Hier geht die Sonne auf: Blick ins Silicon Valley

„Wir müssen das Silicon Valley nicht kopieren – aber kapieren“. Das forderte Thorsten Dirks, Präsident des Digitalverbands Bitkom, kürzlich im Gründerszene-Interview. Deutschland müsse von der Entwicklung des Tech-Hubs an der US-Westküste lernen. „Was ist dort passiert? Um die IT-Industrie haben sich Wissenschaft, Forschung, Universitäten, Venture Capital und schließlich Startups angesiedelt.“ 

Aber war es wirklich so? Unser Autor glaubt, der Bitkom-Chef habe die Geschichte des Silicon Valley durcheinander gebracht. In diesem Text legt er dar, wie es wirklich war. Und warum es wichtig ist, das richtig zu verstehen.

Als erstes kamen die Universitäten

Ein paar Dinge sind heute kaum mehr vorstellbar: Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war das Santa Clara Valley halbwüstes Farmland, wie man es aus John Steinbecks Geschichten kennt. San José war die Fruchteindosungshauptstadt der Westküste. Stanford  –  offiziell die Leland Stanford Junior University –  war eine kleine Privatuni mit deutschem Motto („Die Luft der Freiheit weht“) für nicht sonderlich talentierte Zöglinge aus reichem Elternhaus, und außerdem notorisch klamm. UC Berkeley im Osten der Bucht von San Francisco war das Ziel der besten Studenten, und Techies gingen eher nach Pasadena zum California Institute of Technology (Caltech).

Dann kam die Forschung

Nordkalifornien war, wie man es aus Steinbecks „Früchte des Zorns“ oder „Die Straße der Ölsardinen“ noch kennt, agrarisch, unterentwickelt und immer ein bisschen in Gefahr, von Japan aus attackiert zu werden. Deswegen waren die ersten Forschunglabore auch militärisch ausgerichtet  –  das Ames Research Center oder das Berkeley Lab sind Überbleibsel davon  – und auch der Aufstieg des autonomen Fahrens nahm seinen Anfang bei der berühmten DARPA Grand Challenge, ausgerichtet von der militärischen Forschungsagentur, die auch künstliche neuronale Netze und das Internet in die Welt gebracht hat. IBM kam als erstes Unternehmen mit Industrieforschung Mitte der 1950er nach San José, um Festplattenspeicher zu entwickeln. Xerox folgte in den 1970ern.

Danach kamen die Startups

Der Aufstieg Stanfords als intellektuelles Zentrum began aus Geldnot, als der Dekan der elektrotechnischen Fakultät, Fred Terman, Uni-Land an Kleinunternehmen verpachtete, um etwas Geld in die Kassen zu spülen. Heute würde man wohl von „Hightech-Startups“ sprechen, damals sagte man wohl eher „Laborgeräte und physikalischer Apparatebau“. Zwei von Termans Studenten, Bill Hewlett und Dave Packard, fingen in einer Garage in Palo Alto an, Oszillatoren zusammenzuschrauben und entschieden per Münzwurf, welcher der beiden Namen als erster genannt werden würde.

Aus Südkalifornien kam das Silizium

Fred Terman wird gerne als Pate des Silicon Valley bezeichnet und die Garage von Dave Packards Eltern gehört zum Gründermythos, aber wir sind tatsächlich noch nicht so weit. Beinahe wäre die Gegend um Pasadena zum Silicon Valley geworden, und es hätte durchaus auch Germanium Valley heißen können.

Der Mann, der die entscheidenen Weichen stellte, war Bill Shockley, mit Walter Brattain und John Bardeen Nobelpreisträger und Erfinder des Transistors. Shockley war ein notorisch schwieriger Mensch und verliess die Bell Labs in New Jersey im Streit, um am Caltech eine Professur anzutreten. Er hatte zu dieser Zeit auch erkannt, dass Silizium ein besseres Halbleitermaterial ist als Germanium, und fing an, damit zu experimentieren, ausgestattet mit Geld von Arnold Beckman. Weil Shockleys Mutter zu dieser Zeit krank war, entschied er sich, in ihre Nähe zu ziehen und das Shockley Semiconductor Laboratory in Mountain View zu gründen.

Aus New York kam das Venture Capital

Weil keiner seiner ehemaligen Kollegen aus New Jersey in die von der Welt abgeschnittene Bay Area ziehen wollte –  nicht zuletzt wegen seines unerträglichen Managementstils –  sammelte Shockley aus seinen Caltech-Tagen eine neue Gruppe hochtalentierter junger Forscher um sich, darunter Gordon Moore, Robert Noyce und Gene Kleiner. Diese Gruppe kam mit dem Leben in Nordkalifornien schnell zurecht, mit Shockleys zunehmend erratischen Verhalten aber immer weniger. Als es irgendwann mal zu viel wurde, fing Kleiner an, sich heimlich mit Bankiers aus New York zu treffen, darunter auch Arthur Rock.

Einer Truppe unerfahrener Forscher von der Westküste Geld für eine Firmengründung zu geben, war zu diesem Zeitpunkt für einen honorigen Wall-Street-Bankier unerhört, aber Rock fand Gefallen an Kleiner und mit Hilfe eines Darlehens von Sherman Fairchild half er einer Gruppe von acht abtrünnigen Forschern  –  den sogenannten Traitorous Eight  – Shockleys Labor zu verlassen und Fairchild Semiconductor zu gründen. Mit zu den Acht gehörten auch Noyce und Moore.

Und schließlich kam die IT-Industrie

Fairchild war nur kurzfristig erfolgreich, deswegen fiel die Gruppe der Acht auch schnell auseinander. Aber in den paar Jahren Anfang der 1960er, in denen sie den Markt für Halbleiter-Speicherchips dominierten, etablierten sie das Silicon Valley. Zur gleichen Zeit verschwanden die Pfirsichplantagen im Santa Clara Valley unter Bungalows und Parkplätzen.

Nachdem Fairchild von Texas Instruments übertrumpft worden war, gingen die meisten der Acht ihre eigenen Wege. Gene Kleiner, von Arthur Rock angefixt, gründete mit Tom Perkins von Hewlett-Packard Kleiner Perkins, die erste relevante Venture-Capital-Partnerschaft der Westküste. Die Firmenadresse war und ist die Sand Hill Road in Menlo Park.

Robert Noyce und Gordon Moore –  der Erfinder des Mooreschen Gesetz –  blieben zusammen und gründeten mit Andy Grove zusammen Intel. Arthur Rock war mit dabei und unterstützte die neue Firma mit Risikokapital und als Chairman. Nach zehn eher mittelmäßig erfolgreichen Jahren als Speicherchip-Hersteller schaffte Intel Anfang der 1980er den Sprung in den Mikroprozessor-Markt für den neuen Heimcomputer von IBM, zusammen mit einem Startup aus Redmond, das die Software lieferte.

Arthur Rock hatte danach noch ein ähnlich gutes Gespür, als er zwei Steves Gründerkapital besorgte, die ihm barfuß und ungekämmt einen zusammengeschraubten Heimcomputer namens Apple I vorstellten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Was lernen wir aus der Geschichte?

Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist verdammt, sie zu wiederholen. Deswegen sollten wir sehr darauf achten, wie die technologische Weltherrschaft an die Westküste kam und uns keine Fabeln ausdenken. Die großen IT–Unternehmen saßen damals zumeist an der Ostküste, und unter ihnen spielt einzig IBM nach vielen Wirrungen heute wieder eine herausragende Rolle.

Die Leute, die das Silicon Valley aufgebaut haben, waren meist Einzelgänger, radikal, brilliant, oft verschroben und schwierig, bereit in einer Gegend etwas aufzubauen, in der es noch nicht mal eine Telefonverbindung gab. Für die Hoffnung, dass sich um die deutsche IT-Industrie ein innovatives Ökosystem aufbaut, gibt es in der Geschichte des Silicon Valley keinen Rückhalt. Das gilt es für die deutsche Industrie schnell zu kapieren.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Medium.

Bild: Getty Images / Frank Chen