Und ewig lockt das Computerspiel

Die Diskussion gibt es so lange, wie es Computerspiele gibt: Machen die Spiele abhängig oder werden Jugendliche durch sie sogar gewalttätig? Wir haben mit einem Mann gesprochen, der sich damit auskennt. Kai Müller von der Uni Mainz forscht nicht nur auf diesem Gebiet, er bietet auch Therapien für Menschen an, die gefährdet oder bereits spielsüchtig sind.

Warum werden junge Leute spielsüchtig?

An Beantwortung dieser Frage wird gerade intensiv geforscht, weil die Antwort wichtig wäre, um Präventionsstrategien zu entwickeln. Die sind im Moment noch nicht auf dem Markt, werden aber dringend gebraucht. Man geht bei Suchterkrankungen immer vom Zusammenspiel mehrerer Faktoren aus. Ein Faktor ist das Angebot, das genutzt wird. In diesem Fall Computerspiele. Bei Games gibt es häufig Features, die belohnend auf mich wirken und dafür sorgen, dass ich eine Spielbindung entwickle. Das kann dann irgendwann auch exzessive Züge annehmen. Ein zweiter Faktor sind Voraussetzungen, die in der Persönlichkeit des Spielers liegen. Die dritte Säule des sogenannten Suchtdreiecks sind soziale Faktoren. Inwieweit ist jemand in ein soziales Umfeld eingebunden – oder eben nicht.

Welche Persönlichkeitsmerkemale prädestinieren mich dafür, abhängig zu werden.

Da gibt es einige Hinweise. Zum Beispiel Introvertiertheit, Zurückgezogenheit, also die Schwierigkeit auf andere Menschen zuzugehen, sich anzuvertrauen, sich anderen mitzuteilen. Ein weiterer Faktor ist eine erhöhte Grundängstlichkeit und hohe Stressanfälligkeit.

Angenommen, es gebe keine Computerspiele, würden sich gefährdete Menschen eine andere Sucht suchen?

Das kann schon sein. Ein Anteil dieser Menschen würde ein anderes Problemverhalten entwickeln. Vielleicht eine Glücksspielsucht oder Cannabis-Abhängigkeit. Da gibt es auch gewisse Parallelen. Ein anderer Teil würde keine Pathologie entwickeln. Alleine das Vorhandensein dieser Games bringt eine gewisse Dynamik mit sich.

Wie viele Menschen in Deutschland sind abhängig von Computerspielen?

Es gibt Schätzungen. Es sollen ungefähr ein Prozent der Gesamtbevölkerung sein. Das sind etwa 500.000 Personen.

Haben Sie das Gefühl, dass es gerade mehr werden?

Ich habe den Eindruck, der Anteil bleibt relativ konstant. Zum Glück. Esstörungen und Schizophrenie treten auch mit der Häufigkeit von einem Prozent auf.

Wann beginnt die Sucht?

Ein wichtiger Punkt ist Kontrollverlust. Inwieweit ist die betroffene Person noch in der Lage, ihr Nutzungsverhalten zu steuern? Auch damit aufzuhören. Inwieweit spürt der Spieler einen inneren Drang, spielen zu müssen? Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt. Ein anderer Punkt: Führt das exzessive Spielen zu negativen Konsequenzen in anderen Lebensbereichen? Betroffene Menschen mit einer Computerspielsucht funktionieren einfach nicht mehr im Alltag.

In vielen Games ist man automatisch mit anderen Spielern vernetzt. Ist es dadurch gefährlicher geworden?

Ja. Davon geht man aus. Soziale Komponenten in modernen Onlinespielen leisten einen Beitrag zu einer erhöhten Spielbindung und sorgen dafür, dass gefährdete Spieler noch schneller in eine Sucht abgleiten. Man will seine Spielerfreunde nicht im Stich lassen. Auch das Erlebnis, dass man in einer virtuellen Gemeinschaft einen gewissen sozialen Rang einnehmen kann, trägt dazu bei.

Es heißt oft, dass Spieler in eine „andere Welt“ flüchten. Was ist an dieser anderen Welt so verlockend?

Spielsüchtige haben das Gefühl, dass in diesen virtuellen Welten die Regeln einfach klarer sind. Die Rollenverteilung und die eigene Rolle sind klarer. Einzelne Ziele sind klarer. Und es ist auch klarer, wie ich diese Ziele erreichen kann. Außerdem kann man in eine andere Rolle schlüpfen und seiner Spielfigur Eigenschaften zuweisen, die man im normalen Leben nicht hat.

Wie können Sie Betroffenen helfen?

Wir schauen, ob der Betroffene überhaupt eine Motivation hat, Hilfe von uns anzunehmen. Im Anfangsstadium der Sucht gestehen sich Betroffene häufig nicht ein, dass sie ein Problem haben. In vielen Fällen muss man abwarten, bis der Spieler merkt: Hoppla, da läuft etwas aus dem Ruder, ich spiele zu viel und habe das nicht mehr unter Kontrolle. Außerdem besprechen wir mit dem Spieler, wie es zu der Sucht kommen konnte und welche zusätzlichen Probleme er mitbringt. In unserer Praxis bieten wir dann eine Verhaltenstherapie an. Angelegt an Behandlungstherapien, die man aus anderen Suchtherapien kennt.

Kennen Sie sich eigentlich mit Gaming aus?

Ja, ich kenne mich aus. Online-Rollenspiele habe ich aus beruflichen Gründen angespielt. Ich finde es wichtig, dass man sich als Therapeut damit auskennt, weil man dadurch im Kontakt mit dem Patienten eine gewisse Gesprächsbasis schaffen kann. Das hilft beim Kontaktaufbau.

Ist es nicht eigentlich das Ziel von Spieleherstellern, ihre Kunden abhängig zu machen?

Ja. Das kann man schon so sagen. Ich denke, dass die Spieleindustrie Spiele konzipiert, die einen hohen Bindungsfaktor beinhalten, die aber nicht das primäre Ziel haben, eine große Suchtwelle zu generieren. Aber Spielbindung ist ein Verkaufsfaktor von Computerspielen. Keine Frage.

Gibt Spiele, die besonders gefährlich sind?

Ja. Grundsätzlich das Genre der Online-Rollenspiele. Der Klassiker World of Warcraft wird von unseren Klienten immer noch relativ häufig gespielt. Bei jüngeren Patienten ist das dann League of Legends.

Sie haben ein Smartphone, oder? Haben Sie da auch Spiele drauf?

Eigentlich nur Quizduell. Ansonsten nutze ich langweilige, pragmatische Apps. Die Deutsche-Bahn-App und WhatsApp.

Kai Müller, geboren 1979 in Wiesbaden, ist seit Eröffnung der Grüsser-Sinopoli Ambulanz für Spielsucht der Universitätsmedizin Mainz im März 2008 dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt. Außerdem ist er Dozent für Medizinische Psychologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zu seinen Kernaufgabenbereichen zählen die Erforschung von Verhaltenssüchten (insbesondere Internetabhängigkeit, Pathologisches Glücksspiel und Arbeitssucht) auf neurowissenschaftlicher, persönlichkeits- und sozialpsychologischer Ebene, sowie deren (Differential-)Diagnostik und die Identifizierung von Risikofaktoren für Verhaltenssüchte. Daneben beschäftigt er sich mit Fragestellung der forensischen Psychologie (psychophysiologische Aussagebeurteilung und Implikationen der antisozialen Persönlichkeitsstörung).

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