Insektenburger
Insekten gelten als vielversprechendes Nahrungsmittel der Zukunft

Jeder Mensch muss essen. Was das konkret bedeutet, hat sich lange Zeit nur wenig gewandelt: Das Fleisch toter Tiere und massenhaft angebautes Getreide etwa gehören in Variationen seit jeher zum Speiseplan vieler Gesellschaften. Vielleicht ist es deshalb so schwer, sich vorzustellen, dass sich die Art, wie Nahrungsmittel produziert werden, grundlegend wandeln könnte. Die Art, wie sich die Welt ernährt, ist in vielen Fällen weder effektiv noch moralisch einwandfrei – und gemessen an sonstigen kulturellen und technologischen Entwicklungen nicht mehr zeitgemäß. Daher überdenken seit einigen Jahren mehrere junge Unternehmen, wie unser Essen auf den Tisch kommt.

Deren Gründer und Forscher wollen unter anderem beweisen, dass es für einen saftigen Burger nicht unbedingt Fleisch braucht. Aber auch, dass derjenige, der nicht auf echtes Fleisch verzichten will, weder eine Kuh noch ein Huhn auf dem Gewissen haben muss. Auch sollen sich frischer Salat aus lokalem Anbau und das Leben in der Großstadt nicht länger ausschließen.

Zahlreiche Food-Startups setzen hier sowohl auf smarte Technologien und neueste Forschung. Aber vor allem zeigen sie den Willen, die Traditionen unserer Esskultur und die Konventionen einer Milliardenindustrie herauszufordern. Sicher werden einige dabei scheitern. Andere könnten hingegen eine Zukunft begründen, die uns ethischer, gesünder und vielleicht auch einfach besser essen lässt.

Perfect Day Foods

Egal ob im Kaffee oder zum Morgenmüsli: Milch gehört für unzählige Menschen zum Alltag. Viele verzichten aber auch darauf. Sei es aufgrund von körperlichen Unverträglichkeiten oder ethischen Erwägungen. Ersatzprodukte wie Sojamilch mögen nicht alle überzeugen. Genau hier will nun das Unternehmen mit dem klangschönen Namen Perfect Day Foods Abhilfe schaffen. Das wurde 2014 von den zwei Mittzwanzigern Perumal Gandhi und Ryan Pandya nach einer enttäuschenden Erfahrung mit veganem Streichkäse gegründet. Sie wollen eine Milch entwickelt haben, die ohne Kühe auskommt – und damit auch ohne Tierhaltung. Die „Animal-free Milk“ basiert auf einer Buttercup getauften Hefe. Diese wird gleich einem Biersud angesetzt und in einem Brauvorgang verarbeitet. Dabei werden Zucker zu Proteinen gewandelt, die genauso auch in klassischer Kuhmilch vorkommen. Anbei werden pflanzliche Fette und Vitamine hinzugefügt. Am Ende soll dadurch ein Getränk entstehen, das die gleiche Konsistenz und denselben Geschmack aufweist wie H-Milch. Jedoch ohne Hormone, Laktose und tierische Rückstände. Die soll aber nicht nur zum Trinken taugen, sondern auch zur Produktion von Käse, Joghurt, Eiscreme und Kuchen – und Pizzateig. Bereits Ende dieses Jahres könnte die gebraute Milch in den USA in den Handel kommen.

Memphis Meats

Erst 2015 war Memphis Meats vom Kardiologen Uma Valeti und dem Stammzellforscher Nicholas Genovese gegründet worden. Ebenso wie auch andere Food-Startups, wollen sie die Schlachtung von Tieren und deren nicht artgerechte Haltung überflüssig machen. Allerdings nicht durch Fleischersatzprodukte, sondern durch eine saubere Herstellung von echtem Fleisch. Nämlich indem sie es in einer Nährlösung aus Stammzellen heranzüchten. Dass das möglich ist, hat Memphis Meats bereits in den letzten zwei Jahren demonstriert. Sowohl ein Fleischbällchen aus Rinderfilet als auch eine Hühnerbrust haben die US-Nahrungsmittelforscher wachsen lassen. Bei Verkostungen wäre beides nicht vom tierischen Original zu unterscheiden gewesen.

Nach den Plänen des Startups, werden sie alsbald ein ganzes Steak innerhalb von drei Wochen heranwachsen lassen. Dabei ließe sich das Fleisch nach Belieben formen. Auch die Textur und der Geschmack könnten vielfach angepasst werden. 2021 will das Unternehmen die ersten Produkte in die Läden bringen. Darunter sollen unter anderem Hühner-, Enten-, Puten- und Rinderfleisch sein. In den darauffolgenden Jahren könne das Kunstfleisch bereits günstiger werden als das von Schlachttieren, da beim In-Vitro-Verfahren sowohl Aufzucht, Transport und viele weitere Kostenpunkte wegfallen. Zu den Investoren der Firma gehören unter anderem Bill Gates und Virgin-Gründer Richard Branson.

Wicked Cricket

In vielen asiatischen und afrikanischen Ländern gehören Insekten ganz selbstverständlich mit auf die Speisekarte. In den westlichen Industrienationen trauen sich viele hingegen nicht so recht an die Krabbeltiere heran – ekeln und ängstigen sich sogar. Dabei sind sie reich an Eiweiß und Ballaststoffen und ihre Aufzucht nachhaltig und unkompliziert. Die Münchner Josef Hirte und Mathias Rasch wollen daher die Abneigung gegen die sechsbeinigen Tiere abbauen. Anfang dieses Jahres hat das Physiker-Lehrer-Gespann daher das Startup Wicked Cricket angestoßen, das Grillen auf die deutschen Tische bringen soll. Sowohl in einem Container im neuen Münchner Werksviertel als auch im Netz bieten sie in kleinen Schälchen getrocknete Grillen an. Die sind knusprig und mit verschiedenen Kräutermischungen gewürzt. Damit sollen sie als Salatbeilage, Würze für die Pastasauce oder edler Snack für zwischendurch taugen – und damit eine clevere Alternative zu Chips und Nachos darstellen. Zunächst haben die beiden Gründer die Grillen selbst gezüchtet, setzen aber mittlerweile auf einen erfahrenen Großhändler. Wobei alle Tierchen, wie Rasch und Hirte versichern, rein pflanzlich gefüttert und unter gänzlich hygienischen Bedingungen aufgezogen werden.

Finless Foods

Für Millionen Menschen ist Fisch ein wichtiger Bestandteil der Ernährung. Denn er liefert Eiweiß, Mineralstoffe, Fettsäuren und Nährstoffe in hoher Dichte. Nicht zuletzt in asiatischen Ländern kommt Fisch fast täglich auf den Tisch. In westlichen Nationen ist der Pro-Kopf-Verzehr zudem in den vergangenen Jahrzehnten stetig gestiegen. Damit wurde die Überfischung zu einem ernsthaften Problem. Etliche Arten sind mittlerweile bedroht und ganze Regionen des Nordatlantiks und Mittelmeers nahezu leergefischt. Das in Brooklyn ansässige Startup Finless Foods will etwas dagegen tun. Nämlich Fisch ohne Fische produzieren. Ganz ähnlich wie Memphis Meats versucht die vom Biochemiker Michael Selden und Molekularbiologen Brian Wyrwas gegründete Firma verschiedene Fischfleischsorten durch In-vitro-Verfahren heranzuzüchten. Als Ausgangspunkt sollen Zellkulturen und eine Nährlösung dienen. Während des Wachstums soll das Fleisch zudem mit nachempfundenen Proteinen – die der Metabolismus eines lebenden Fisches produzieren würde – angereichert werden. Derzeit ist das erst Anfang 2017 gestartete Unternehmen noch in der Forschungsphase. Wobei schon erprobt wird, wie sich das Fleisch des vor allem in Japan begehrten und dadurch gefährdeten Blauflossen-Thunfischs replizieren lässt.

Agrilution

In etwa so groß wie ein Backofen ist der plantCube des von Maximilian Lössl und Philipp Wagner gegründeten Startups Agrilution. Das Unternehmen aus München will damit möglich machen, was in der Großstadt sonst eher schwierig ist. Nämlich Nahrungsmittel selbst anzubauen und frisch zu ernten. Dafür soll der plantCube das bisher nur experimentell und industriell genutzte Konzept des Vertical Farmings in kleinem Maßstab umsetzen – und mit den Möglichkeiten der smarten Mobiltechnik verbinden. Im kleinen Gewächsschrank können in mehreren Etagen, die wiederum in einzelne Fächer unterteilt sind, Spinat, Ruccola, Feldsalat, Dill aber auch Babykarotten angebaut werden. 

Agrilution

Dabei will Agrilution selbst sogenannte Saatgutmatten verkaufen, die perfekt auf das System abgestimmt sind. Basierend auf den Informationen, wo was wachsen soll, kümmert sich der plantCube selbstständig um die ideale Temperatur, Bewässerung und das Licht für jedes einzelne Pflänzchen. Über eine App kann der Nutzer stetig verfolgen, in welchem Wachstumsstadium der eigene Anbau sich befindet – und regulierend eingreifen. Zu den Investoren des Startups gehören unter anderem der Lampenhersteller Osram und der Einzelhandelskonzern Tengelmann. Einzelne Testnutzer haben ihre plantCubes seit Ende des vergangenen Jahres in Betrieb. Bald soll mitgeteilt werden, wann die fertigen Heim-Schrebergärten zu haben sind.

Livin Farms

Sicherlich sehen Mehlwürmer nicht sonderlich appetitlich aus. Die Abneigung ist jedoch kulturell bedingt. Daher werden die Kriechtierchen in zahlreichen lateinamerikanischen Regionen ganz selbstverständlich auf Märkten und auch in Restaurants angeboten. Zudem sind sie äußerst nahrhaft und im Vergleich mit anderen Tieren genügsam und überaus problemlos zu züchten. Dass das auch zu Hause geht und Zukunft hat, will die österreichische Designerin Katharina Unger beweisen. Mit ihrem Startup Livin Farms bietet sie mit The Hive eine Mehlwurmzucht für die Küche an. Der rund 60 Zentimeter hohe Turm besteht aus mehreren Schubladen. In denen werden die Würmer durch ihre verschiedenen Lebensstadien herangezogen. Unverpuppte Tiere werden im obersten Fach gelagert. Mehlkäfer können sich dann in einer mittleren Lade paaren – wobei deren Eier direkt in ein Fach darunter fallen. Die verzehrbereiten Mehlwürmer landen wiederum in einem Fach ganz unten – wo ein Rüttelsystem sie von Dreck und unverpuppten Exemplaren trennt. Der ganze Prozess soll hygienisch und geruchlos von statten gehen. Vor zwei Jahren hatte Unger ihre Idee auf Kickstarter finanziert. Mittlerweile ist die The-Hive-Farm für 579 US-Dollar zu haben.

Dörrwerk

Tagtäglich landen Tonnen von Tomaten, Erdbeeren und Äpfeln nach der Ernte im Abfall. Nicht weil sie nicht essbar wären, sondern weil sie die Abnahmevorschriften von Händlern nicht erfüllen – etwa Druckstellen aufweisen oder ästhetisch einfach nicht ansprechend gewachsen sind. Ein kleines Team aus Berlin hat daher Dörrwerk gegründet. Das Unternehmen kauft das „Wegwerf-Obst- und Gemüse“ auf, wäscht und püriert und dörrt es, um es zu hippem Knabberkram weiterzuverarbeiten. 

 Dörrwerk

Das Endprodukt sind dünne Fruchtpapierscheiben, Konfettiflocken und knusprige Chips, die derzeit in den Geschmacksrichtungen Tomate, Mango, Ananas-Apfel, Erdbeere-Apfel und Brombeere-Apfel zu haben sind. Abgesehen von den Früchten selbst und einer Basis aus Apfelmus, würden keine weiteren Zutaten oder Zusatzstoffe verwendet. Das Obst kommt bislang vielfach direkt von Landwirten aber auch Großmärkten und Importeuren, die Lieferungen aussortieren. Damit konnte das kleine Lebensmittel-Startup im vergangenen Jahr bereits über 50 Tonnen an Nahrung retten.

Impossible Foods

Wer vegetarisch oder vegan leben will, aber nicht auf den Geschmack und das Mundgefühl von Fleisch verzichten mag, der hat es schwer. Denn viele Fleischersatzprodukte werden ihrem Namen nicht gerecht. Impossible Foods, gegründet vom Biochemiker Patrick O’Reilly Brown, will nach langer Forschung eine Rezeptur entwickelt haben, die Zunge und Gaumen täuschen kann. Ihr künstliches Rinderhack und insbesondere die daraus hergestellten Burger-Patties sollen kaum vom Original zu unterscheiden sein. Sogar bluten soll das Fleisch können. Derzeit wird auch an Nachbildungen von Hühner- und Schweinefleisch geforscht. Hergestellt wird das komplett fleischlose Fleisch aus einer Mischung von Weizen, Kartoffeln, Kokosnussöl, Zucker und Aminosäuren. Wirklich fleischig würde es aber durch Leghämoglobin, das aus Soja gewonnen wird. Das ist ein Protein, das Häme – komplexe Verbindungen von Eisenionen – enthält, die dem Muskelfleisch seinen einzigartigen Geschmack verleihen. Burger mit dem Impossible-Fleisch werden in den USA schon seit 2016 in ausgewählten Restaurants angeboten und sollen durchaus überzeugen können. Aktuell wird eine Fabrik in Oakland in Betrieb genommen, wo pro Jahr bald bis zu 450 Tonnen veganes Fleisch hergestellt werden sollen.

AeroFarms

Was der plantCube für die Küche sein soll, das ist das Startup AeroFarms bereits für die Stadt. Zumindest für Newark, New Jersey. Dort hat das Unternehmen im Jahr 2015 eine aufgegebene Hallenanlage einer ehemaligen Stahlfabrik aufgekauft und binnen mehrerer Monate in eine moderne Vertikalfarm verwandelt – die derzeit größte der Welt. Seit Frühling 2016 werden auf rund 64.000 Quadratmetern rund 1000 Tonnen an Salatpflanzen und über 250 verschiedene Kräutersorten pro Jahr herangezüchtet. Die werden bereits in zahlreichen Supermärkten in den USA verkauft. Die Pflanzen wachsen dabei nicht in der Erde heran, sondern auf dünnen Stoffplanen, die über Plastikboxen gespannt sind. In deren Bauch zirkuliert ein lauwarmer Wasserdampf, der die Pflanzen über die losen Wurzeln mit Flüssigkeit und Nährstoffen versorgt. Dadurch benötigt die Aufzucht nur 10 Prozent des Wassers, das auf einem Feld eingesetzt würde. In bis zu zwölf Reihen stapeln sich die Plantagen in neun Meter hohen Regalen, die mit jeweils an die Gattung angepassten LED-Leuchten ausgestattet sind. Sensoren überwachen das Wachstum, die Färbung und damit die Gesundheit. Das soll sowohl effizient als auch platzsparend sein. Theoretisch könnte in jeder Großstadt eine solche Farm aufgebaut werden. Überall könnte damit lokal angebauter Salat vertrieben werden.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Wired.de.

Bild: Getty Images /KAREN BLEIER