung berechtigter Interessen des Unternehmens erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse von Kunden verletzt wird. Dies ist regelmäßig bei Marketingaktivitäten gegenüber bestimmten Zielgruppen der Fall. Die Abwägung fällt zu Lasten des Unternehmens aus, wenn Persönlichkeitsprofile erstellt werden. Wann ein solches Profil vorliegt, wird allerdings nicht exakt definiert.

Wie entstehen Kundenprofile?

In der Praxis werden Kundenprofile regelmäßig mit Hilfe Daten von Kredit- und Kundenkarten wie Payback und HappyDigits sowie über die Verfolgung, Speicherung und Verknüpfung von Nutzerdaten im Internet oder auch beim Webtracking mit Hilfe von Cookies erstellt. Hinzu kommen personenbezogene Daten, die bei Aktivitäten in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter, bei Google, Amazon, elektronischen Spielen sowie zukünftig im „Internet der Dinge“ hinterlassen werden. Alles ganz legal.

Das BDSG verhindert also nicht die für die Internetökonomie wichtige Erstellung von Kundenprofilen. Der Modeversender Zalando zeigt, dass auch ein Startup von Berlin aus international erfolgreich sein kann. Eine Suchmaschine oder ein Versandhändler ist für einen Nutzer besonders dann attraktiv, wenn sie eine sehr zielgenaue Trefferliste erzeugt. Diese beruht darauf, dass der Betreiber der Plattform nach einem gewissen Zeitraum etwas über die Vorlieben des Suchenden herausgefunden hat.

So weit, so gut. Dennoch kommt die Internetökonomie in Deutschland nicht in Schwung. Derweil geht etwa in den USA oder China der „Solutionismus“ um, also die Annahme, es gebe noch nicht genug Daten und Wissen über uns. Die Informationen könnten dazu benutzt werden, um bessere Entscheidungen zu treffen. Apps könnten dafür sorgen, dass wir gar nicht erst krank oder ausgeraubt werden. Die Staaten der Welt befinden sich im Wandel von Wohlfahrts- hin zu Präventionsstaaten. Sozialstaaten sind kaum noch finanzierbar. Die Welt der Zukunft, ist eine Welt, in der der Einzelne 99 Prozent der Verantwortung für die Lösung seiner Probleme trägt, davon ist Evgeny Morozov, Internetforscher an der Harvard University, überzeugt.

Öffentliche Datenbanken als Lösung

Das Feld für tüftelnde Gründer, die das Leben von Milliarden von Verbrauchern, Patienten, Produzenten und Bürgern gestalten helfen können, ist unendlich groß. Wie können wir es nutzen? Mit welcher Gesetzgebung können wir Gründern in Deutschland auf die Sprünge helfen? Morozov schlägt die Schaffung öffentlicher Datenbanken vor. Aus diesen könnten sich alle bedienen, um Anwendungen zu entwickeln. Nicht nur Google. Das Produktionsmittel Wissen sollte also allen gehören.

Auch wirtschaftlich würde eine solche Datenbank Sinn ergeben: Startups können auf Basis öffentlicher Datenbanken in Deutschland und Europa schneller in die Gewinnzone gelangen als konkurrierende Unternehmen, die für ihren Profit notwendigen großen Netzwerke erst mit viel Geld von Investoren aufbauen müssen. Personenbezogene Daten erhielten denselben Status wie unser Wissen über die Natur, Technik und Menschen: Sie wären als Kollektivgut geschützt. In die öffentlichen Vorratsdatenspeicher gelangten lediglich erlaubte personenbezogene Daten. Finanziert würden sie durch eine vom Umsatz oder Einkommen eines Nutzers abhängige Gebühr oder durch Werbung. Das Löschen der Daten oder ein Widerruf des Einverständnisses wäre jederzeit möglich.

Daneben könnten öffentliche Vorratsdatenspeicher existieren, die personenbezogene Daten nur für eine gewisse Zeit und ohne Einwilligung speichern. Für den Fall, dass ein Richter – etwa bei dringendem Verdacht der Planung eines Terroraktes oder Erwerb kinderpornographischen Materials – diese für die Strafverfolgung freigibt. Jeder wüsste, welche Daten über ihn wie lange gesammelt werden. Deutschland und die EU könnten auch hier gegenüber der restlichen Welt, die in dieser Hinsicht wie die USA und China „unsichere Drittländer“ sind, punkten.

Deutschland und die EU sind mit ihren Datenschutzbestimmungen für den globalen Wettbewerb der Zukunft bereits gut gerüstet. Jetzt geht es darum, die Internetökonomie voranzutreiben. Nachholbedarf bestehen bei der Breitband-Infrastruktur, der Gründungskultur und bei Venture Capital-Investitionen. Rechtliche Rahmenbedingungen für die Etablierung öffentlicher Datenbanken könnten dazu beitragen, diese Defizite zu kompensieren und die zweite Halbzeit der digitalen Transformation für Deutschland und Europa zu entscheiden.

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