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Chahab Nastar glaubt, dass Europa die USA beim Thema Industrie 4.0 schlagen kann.

Chahab Nastar ist CIO des Europäischen Instituts für Innovation und Technologie (EIT). Die 2010 gegründete Einheit wird durch die EU finanziert und finanziert selbst Startups. EIT Digital kümmert sich um die digitalen Aspekte der Wirtschaftsförderung, also alles, was mit Startups und neuerdings auch mit Deep-Tech zu tun hat. Nastar ist selbst als Gründer tätig gewesen und kennt deshalb die Probleme, die Startups vor allem im Bereich der Internationalisierung haben können.

Chahab, warum wurde EIT Digital gegründet? Hat es den Zweck, die europäische Digital-Industrie vor der Konkurrenz aus den USA oder China zu schützen?

Einerseits leben in Europa eine Menge talentierter Gründer, andererseits wissen wir auch, dass es in Europa, verglichen mit den USA, machmal schwerer sein kann, ein Geschäft aufzubauen. Das Problem ist nicht die Gründung. Das Problem ist, wie man ein führender Anbieter werden kann. Wie kann man in einem fragmentierten Markt schnelles Wachstum finden? Und die Probleme sind ja offensichtlich. Wenn Sie jemanden bitten, die größten Tech-Firmen in Europa zu nennen, dann fällt diesem Menschen vermutlich nach etwas überlegen SAP ein. Vielleicht noch Spotify. Uns fehlt nicht das Talent, uns fehlen die großen Unternehmen.

Weil die Internationalisierung für Startups die größte Hürde in Europa ist. Es gibt keinen „single market“ wie in den USA.

Wir wissen, dass der EU-Markt in Sachen Regulierung leider noch sehr fragmentiert ist. Wegen der kulturellen Unterschiede ist es auch schwierig, ein Marketingkonzept zu entwickeln. Ein Produkt, was in Frankreich der Hit ist, interessiert in Schweden eventuell niemanden. Und genau hier sehen wir unsere Aufgabe. Wir wollen Startups bei der Skalierung helfen und auch dabei, neue Kunden zu gewinnen.

Wie soll das passieren?

Ein Beispiel: Nehmen wir an, es gibt ein deutsches Startup, das schon ein Produkt für die deutsche Autoindustrie vertreibt. Nun möchte man das Produkt aber auch in Frankreich oder Italien anbieten. Wir können dieses Startup mit Kontakten in den jeweiligen Ländern versorgen. Das gilt aber auch für Finanzierungen. Im eigenen Land Geldgeber zu finden ist leichter, als wenn man im Ausland alleine suchen muss. Aber findet man im Ausland einen VC, öffnen sich darüber auch die Türen zum Markt.

Haben Sie ein konkretes Beispiel für eine erfolgreiche Internationalisierung?

Da würde ich Navya nennen. Das französische Unternehmen hat 2014 damit begonnen, kleine, autonome Minibusse zu bauen. Wir haben Navya im ersten Schritt mit einer Finanzierung von fünf Millionen Euro geholfen. Dazu kamen dann Kontakte in die Industrie und in verschiedene Länder. Zwei Jahre später konnten sie eigenständig eine weitere Finanzierungsrunde über 30 Millionen Euro abschliessen. Und sie verkaufen ihre Minibusse mittlerweile weltweit.

Was muss ich als Gründer machen, um die Unterstützung der EIT zu bekommen?

Als erstes sollte man schon ein Produkt und Kunden haben. Wir machen keine Seed-Finanzierungen, wir suchen Startups, die zwischen 1 und 10 Millionen Euro suchen. Wenn das aber gegeben ist, dann kann man uns zum Beispiel in unseren Büros in Berlin oder München besuchen. Danach beginnt unser Auswahlprozess. In den letzten Jahren haben wir rund 250 Startups geholfen. Und im Moment suchen wir vor allem Startups, die Ideen im Bereich Deep Tech haben.

Deep Tech ist ein relativ neues Buzzword in der Szene. Wie definieren Sie diesen Begriff?

Bei Deep Tech geht es um Innovationen, die sehr tief in der Technologie verwurzelt sind. Es geht also nicht alleine um ein Design oder ein Geschäftsmodell, sondern um Forschung und Technik. Manche sagen, dass Life Science und Health Care dazu gehören. Aber im Grunde geht es um Forschung und die Produkte, die man daraus entwickelt.

Es geht also nicht um E-Commerce?

E-Commerce kann am Ende der Entwicklung ein Teil davon sein. Oder es kann die Forschung antreiben. Amazon ist ein gutes Beispiel. Die sind als E-Commerce Plattform gestartet und haben eigentlich auf eine existierende und bekannte Technologie gesetzt. Aber weil man weiter wachsen muss, haben sie den Bereich Forschung und Technik ausgebaut. Sie beschäftigen sich mit Deep Tech Bereiche wie der Künstlichen Intelligenz oder anderen Dingen. Amazon nutzt Deep Tech, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Der Startup-Markt in Deutschland ist aber massiv durch E-Commerce geprägt. Dafür hat man relativ leicht Geld bekommen. Deep Tech Startups müssen aber erst einmal Geld in die Forschung stecken und dann Kunden suchen. Sie benötigen mehr Zeit, um Geld zu verdienen. Wie sollen sie eine Finanzierung finden?

Da hat sich viel getan. Ich kenne etliche VCs, die ganz speziell auf der Suche nach Deep Tech Startups sind. Natürlich ist es immer leichter, Software zu verkaufen, weil die Entwicklung von Hardware komplexer ist. Man weiß in der Forschung nie, ob man das nächste große Ding hat und dafür auch Kunden findet. Wenn sie Apple ein paar kluge Codezeilen verkaufen, lassen die sich leichter implementieren, als wenn sie Apple einen Sensor fürs iPhone verkaufen wollen.

Deep Tech und Industrie 4.0 scheinen das nächste große Ding im Netz zu sein.

Ganz grundsätzlich: Industrie 4.0 ist ein Game Changer für Europa. Wir glauben, dass Europa Weltmarktführer in diesem Segment werden kann. Weil genau das der Bereich ist, in dem, besonders Deutschland, schon immer unschlagbar war, denn es geht immer noch um Hardware, kombiniert mit Software. Die USA sind stark in Sachen E-Commerce und Websuche, da haben sie den Krieg in vielen Bereichen gewonnen. Aber Industrie 4.0 – da kann Europa gewinnen. Ich denke sogar, dass wir im Moment da jetzt schon die Nase vorne haben.

Ein Beispiel für den Kampf im Bereich Industrie 4.0 ist die Autoindustrie. Tesla und Google vs. Mercedes und Audi und andere.

Genau. Ich bin überzeugt, dass die deutsche Autoindustrie, trotz aller Angriffe von Tesla, Uber und Google, auch in Zukunft den Markt beherrschen wird. Sie müssen allerdings viel Geld in Startups investieren, die ihnen wiederum Hard- und Software entwickeln.

Autos sind immer noch ein sehr analoges Produkt. Tesla verkauft seine Autos zum großen Teil im Internet und sie verstehen sich eigentlich als Software-Unternehmen. Sie sehen das Auto als Träger für zukünftige digitale Mobilitätsservices.

Die europäische Autoindustrie muss sich schnell ändern. Sie müssen Software-Unternehmen werden, die Autos herstellen. Die Software ist die Basis von jedem neuen Auto, das man kaufen kann, weil das auch der Teil ist, mit dem man in Zukunft Geld verdienen wird. Neue Technologien schaffen einen Vorsprung vor der Konkurrenz – aber nur, wenn man sich auch mit Software verbinden kann. Und diese Software muss so flexibel sein, dass sie sich auf neue Geschäftsmodelle anpassen lässt. Das ist kein einfacher Prozess für Unternehmen, die aus Stahl Autos herstellen. Die Autoindustrie muss schneller zu einem Software-Unternehmen werden, wie die Software-Unternehmen zu Autoherstellern. Und Startups werden der europäischen Industrie dabei helfen, diesen Wandel zu vollziehen.

Bild: EIT Digital