Die Debatte um das „Anti-Exit-Gesetz“ geht weiter: Nach der Kritik von Startup-Vertreter Filipp Piatov und dem zustimmenden Beitrag des Monopolexperten Justus Haucap geht es nun um die rechtliche Bewertung des Plans, die Fusionskontrolle auf Startups auszuweiten – vorgenommen von den Rechtsanwälten Alf-Henrik Bischke und Lukas Ritzenhoff.

Fehlende Kontrolle als Stein des Anstoßes?

Startups zeichnen sich zurzeit vor allem durch zwei Dinge aus: innovative Ideen und spektakuläre Exits. Übernahmen von Startups durch andere Unternehmen und Anteilserwerbe durch Investoren finden regelmäßig statt, weil Startups für ihre Expansion in besonderem Maße auf finanzielle Mittel angewiesen sind. Die Fusionskontrolle durch das Bundeskartellamt oder die Europäischen Kommission ist in der Regel aufgrund der geringen Umsätze der Startups nicht anwendbar.

Ausgelöst unter anderem durch die Übernahme von WhatsApp durch Facebook im Frühjahr 2014 könnte sich nun aber eine neue wettbewerbsrechtliche Dimension für Startups ergeben. Die Übernahme musste wegen des geringen Umsatzes von WhatsApp in Deutschland (unterhalb von fünf Millionen Euro – trotz circa 30 Millionen deutschen Nutzern) nicht beim Bundeskartellamt angemeldet werden. Der relativ hohe Kaufpreis von 19 Milliarden US-Dollar spielte dabei keine Rolle. Letztlich wurde der Zusammenschluss nur deshalb von der Europäischen Kommission überprüft, weil die Parteien dies beantragten. Ansonsten hätte die Übernahme von drei EU-Mitgliedstaaten (Großbritannien, Spanien und Zypern), deren Aufgreifschwellen erfüllt waren, separat geprüft werden müssen.

Fusionskontrolle – was ist das eigentlich?

Zusammenschlüsse oder der Erwerb von Anteilen an einem Unternehmen stellen nach dem deutschen und europäischen Wettbewerbsrecht unter bestimmten Voraussetzungen anmeldepflichtige Vorhaben dar. Durch die behördliche Kontrolle soll eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch beispielsweise übermäßige Marktmachtkonzentration verhindert werden. Die Anmeldepflicht bedeutet, dass der Zusammenschluss oder Anteilserwerb nicht vollzogen werden darf, bis – je nach Umsatz der beteiligten Unternehmen – entweder das Bundeskartellamt oder die Europäische Kommission ihn freigegeben hat.

Wann ist ein Fusionskontrollverfahren erforderlich?

Die deutsche Fusionskontrolle wird durch die Überschreitung einer Umsatzschwelle ausgelöst. Ein Zusammenschluss muss grundsätzlich beim Bundeskartellamt angemeldet werden, wenn die beteiligten Unternehmen gemeinsam im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr einen weltweiten Umsatz von über 500 Millionen Euro hatten, mindestens ein Beteiligter einen innerdeutschen Umsatzes von 25 Millionen Euro und mindestens ein weiterer Beteiligter einen innerdeutschen Umsatz von mehr als fünf Millionen Euro generiert hat.

Die Umsatzschwellen bei der Europäischen Kommission sind noch einmal erheblich höher. Aufgrund ihrer geringen Umsätze sind Exits bei Startups vor allem in der Gründungsphase meist weder in Deutschland noch bei der Europäischen Kommission anmeldepflichtig.

Wie läuft ein Fusionskontrollverfahren ab?

Werden die Umsatzschwellen von den betreffenden Unternehmen überschritten, muss der Zusammenschluss (ausgehend davon, dass die Schwellen für die Anmeldung bei der Europäischen Kommission bei Startups in der Regel nicht erfüllt sein werden) beim Bundeskartellamt angemeldet werden. Für eine solche Anmeldung werden unter anderem eine Erläuterung des Zusammenschlusses, eine Beschreibung der Tätigkeiten der Unternehmen und eine Beschreibung der betroffenen Märkte hinsichtlich des Gesamtmarktvolumens, der Wettbewerber der Marktanteile und der Umsätze benötigt.

Unter Umständen sind auch interne Unterlagen, welche Aussagen zur Wettbewerbssituation enthalten, vorzulegen. Wichtig ist es, etwaige Anmeldepflichten bereits bei den Vertragsverhandlungen zu berücksichtigen. Es empfiehlt sich, eine erforderliche Anmeldung parallel zu Vertragsverhandlungen vorzubereiten, um Verzögerungen durch die Fusionskontrolle zu minimieren. Der Eingang einer Anmeldung wird vom Bundeskartellamt auf seiner Webpage bekannt gemacht. Die Anmeldung macht den Exit daher publik.

Das Bundeskartellamt prüft nach Eingang der Anmeldung, ob durch den Zusammenschluss eine Verminderung des Wettbewerbs zu erwarten ist. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird. Das Bundeskartellamt hat nach der Anmeldung einen Monat Zeit, den Fall näher zu prüfen. Hat die zuständige Beschlussabteilung keine Bedenken, gibt sie den Zusammenschluss spätestens nach Ablauf dieser Frist frei und der Zusammenschluss kann vollzogen werden. In schwierigeren Fällen leitet das Bundeskartellamt das Hauptprüfungsverfahren ein. Im diesem seltenen Fall hat das Bundeskartellamt vier Monate Zeit, Stellung zu nehmen und mit einer förmlichen Verfügung und Begründung über die Untersagung oder die Freigabe (gegebenenfalls unter Auflagen) des Zusammenschlusses zu entscheiden.

Welche Reformüberlegungen könnten Startups betreffen?

Ausgelöst durch die in Deutschland nicht anmeldepflichtige Übernahme von WhatsApp durch Facebook erwägt die Bundesregierung derzeit eine Gesetzesänderung. Wie sich aus dem jüngst veröffentlichten Jahreswirtschaftsbericht 2016 ergibt, will sie dabei insbesondere der Veränderung der Märkte durch die Digitalisierung Rechnung tragen. Umsatzschwellen, die derzeit für das Aufgreifen eines Falles die relevante Größe sind, sollen danach nicht mehr das allein maßgebliche Kriterium sein. Bei Unternehmen, die im großen Umfang kostenlose Dienstleistungen anbieten, ist nämlich häufig der Umsatz nicht die maßgebliche Richtgröße zur Beurteilung ihrer wettbewerblichen Relevanz.

Bereits 2013 veranlasste Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ein Gutachten der Monopolkommission zur Analyse der Markstrukturen digitaler Märkte, das im Sommer 2015 veröffentlicht wurde. Die Monopolkommission ist ein unabhängiges Gremium, das die Bundesregierung und die Öffentlichkeit in den Gebieten Wettbewerbsrecht und der Regulierung berät. In dem Gutachten stellte die Monopolkommission fest, dass in digitalen Märkten Unternehmen trotz relativ geringer Umsätze wirtschaftlich sehr beachtliche Datenbestände besitzen.

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Der Monopolkommission zufolge können diese Datenbestände zu erheblicher Marktmacht führen. Die Übernahme innovativer Startups durch bereits etablierte Unternehmen könne so dann leicht zur Marktbeherrschung führen. Mehrseitige Plattformen, wie soziale Netzwerke und Suchmaschinen, gewinnen mit der steigenden Gesamtzahl der Nutzer zudem an Attraktivität und sollen der Monopolkommission zufolge dadurch Konzentrationstendenzen und Machtstellungen begünstigen, die Missbrauchspotentiale und Markteintrittsbarrieren darstellen können.

In der nun geplanten und bereits viel kritisierten Gesetzesinitiative soll ein Zusammenschluss von Unternehmen möglicherweise nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Umsatzvolumens, sondern auch des Transaktionswerts, das heißt insbesondere des Kaufpreises bewertet werden. So möchte die Bundesregierung dafür sorgen, dass Übernahmen von Unternehmen mit geringen Umsätzen, aber wertvollen Datenbeständen vom Bundeskartellamt geprüft werden können.

Der Jahreswirtschaftsbericht enthält keinen konkreten Gesetzesentwurf und nennt auch keine konkrete Schwelle für den Transaktionswert. Die Monopolkommission hatte in ihrem Gutachten eine Schwelle von 500 Millionen Euro vorgeschlagen, wobei eines der beteiligten Unternehmen einen Mindestumsatz in Deutschland von 25 Millionen Euro haben müsste. In der US-amerikanischen Fusionskontrolle ist der Transaktionswert bereits eine der Aufgreifschwellen. Neben den Umsätzen der Parteien spielt dort als zusätzliches Kriterium der Wert der Transaktion eine Rolle. In der gerade aktualisierten Fassung liegt die Schwelle für 2016 bei 78,2 Millionen US-Dollar, daneben müssen die Parteien aber auch gewisse Umsatzschwellen in den USA überschreiten. Erst ab einem Transaktionswert von mehr als 312,6 Millionen US-Dollar kommt es auf die Umsätze grundsätzlich nicht mehr an.

Anstelle einer Transaktionswertschwelle wäre es auch denkbar, eine Schwelle einzuführen, die auf die Marktanteile der Beteiligten abstellt. Dieser Weg ist allerdings wenig praktikabel, weil der Marktanteil je nach Definition des relevanten Marktes stark variieren kann und dadurch im Einzelfall Rechtsunsicherheit über die Anmeldepflicht bestehen könnte. Das gilt insbesondere in Bezug auf digitale und innovationsgetriebene Märkte, für die es häufig noch keine etablierte Entscheidungspraxis zur Marktabgrenzung gibt.

Was bedeuten die vorgeschlagenen Änderungen für die Praxis?

Es bleibt abzuwarten, ob und in welcher Form die derzeitigen Pläne tatsächlich umgesetzt werden. Sollte eine dem US-amerikanischen „size of transaction test“ entsprechende Schwelle bezüglich des Transaktionswerts eingeführt werden, sollte diese im Bereich von mehreren hundert Millionen Euro liegen. Eine zusätzliche Voraussetzung müsste ein Bezug der Parteien zu Deutschland (also etwa Umsatz oder Assets in Deutschland) sein. Denn eine wesentlich niedrigere Schwelle würde dazu führen, dass zahlreiche Vorhaben anmeldepflichtig würden, die derzeit mangels wettbewerblicher Relevanz nicht der Kontrolle des Bundeskartellamts unterliegen. Daran haben weder die Unternehmen noch das Bundeskartellamt Interesse.

Eine hohe Transaktionswertschwelle im Milliardenbereich wäre ebenfalls nicht sachgerecht. Denn sie würde nur sehr vereinzelt greifen. Bei Transaktionen in dieser Größenordnung wären in der Regel die existierenden Umsatzschwellen bereits erfüllt und die Vorhaben damit sowieso anmeldepflichtig. Zusätzliche Anmeldepflichten würden sich nur in absoluten Ausnahmekonstellationen – wie Facebook/WhatsApp – ergeben. In solchen Fällen würden die Parteien regelmäßig ohnehin in einigen EU-Mitgliedstaaten anmelden müssen und – zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen einzelner nationaler Wettbewerbsbehörden – auf eine Verweisung zur Europäischen Kommission zur einheitlichen Entscheidung hinwirken. Für die meisten Startups ergeben sich also aller Voraussicht nach durch die geplante Einführung einer Transaktionswertschwelle keinerlei Änderungen und damit kein zusätzliches „red tape“ beim Exit.

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