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Viele Menschen mit Autismus sind im Arbeitsmarkt einsetzbar – scheitern aber an sozialen Hürden. Dirk Müller-Remus kennt diese Probleme, er hat einen Sohn mit Asperger-Autismus, und startete gerade mit Diversicon ein Unternehmen, das Autisten zurück in den Job bringen soll.

Der 59-jährige Müller-Remus gründete das gemeinnützige Unternehmen zusammen mit Rene Kuhlemann in Berlin. Zuvor startete er 2011 die Auticon GmbH, eine IT-Beratung, die ebenfalls auf Autisten setzt. Zu deren Kunden sollen inzwischen viele DAX-Unternehmen zählen, investiert ist unter anderem der Virgin-Gründer und Milliardär Richard Branson.

Das 2017 gestartete Diversicon befindet sich im Gegensatz dazu noch in der Startphase und sammelt seit wenigen Tagen Geld auf der Crowdfunding-Seite Companisto. Bisher sind dort etwa 300.000 Euro von 400 Unterstützern zusammengekommen. Ab 2019 prognostiziert der Gründer für sein Unternehmen ein stärkeres Wachstum, ab 2020 wolle man dann auch Menschen mit anderen Beeinträchtigungen wie etwa ADHS vermitteln. Dirk Müller-Remus im Gespräch.

Dirk, Du willst soziale Verantwortung übernehmen, gleichzeitig aber auch den Fachkräftemangel bekämpfen. Was davon steht im Fokus?

Beides. Autisten sind durch ihre verschiedenen Stärken und Spezialinteressen gut im Arbeitsmarkt einsetzbar. Das Problem ist aber, dass sie wegen ihrer Probleme bei sozialer Interaktion und Kommunikation in einem normalen Bewerbungsprozess keine Chance haben. Sie nehmen Sätze beispielsweise wortwörtlich und können sich schwer in Situationen einfühlen. Und das ist der Grund, warum wir Betroffenen eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt bauen wollen.

Auch Ihr könnt nicht jeden Autisten vermitteln, etwa auf Grund fehlender Arbeitskenntnisse oder psychosozialer Probleme. Wie viel Prozent aller Autisten sprecht Ihr also an?

Es gibt etwa 800.000 Autisten in Deutschland. In der Altersgruppe der 18- bis 55-Jährigen sind das noch etwa die Hälfte. Durch fehlende Berufskenntnisse sind es noch einmal weniger. Und auch psychosozial sind nur wenige in der Lage, einen Job aufzunehmen – beispielsweise durch fehlende Stressresistenz oder Depressionen. Und dann müssen sie auch noch aktivierbar und motivierbar sein, so bleiben etwa 24.000 Autisten, die wir adressieren können.

Ist das nicht eine viel zu kleine Zielgruppe?

Für jeden Autisten, den wir in Arbeit bringen, spart der Staat etwa 20.000 Euro im Jahr, weil Leistungsempfänger zu Leistungszahlern werden. Wenn wir beispielsweise in sieben Jahren tausend Jobs schaffen würden, dann wäre das für die Gesellschaft eine Ersparnis von 40 Millionen Euro.

Welche konkreten Berufe kommen für Eure Zielgruppe in Frage?

Wir legen uns nicht auf spezielle Berufe fest, weil Autisten in unterschiedlichsten Feldern sehr gut arbeiten können. Alles was mit Strukturierung und Optimierung zu tun hat, mit Konsistenzprüfung und Qualitätsmanagement, Entwicklung, Design, Recherche oder Analyse sind optimale Aufgaben für Autisten.

Und vor welchen Herausforderungen steht Ihr?

Vor allem ist es nicht so leicht, die richtigen Leute zu finden. Wir setzen dazu auf Kontakte zum Autismus-Verband, zu Selbsthilfegruppen und Hochbegabtenvereinen.

Und wenn Ihr die richtigen Menschen gefunden habt?

Dann schulen wir sie zwei Monate lang in Methoden- und Sozialkompetenz, zugeschnitten auf das Arbeitsumfeld. Anschließend bauen wir über Zeitarbeit eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt, und zwar vermittlungsorientiert. Das heißt, dass der Kunde ein Interesse daran haben sollte, den Autisten nach der Zeitarbeitsphase zu übernehmen. Dann ist das Ziel erreicht.

Wie reagieren Unternehmen auf das Thema Autismus?

Die Bereitschaft, Menschen mit Autismus zu akzeptieren und zu respektieren, ist hoch. Man muss das Thema nur richtig kommunizieren. Wir gehen deshalb nicht über die soziale Schiene, sondern klären vor allem über die betriebswirtschaftlichen Vorteile auf – das ist eine Sprache, die Unternehmen verstehen.

Du hast vor einigen Jahren bereits Auticon gegründet, das Autisten als IT-Berater fest einstellt. Warum hast Du Dich jetzt breiter aufgestellt?

Etwa zehn Prozent aller Autisten haben ihre Stärken in der IT, aber 90 Prozent eben nicht. Mit Auticon konnten wir beweisen, dass es überhaupt funktioniert, Autisten in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen und zu integrieren. Diversicon ist der nächste logische Schritt, um das Thema rund zu machen.

Wollt Ihr auch Menschen mit anderen Entwicklungsstörungen aufnehmen?

Es gibt auch andere Menschen, die gut für den Arbeitsmarkt geeignet sind, bei denen viele aber vor allem die Schwächen sehen, beispielsweise Menschen mit ADHS, Burnout oder anderen psychischen Beeinträchtigungen. Aber erst einmal konzentrieren wir uns auf Autisten, starten in Berlin, und wenn es gut läuft, skalieren wir.

Ihr sammelt auf Companisto gerade Geld von der Crowd. Was soll damit passieren?

Wir sind noch in unserem ersten Jahr und haben vor allem Ausgaben. Wir müssen ein Team aufbauen, Zertifizierungen erlangen und die Infrastruktur schaffen. Und im ersten Jahr haben wir natürlich noch kaum Einnahmen, das wollen wir aber noch 2017 erreichen, mit Schulungen, die Autisten von der Bundesagentur für Arbeit bezahlt bekommen.

Und danach wollt Ihr über Zeitarbeit Umsätze machen?

Genau, hier werden wir dann von den Unternehmen Zeitarbeitsentgelte in Rechnung stellen. 2019 wollen wir das erste Mal Gewinn machen.

Bei Auticon habt Ihr mit Richard Branson einen prominenten Investor. Gibt es Pläne, dass er sich bei Eurem aktuellen Unternehmen engagiert?

Nein, Diversicon ist ein gemeinnütziges Unternehmen und Auticon ein gewerbliches. Daher sind beide Unternehmen komplett getrennt.

Bild: Maik Schulze