wolfgang kehr

In einem Alter, wo andere an Rente denken, hat er noch einmal gegründet: Der 74-jährige Wolfgang Kehr leitet das Biomedizin-Startup Epinamics. Das Unternehmen arbeitet an einem aufsprühbaren Wirkstoffpflaster, das unter anderem bei Alzheimer und Parkinson helfen soll.

Liqui-Patch heißt das Wunderpflaster von Kehr. Dessen Geschichte reicht schon ein paar Jahre zurück: Das Patent lag ursprünglich bei Intendis, einem 2005 von Kehr gegründeten und geführten Tochterunternehmen des Pharmariesen Schering. Nach der Übernahme von Schering durch die Bayer AG kaufte Kehr das Patent für das Sprühpflaster 2009 zurück. Heute entwickelt er die Technologie mit einem kleinen Team von derzeit vier Mitarbeitern in einem Labor in Potsdam weiter.

Was genau kann das Pflaster? Am ehesten zu vergleichen ist das Liqui-Patch mit einem gängigen Wirkstoffpflaster, das Wirkstoffe über die Haut abgibt. Liqui-Patch wird jedoch nicht aufgeklebt, sondern als durchsichtiger Film per Pumpenspray auf die Haut gesprüht. Das sei besonders für ältere Menschen mit motorischer Einschränkung leichter in der Anwendung, erklärt Kehr beim Besuch in seinem Berliner Büro. „Das kann jeder Patient“, sagt der Gründer.

Zudem sei der Wirkungsgrad des Medikaments durch den besonders dünnen und hoch konzentrierten Wirkstofffilm um das bis zu Fünffache höher und die Hautverträglichkeit deutlich besser als bei anderen Wirkstoffpflastern, so Kehr.

Auch sei die Sprüh-Lösung günstiger in der Herstellung als ein wirkstoffhaltiges Pflaster. Und weil die Haut durch die neue Technologie mehr Wirkstoff aufnehmen könne, werde auch die Umwelt geschont, weil beispielsweise beim Duschen weniger Rückstände ins Grundwasser gelangten.

Kehrs Unternehmen Epinamics ist allerdings nur Technologielieferant und kümmert sich um die Forschung und frühe Phase der Entwicklung. Die klinische Entwicklung bis zur Zulassung der Produkte wird dann von großen Pharmaunternehmen durchgeführt, etwa Libbs Farmaceutica. Der Arzneimittelhersteller aus Brasilien wird das Alzheimer-Medikament Rivastigmin künftig über das Liqui-Patch an den Patienten bringen. Vorerst im eigenen Land, dann im gesamten südamerikanischen Raum. Verträge mit fünf anderen Pharma-Unternehmen liefen gerade, so Kehr.

Können wir in Zukunft also auf Spritzen, Tabletten und Co. verzichten? Nein, sagt der 74-Jährige. Denn nicht jeder Wirkstoff ist geeignet, über die Haut verabreicht zu werden. Das liegt unter anderem an der Größe der Moleküle, die durch die Haut müssen. Es ist aber möglich, beispielsweise Hormone, Schmerzmittel, Antimykotika und Wirkstoffe gegen Hautkrankheiten in Zukunft über das Sprühpflaster zu verabreichen.

Um neue Projekte realisieren zu können benötigt Epinamics Geld. Bisher flossen vor allem private Mittel in das Unternehmen. Bei deutschen Venture-Capital-Geldgebern habe man kein Glück gehabt. „Risikokapital für Deutschland zu bekommen, besonders nach der Finanzkrise, war enorm schwierig“, sagt Kehr. Man habe zwar mit sehr vielen VC-Unternehmen gesprochen, doch die hätten sich von Pharmaprojekten verabschiedet, weil das Geld zu lange gebunden ist – im Gegensatz zu Medtech-Startups, wo der Exit schneller erfolgt. Bei amerikanischen VCs hätte seine Firma bessere Chancen gehabt, glaubt Kehr, doch dann hätte Epinamics wahrscheinlich in die USA ziehen müssen. „Für mich kein Problem, aber die Familie hätte sicher protestiert“, lacht der Gründer. Deshalb versucht Epinamics aktuell über die Crowdinvesting-Seite Aescuvest an Kapital zu gelangen. Mehr als 130.000 Euro sind so bisher zusammen gekommen.

Ans Aufhören denkt Kehr offenbar nicht. Auch wenn ihm klar sei, dass man „irgendwann im Alter nicht mehr so funktionstüchtig ist, wie man sich das wünscht“. Aber aus dem Mund von Wolfgang Kehr klingt das noch wie in weiter Ferne. Sich auf die faule Haut legen? Das könne er sich nicht vorstellen.

Bild: Epinamics