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Bildung war in der deutschen Geistesgeschichte so bedeutsam wie in kaum einer anderen Nation. Deutsche Dichter und Philosophen formulierten im 19. Jahrhundert Bildungsideale, die sinnbildlich für das Land in der Mitte Europas wurden. Noch heute halten sich viele Bundesbürger zugute, eines der besten Bildungssysteme der Welt zu haben. Fast zwei Drittel der Bevölkerung glauben, dass Deutschland qualitativ in Europa führend ist. Doch die Realität sieht vielfach anders aus.

Was die Kenntnisse von Schülern anbelangt, liegt Deutschland nachweislich nur im Mittelfeld der Industrienationen. Seit dem Pisa-Schock Anfang des vergangenen Jahrzehnts sickert die Erkenntnis langsam ins öffentliche Bewusstsein ein. Europas größte Volkswirtschaft ist in puncto Bildung und Ausbildung nur mittelmäßig. Mit weitreichenden Folgen für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands und des Kontinents.

Bildungsforscher Ludger Wößmann vom Ifo-Institut in München hat nachgewiesen, dass das wirtschaftliche Wachstum unmittelbar mit der Qualität von Bildung korreliert. Mit anderen Worten: Je besser Menschen beim Eintritt ins Berufsleben qualifiziert sind, desto höher stehen die Chancen, künftig Innovation und Wertschöpfung zu schaffen, die ihrerseits Spielräume für soziale Umverteilung eröffnen. Je mehr anwendbares Wissen in der Bevölkerung vorhanden ist, desto besser entwickelt sich das Bruttoinlandsprodukt. „Bildungsleistungen sind zentral für den Wohlstand.“ Was das angeht, liefern die messbaren Leistungen keinen Anlass zur Selbstzufriedenheit.

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Zwar haben sich die Pisa-Ergebnisse der deutschen Schüler im Lauf der vergangenen Dekade leicht gebessert, die Bundesrepublik ist jedoch weit von der Spitzengruppe entfernt, wo sich abgesehen von Finnland auch Kanada, Korea und Japan finden. Inzwischen sind auch die Polen deutlich an den Deutschen vorbeigezogen.

Wirtschaft 4.0 setzt Bildung 4.0 voraus

Längst alarmiert die Schulmisere die Wirtschaft. Spitzenvertreter fürchten, dass die Politik zu wenig tut, um die künftige Wettbewerbsfähigkeit des Hightechstandorts Deutschland zu sichern. Die Sorge wächst. In der digitalisierten Welt hängt Erfolg noch stärker als bisher von einer guten Ausbildung ab, auch, aber nicht nur, in den technischen Fächern. Schon heute ist ein gutes Schul- und Hochschulsystem elementar für ökonomischen Erfolg. „Keine Investition ist renditeträchtiger als Investitionen in Bildung, als in die Köpfe junger Menschen“, sagt Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

Wie sehr die deutsche Wirtschaft das Thema Bildung als Chefsache sieht, wurde in der vergangenen Woche wieder deutlich: Zusammen mit dem Bundesverband deutscher Banken hat die BDA einen Kongress in Berlin veranstaltet. Und das Motto ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Bildung ist systemrelevant“.

Nach Ansicht von Kramer setzt die Wirtschaft 4.0, also das digitale Zeitalter, auch Bildung 4.0 voraus. Und dazu gehöre eben auch Informatikunterricht. Aktuell sei ein knappes Drittel aller Schüler an Deutschlands Schulen digitale Analphabeten, die nicht annähernd ein Verständnis der Grundlagen von Internet und Informationstechnik hätten: „Digital ist mehr als daddeln mit dem Handy.“ Wenn die Abbrecherquote in technischen Fächern an den Hochschulschulen bis zu 50 Prozent betrage, sei das ein Alarmsignal. Für Hans-Walter Peters, den Präsidenten des Bankenverbandes, gehören auch Wirtschafts- und Finanzkenntnisse zu einer umfassenden Bildung. Umfragen decken regelmäßig eklatante Wissenslücken der jungen Generation auf diesen Gebieten auf.

Schulfach „Digitalisierung“?

Auch auf individueller Ebene zahlt sich Bildung aus. Wie Forscher Wößmann ermittelt hat, steigt das Einkommen mit jeder zusätzlichen Kompetenzstufe hierzulande um beachtliche 23,5 Prozent.

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Trotz gelegentlicher Klagen über eine „Akademikerschwemme“ ist die Nachfrage nach Hochschulabsolventen weiterhin hoch. Das macht eine andere Zahl deutlich, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) veröffentlicht hat. Demnach beträgt das Risiko, arbeitslos zu sein, bei Menschen ohne Berufsabschluss hohe 19,9 Prozent. Wer erfolgreich eine Ausbildung absolviert oder eine Fachschule besucht hat, läuft nur zu 4,9 Prozent Gefahr, ohne Job dazustehen. Bei Absolventen einer Universität oder Fachhochschule liegt die Wahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit bei extrem niedrigen 2,6 Prozent. Das ist quasi Vollbeschäftigung.

Wie Bildung 4.0 auszusehen hat, darüber gehen die Meinungen auseinander. Wößmann glaubt nicht, dass es viel bringt, jeden Klassenraum der Republik mit Computern und Tablets vollzustellen. Die Form der Lernmittel habe keinen nachweisbaren Effekt auf die Qualität der Bildung. Auch einem Schulfach „Digitalisierung“ steht er skeptisch gegenüber, und das schon deshalb, weil die jetzt vermittelte Programmiersprache in zehn oder 20 Jahren vielleicht nicht mehr die ist, auf die es dann ankommt.

Digitalisierung als Ungleichmacher

Nachweislich bessere Schülerleistungen gehen international mit Zwischen- und Abschlussprüfungen einher, die von Schule zu Schule und von Land zu Land vergleichbar sind. Im deutschen Bildungsföderalismus ist das immer noch nicht flächendeckend der Fall. Das spricht nach Einschätzung des Wissenschaftlers zum Beispiel für ein einheitliches Abitur, bei dem die Prüfungsaufgaben nicht am einzelnen Gymnasium entwickelt werden. Bewährt hat sich bei Schulen auch eine Kombination von staatlicher Finanzierung und freier Trägerschaft. Durch Wettbewerb stacheln sich die Lehreinrichtungen dann zu besseren Leistungen an. Laut einer Umfrage des Bankenverbands zu dem Thema sind 45 Prozent der Deutschen mit der Schulpolitik in ihrem Bundesland zufrieden. Allerdings stimmen gut drei Viertel der Befragten (76 Prozent) der Forderung zu, dass der Bund mehr Einfluss auf die Bildungspolitik nehmen sollte.

Jedoch sollte der Fokus nicht allein auf der Vorbereitung auf ein Studium liegen. Immer mehr Arbeitgeber bemängeln, dass die Qualität der Bewerber für eine Ausbildung kontinuierlich abnimmt. Eine Lehre gilt vielen als finanziell nicht mehr attraktiv. Höhere Ausbildungsvergütungen könnten helfen. Ebenso wie bessere Ausstattung der Schulen. Allerdings zeigen internationale Erfahrungen, dass mehr Geld für Bildung nicht automatisch in besseren Leistungen resultiert.

Eine offene Frage bleibt, was aus den aktuell 17 Prozent der jungen Menschen werden soll, die am Ende ohne jeglichen berufsqualifizierenden Abschluss dastehen. Einig sind sich die Experten darin, dass es diesen 17 Prozent in der Wirtschaft der Zukunft noch schwerer fallen wird, eine Stelle zu finden. Ohne Gegenmaßnahmen droht die Digitalisierung in dieser Hinsicht zu einem großen Ungleichmacher zu werden.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Die Welt.

Titelbild:Klaus Vedfelt, Grafiken: Die Welt