soundcloud ljung
soundcloud ljung Soundcloud-Gründer Alexander Ljung

Wer hier angekommen ist, hat es geschafft: holzvertäfelte Empfangsbar, hohe Decken und sehr wenige Designermöbel aus Holz und Glas auf sehr viel Platz. Das ist nicht das Silicon Valley, es ist die Rheinsberger Straße in Berlin, nahe der Straßenbahnhaltestelle Bernauer Straße. Es sind die Büros des Berliner Onlinemusikdienstes Soundcloud, der sich vom Startup zum Unternehmen gemausert hat und zuletzt laut Medienberichten mit über 1,2 Milliarden Dollar von den Investoren bewertet wurde. Mitarbeiter werden gut bezahlt und mit Optionen für den Fall eines Börsengangs oder Verkaufs von Soundcloud ausgestattet.

Die Realität aber in der Berliner Startup-Welt sieht für die meisten ganz anders aus: Vor allem die kleinen und jungen Startups setzen stark auf Praktikanten und Billiglöhner – auch wenn ihnen das neue Gesetze inzwischen deutlich schwerer machen.

Wer Marketing, PR oder Webdesign macht, verdient in der Regel deutlich schlechter als beispielsweise die begehrten Programmierer – vor allem bei einem kleinen Startup. Und geradezu prekär sind die Beschäftigungsbedingungen in Berlin häufig für Designer und Webdesigner. Ein Gehalt von 32.000 Euro im Jahr ist hier nicht unüblich, berichtet einer aus der Szene. „Es ist schon fast traurig, wie wenig jemand verdient, der sich mit einem Titel wie Art Director schmücken darf“, sagt er.

2.000 Euro Fixgehalt für Servicemitarbeiter

Vergleichsweise wenig verdienen in der Regel auch Mitarbeiter im Kundenservice, sagt Michael Hensch, Kommunikationschef des Startup-Bauers Makers aus Berlin. Das Fixgehalt sei hier bei Berufseinsteigern selten höher als 2.500 Euro brutto im Monat. Anders als in den meisten anderen Berufen der Startup-Welt haben hier allerdings auch viele keinen Studienabschluss.

Wer im Kundenservice mehr verdienen will, muss das über den Bonus ausgleichen. Wirklich reich werden aber selbst die Besten nicht: Mitarbeiter mit vier, fünf Jahren Berufserfahrung erreichten hier selten höhere Gehälter als 4.000 Euro brutto. Auch im Marketing sehe es nicht viel besser aus, sagt Hensch: 2.700 bis 3.400 Euro im Monat seien hier zu Beginn üblich. Die entsprechenden Jobs seien trotzdem begehrt: „Man macht sich attraktiv für klassische Unternehmen, weil man Digital Native ist und zusätzlich praktische Erfahrung mit digitalen Geschäftsmodellen vorweisen kann.“ Zudem seien für viele Spaß im jungen Team und flexible Arbeitszeiten ein Plus, und die Eintrittsbarrieren seien geringer als bei klassischen Unternehmen.

Wirklich harte, repräsentative Zahlen zum Gehaltsgefüge der deutschen Startup-Szene gibt es nicht – dafür mangelt es alleine schon an einer genauen Definition des Begriffs Startup. Wie alt darf das Unternehmen sein? Was gilt noch als Tech-Branche?

Einen Eindruck davon, wie es um die Gehälter steht, kann man aber dennoch gewinnen: Einmal jährlich vermisst der Bundesverband Deutsche Startups die Szene deutschlandweit und fragt dabei auch nach dem Einkommen. Zudem veröffentlichte Gründerszene zusammen mit Partnern zuletzt im Dezember 2014 einen Gehaltscheck.

Für einen Altersdurchschnitt von 29 Jahren ist das ermittelte mittlere Gehalt (Median) von rund 54.700 Euro jährlich inklusive Bonus recht ordentlich. Wer sich in der Berliner Szene umhört, erfährt aber schnell, dass die so erfragten Gehälter höchstens ein Teil des Bildes sein können: Unter jungen Startups gelten vielmehr 40.000 Euro brutto im Jahr als klassisches Einstiegsgehalt, selbst für die Gründer. Auch beim Startup-Bauer Rocket Internet schuften Gründer und mittleres Management für am Anfang 40.000 bis 60.000 Euro im Jahr, berichtet eine mit den Gehältern vertraute Person. Programmierer, Anwälte und Mitarbeiter mit besonderer Erfahrung können teilweise deutlich mehr verlangen – Einstiegsgehälter im Bereich Marketing und PR liegen aber eher darunter.

Gründer am Rande des Existenzminimums

Glaubt man der jüngsten Erhebung des Bundesverband Deutsche Startups, die im September 2014 veröffentlicht wurde, müssen viele Gründer – fast alle haben studiert – oft viele Jahre mit vergleichsweise wenig Gehalt auskommen. Als mittleren Wert gaben die 902 befragten Start-up-Gründer an, im Monat 2.519 Euro zu verdienen (rund 30.000 Euro im Jahr).

In der sogenannten Later Stage, also nach einigen Finanzierungsrunden, steigt das Gehalt dann sprunghaft an – auf ein Bruttoeinkommen von im Mittel 6.550 Euro im Monat. Allerdings erreichen viele Start-ups diese spätere Finanzierungsphase gar nicht.

Und selbst die so begehrten Programmierer können in Berlin nicht generell Mondpreise verlangen: Ein größeres Softwareunternehmen mit Standorten unter anderem in Hamburg und Berlin gewährte der Welt einen Einblick in die Gehaltsstruktur für Programmierer: Ein typischer Programmierer mit Berufserfahrung verdient in dem Unternehmen am Standort Hamburg samt Boni über 70.000 Euro, ein Junior-Programmierer samt Boni rund 44.000 Euro. Das deckt sich in etwa mit den Erwartungen von IT-Nachwuchskräften: Laut einer Erhebung der „Computerwoche“ erwarten ausgebildete Informatiker nach der Uni ein Einstiegsgehalt von etwas über 46.000 Euro im Jahr und sind dafür bereit, 41 Stunden die Woche zu arbeiten.

„Es gibt einen großen Zuwachs aus Spanien und Italien, die wollen einfach nach Berlin“, sagt ein Gründer über die Programmierer der Hauptstadt. In seinem Startup mit rund zehn Mitarbeitern verdient niemand mehr als 55.000 Euro im Jahr – inklusive Geschäftsführer und Gründer, wobei diese wie üblich natürlich die höchsten Anteile halten. Generell werden die Gehälter der Gründer von Startups in der Regel mit jeder neuen Finanzierungsrunde neu verhandelt.

Investmentbanker verzichten auf Traumgehälter

Doch die Startup-Szene übt auf bestimmte Persönlichkeiten eine große Anziehungskraft aus. Nicht wenige gut bezahlte junge Investmentbanker oder Unternehmensberater, die Gehälter von mehr als 100.000 Euro jährlich verdienen – in Einzelfällen auch mehr als 200.000 Euro – verzichten auf ihren schon in jungen Jahren erreichten Lebensstandard, um zu gründen, berichtet Serienunternehmer und Wagniskapitalgeber Christoph Gerlinger von der German Startups Group.
„Die Gründer haben seit einigen Jahren eine ganz andere Qualität in Berlin, das sind nicht wie vor einigen Jahren Glücksritter, die woanders gescheitert sind“, sagt der Investor. Gerlinger hat mehrere Startups in Deutschland an die Börse gebracht und hält über sein Unternehmen kleine Anteile an Unternehmen wie Soundcloud, Delivery Hero oder Mister Spex.

Mit der Hoffnung, Multimillionär zu werden, geben sich die ehemaligen Berater oder Investmentbanker dann einige Jahre mit Gehältern von 3.000 oder 4.000 Euro im Monat zufrieden, die auf einen Betrag im unteren fünfstelligen Bereich aufgestockt werden, wenn die Startups größer werden.

Auf der anderen Seite werden die Gründer natürlich auch mit den größten Anteilen am Unternehmen belohnt und hoffen auf den großen Exit – die Ablösung der frühen Investoren, meist durch einen Verkauf oder in seltenen Fällen auch durch einen Börsengang. Für die Mehrzahl der Start-ups kommt der Exit allerdings nie. Wächst das Unternehmen aber auf eine kritische Größe und gelingt der Exit, sind auch schon mal zweistellige Millionensummen drin – „pro Kopf“, sagt Gerlinger.

Doch der Weg dahin, sofern er überhaupt gelingt, ist lang und beschwerlich: Selbst wenn der Wert des Unternehmens – testiert durch weitere Investoren – steigt, so handelt es sich bei den Vermögenswerten doch um eine sehr illiquide Anlage, die darüber hinaus noch mit einem sogenannten Blockrisiko verbunden ist. Denn scheitert die Firma, ist nicht nur das Gehalt weg, sondern mit einem Schlag auch das Firmenvermögen wertlos. Banken verweigern Gründern daher gerne Kredite, selbst wenn sie auf dem Papier längst Multimillionär sind, sagt Gerlinger.

Experten schätzen, dass auch in Berlin rund neun von zehn Start-ups scheitern. Oft allerdings schon sehr früh. Dann ist der Schaden begrenzt.

Hier geht es zu Teil zwei des Texts: Viele BWLer, wenig Programmierer

Bild: Soundcloud

Viele BWLer, wenige Programmierer

Nach Einschätzung von Anna Ott, Expertin für Personalfragen bei digitalen Unternehmen, müssen Gründer in der Regel sogar die größten Abstriche beim Gehalt machen. „Da wird der Bleistift von den Investoren besonders stark gespitzt.“ Gerade für die begehrten Entwickler dagegen könne man die Geldgeber als Startup schon eher überzeugen, tiefer in die Tasche zu greifen: 60.000 Euro im Jahr seien hier selbst für Startups in der Frühphase drin. Ansonsten sei das Gehaltsgefüge vor allem durch Angebot und Nachfrage auf dem Startup-Arbeitsmarkt geprägt: „Es gibt einen Überhang an generalistischen BWLern“, sagt Ott vom Startup-Förderzentrum Hubraum.

Der überwiegend staatlich finanzierte High-Tech Gründerfonds (HTGF), der in junge Startups in der Regel 500.000 Euro investiert, gibt transparent Auskunft zumindest über die Gehälter des Managements: In den jungen Startups, der sogenannten Seed-Phase, verdienen die Gründer und Geschäftsführer ein mittleres Gehalt von 62.000 Euro.

127 Manager aus dem Startup-Portfolio des Fonds befinden sich derzeit in dieser Frühphase. 152 Manager aus den Portfolio-Unternehmen des HTGF sind schon weiter und haben in Folgerunden weiteres Kapital aufgenommen – hier verdienen die Manager ein mittleres Gehalt von 88.000 Euro. Noch steiler bergauf geht es bei Managern, deren Unternehmen schon mehr als fünf Millionen Euro Kapital aufgenommen haben. Die 23 Manager im Portfolio des Fonds, für deren Unternehmen das zutrifft, verdienen im Mittel 177.000 Euro im Jahr. Alle Angeben beziehen sich auf die Bruttogehälter inklusive Boni.

Mit jedem Gehaltsschritt nach oben müssen die Manager allerdings auch deutlich Anteile an ihrem Unternehmen abgeben: Während in der Seed-Phase im Schnitt noch 33 Prozent der Anteile in Managerhand sind, sind es in der zweiten Phase im Schnitt noch 20 Prozent. Bei den Unternehmen mit mehr als fünf Millionen Euro Finanzierung schrumpft der Anteil auf nur noch 5,9 Prozent. Allerdings werden in dieser Phase auch häufig externe Manager an Bord geholt, die nicht mehr die eigentlichen Gründer sind und nicht mit Anteilen, sondern lediglich mit Optionen beteiligt werden.

Es geht um mehr als Geld

Die Zahlen zeigen: Von Jobs in der Startup-Szene versprechen sich Mitarbeiter und Gründer daher oftmals andere Dinge als kurzfristig ein hohes Gehalt. „Vor allem macht es viel Spaß“, berichtet einer aus der Szene, der selbst gegründet hat. „Man bekommt sehr schnell Verantwortung übertragen.“ Zudem lerne man viel und erlange Wissen, das man sowohl in späteren Jobs als auch für eine mögliche eigene Gründung gebrauchen könne.

„Im Mittelpunkt steht der Wille, etwas Eigenes zu machen“, sagt Susanne Krehl, Marketingchefin des Startups Barzahlen. Rocket Internet, der Platzhirsch in Berlin, der Start-ups wie am Fließband aufbaut, sehen viele Unternehmer dabei als eine Art Gründerakademie.

Die niedrigen Gehälter selbst für die Geschäftsführer sind dabei auch Kalkül: In der Anfangsphase eines Start-ups geht es vor allem darum, das Geschäftsmodell zum Laufen zu bringen und die dafür nötige Finanzierung zu stemmen. Je weniger Gehalt sich die Gründer dabei gönnen, desto weniger Kapital müssen sie in dieser frühen Phase aufnehmen.

Vor allem geht es ihnen meist darum, nicht schon in der Frühphase zu viele Anteil am Unternehmen abzugeben – den Finanzierungsbedarf, der auch durch Gehälter nach oben getrieben wird, gilt es daher schlank zu halten.
Und auch einige Mitarbeiter machen sich in der Regel Hoffnungen auf den großen Exit. In einigen Startups sind fünf bis zehn Prozent der Firma für den sogenannten Employee Stock Ownership Plan (ESOP) vorgesehen – die Beteiligung der Mitarbeiter an der Firma. In der Regel wird dieser spätestens mit der A-Finanzierungsrunde ausgearbeitet.

Der Trend ging dabei in der deutschen Startup-Szene zuletzt zu virtuellen Unternehmensanteilen, vor allem, um die Notarbürokratie zu umgehen. Diese sichern zwar eine Beteiligung an einem Exit, sind aber keine echte Miteigentümerschaft samt Mitbestimmungsrechten. Allerdings bekommen bei Weitem nicht alle Mitarbeiter Unternehmensanteile – meist sind es diejenigen, die das Unternehmen halten möchte.
„ESOPs sind nicht so verbreitet, wie gerne kolportiert wird“, sagt Michael Hensch vom Startup-Bauer Makers. Startups versuchten stattdessen, wichtige Mitarbeiter mit unbefristeten Verträgen und regelmäßigen Gehaltssteigerungen zu binden.

Für einige scheint Gründen schon eine Art Lebensstil geworden zu sein: „Die meisten wohnen in WGs, der Lebensstil ist ziemlich studentisch“, sagt jemand aus der Szene. Bei manchen kann auch die Ernsthaftigkeit der unternehmerischen Ambitionen bezweifelt werden. „Es gibt ja diesen Begriff ‚funemployed‘“, sagt Anna Ott von Hubraum – nahe an der Arbeitslosigkeit, aber Spaß dabei. „In Berlin kann man sich ja mit ein bisschen Arbeit ganz gut über Wasser halten“, so Ott. „Und irgendeinen im ‚St. Oberholz‘, der eigentlich auch arbeitslos ist, aber ‚eigene Projekte macht‘, findet man immer.“

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Die Welt.

Bild: © panthermedia.net / Andriy Popov