Unternehmen sind in vielen Fällen zu erfolgreich, um sich mit Digitalisierung zu beschäftigen.

Der Weihnachtsbaum wird im Internet ausgesucht und kommt frei ins Haus. Per Lieferdienst. An den Zweigen flimmern statt Kerzen die smarten Lichter einer LED-Lichterkette. Und die werden über WLAN-Steckdosen und per Sprachsteuerung ins Smart Home integriert. Das Ganze gibt es sogar als Komplettpaket. Weihnachten total digital.

Was fürs Fest gilt, ist längst ein Trend in der gesamten Wirtschaft. Die Unternehmen erhoffen sich viel von E-Commerce, 3D-Druck oder Industrie 4.0 – aber die meisten sehen weder sich noch Deutschland als Wirtschaftsstandort ausreichend auf die Herausforderungen der Digitalisierung vorbereitet.

Nach einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), konnten in diesem Jahr zwar etwas mehr Betriebe infolge der Digitalisierung ihre Umsätze erhöhen – aktuell melden das 44 Prozent statt 41 im Jahr 2016. Und 67 Prozent der Unternehmen sehen durch neue, digitale Geschäftsmodelle auch größere Chancen für ihr Geschäftsmodell. Aber viele befürchten auch größere Risiken. Mehr als jedes zweite der befragten Unternehmen stellt sich zum Beispiel auf härteren Wettbewerb ein. Wie der Handel, der sich immer stärker den Online-Händlern stellen muss.

Firmen sehen Digitalisierung als unternehmerische Chance

Dabei sind die Einzelhändler für das digitale Zeitalter inzwischen vergleichsweise gut gerüstet. Es gibt kaum einen großen Anbieter, der nicht auf Internet-Shopping setzt. Andere Branchen hinken da stärker hinterher. Laut DIHK fühlt sich derzeit insgesamt nur etwas mehr als ein Viertel der Unternehmen in Deutschland „wirklich gut aufgestellt“ für die Digitalisierung (27 Prozent; 2016: 25 Prozent). „Die Betriebe befinden sich unter dem Strich auf einem guten Weg, sehen aber weiterhin erhebliche Potenziale in ihrer digitalen Entwicklung“, heißt es in der Analyse des Verbandes.

Noch drastischer ist das Bild, das der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) ermittelt hat. Laut Bitkom-Umfrage betrachten zwar 86 Prozent der Unternehmen die Digitalisierung als unternehmerische Chance. Allerdings räumt ein Viertel der befragten Firmenschefs und Manager auch ein, „die Digitalisierung gefährdet die Existenz unseres Unternehmens.“ Und 30 Prozent gaben an, das jeweilige Unternehmen habe „Probleme, die Digitalisierung zu bewältigen“.

In den Vorjahren war die Einschätzung – sowohl gegenüber dem DIHK als auch beim Bitkom – zwar noch pessimistischer. Offenbar stellen sich Deutschlands Unternehmen langsam auf die Herausforderung durch die Digitalisierung ein. Allerdings nicht schnell genug. Und der Grund dafür klingt im ersten Moment skurril: Die Unternehmen im Land sind in vielen Fällen zu erfolgreich, um sich mit der Digitalisierung zu beschäftigen.

Ökonomen warnen vor Überhitzung

Man könne gerade von Mittelständlern angesichts der guten Konjunktur nicht erwarten, nebenher noch dem gesamten Unternehmen eine digitale Strategie zu verpassen, hatte Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) jüngst im Interview mit der Welt gesagt. „Dass Kunden Schlange stehen und Werke voll ausgelastet laufen, ist ja etwas Gutes und muss erarbeitet werden. Aber vor dem Hintergrund nötiger Systemwechsel kann der Erfolg auch zum Feind werden.“ Es bleibe in vielen Fällen nicht die Luft, eine digitale Strategie für das Unternehmen zu entwickeln.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hatte im November bereits vor einer „Überhitzung“ gewarnt. „Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Überauslastung“, hieß es im Gutachten des Rats. Andere Wirtschaftsexperten sehen das anders, aber unter anderem das Kieler IfW-Institut hatte sich der Einschätzung des Sachverständigenrats angeschlossen und erklärt: „Eine Hochkonjunktur fühlt sich gut an, sie ist aber gesamtwirtschaftlich schädlich.“ Denn die deutsche Wirtschaft „steigert ihre Leistung schneller, als ihr guttut“.

„Vielen Mittelständlern fehlt dank voller Auftragsbücher schlicht die Zeit, sich um Innovationen zu kümmern, während große Unternehmen ihre Innovationsbudgets eher langfristig und strategisch planen können“, sagt Oliver Koppel vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Vor allem in den Industriebetrieben füllen sich die Auftragsbücher mit jedem Monat mehr.

Ende der Auftragsflut ist bisher nicht in Sicht

Im Oktober war das Auftragsvolumen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 0,5 Prozent höher ausgefallen als im Monat zuvor. Damit hat sich die Auftragslage in den Industriebetrieben bereits den dritten Monat in Folge verbessert und im Oktober wurde laut Bundesamt zum dritten Mal in Folge ein neuer Höchststand beim Auftragseingangsvolumen erreicht. Eine Ende der Auftragsflut: bisher nicht in Sicht.

Zum Glück, doch das bindet Kräfte, viele Unternehmen beginnen daher erst jetzt richtig damit, in digitale Produktionstechniken oder Vertriebskonzepte zu investieren. „Fast 90 Prozent der Unternehmen gehen davon aus, wegen der Digitalisierung zusätzliches Kapital einzusetzen. Genauso viele Betriebe sehen die Notwendigkeit, Mitarbeiter weiterzubilden“, sagt DIHK-Präsident Eric Schweitzer der Welt. „Damit sich diese Investitionsabsichten realisieren, brauchen die Betriebe jetzt ein starkes Signal der neuen Bundesregierung für gute Rahmenbedingungen.“

Rund jedes fünfte Unternehmen wünscht sich, dass eine neue Regierung für fairen Wettbewerb sorgt. Im Handel schließt sich dieser Forderung sogar fast jedes zweite Unternehmen an. Diese Branche ist durch die Konkurrenz aus dem Internet besonders betroffen.

Die Wirtschaft hat sehr konkrete Forderungen an die Politik. Ganz oben steht der Ruf nach einer leistungsfähigen flächendeckenden Breitbandinfrastruktur. 88 Prozent der vom DIHK befragten Unternehmen sieht das als wichtigste Maßnahme an, um beim Thema Digitalisierung voranzukommen. „Hier müssen wir auf die Überholspur wechseln und Glasfasernetze ausbauen. Dabei ist auch eine Erschließung ländlicher Regionen wichtig, da sich gerade dort viele kleine und mittlere Unternehmen befinden“, so Schweitzer. „Eine erfolgreiche Digitalisierung der Wirtschaft geht weit über Effizienzsteigerungen hinaus, hin zu neuen digitalen Geschäftsmodellen.“

Knapp zwei Drittel der Unternehmen (65 Prozent) möchten mehr Rechtssicherheit bei der wirtschaftlichen Nutzung von Daten. „Dieser eigentlich große Standortvorteil Deutschlands gerät in der neuen digitalen Welt ins Wanken“, kritisiert der DIHK-Präsident. „65 Prozent der befragten Unternehmen vermissen klare und praktikable Regeln beim wirtschaftlichen Umgang mit Daten.“

Vier von zehn Unternehmen fordern darüber hinaus, dass die Bundesregierung sich vorrangig um die Sicherstellung der Vermittlung von digitalen Basiskompetenzen in allen Bildungsbereichen kümmert. „Während wir in der Wirtschaft die vierte industrielle Revolution erleben, wird in der Schule praktisch noch mit Rechenschiebern gearbeitet“, stellt Schweizer fest.

Im Rahmen der Digitalisierungsstrategien von Bund und Ländern müssten die Berufsschulen einen besonderen Stellenwert einnehmen. „Eine zeitgemäße Ausstattung ist dringend erforderlich, damit die jungen Fachkräfte am Ende ihrer Ausbildung den Anforderungen der modernen Arbeitswelt gewachsen sind und gut vorbereitet in ihren Beruf starten können“, fordert der DIHK-Präsident.

Dieser Text schien zuerst auf Welt.de.

Bild: Monty Rakusen / Getty Images