Eigentlich ein Mann der leisen Töne: FiftyThree-Gründer Georg Petschnigg an der Taschentrompete

„Wir machen, was wir lieben“, heißt es auf der Homepage von FiftyThree. Julian Walker, Andrew Allen und Georg Petschnigg sind Gründer aus Leidenschaft. 2011 starteten die drei Ex-Microsoft-Mitarbeiter in New York ihr Startup FiftyThree. Ihr erstes Produkt – die iPad-Zeichen-App Paper – wurde gleich ein Riesenerfolg, Apple zeichnete das Programm als iPad-App des Jahres 2012 aus.

Seither hat FiftyThree zwei weitere Produkte im Portfolio, über 50 Leute arbeiten für das Startup. Vor wenigen Wochen gab es in der Serie-B-Finanzierungsrunde 30 Millionen US-Dollar.

CEO Georg Petschnigg, US-Amerikaner mit deutsch-belgisch-österreichischen Wurzeln, sprach mit uns über Kreativität, Konzernstrukturen und die Vorzüge des iPads. Auf Deutsch übrigens, wenn auch mit starkem amerikanischem Akzent.

Georg, FiftyThree hat die Zeichen-App Paper, den iPad-Stift Pencil und das Kollaborations-Tool Mix gebaut. Was wollt Ihr damit erreichen?

Unsere Produkte sind recht erfolgreich, Millionen Leute haben Paper heruntergeladen. Trotzdem gibt es gibt eine gewisse Menge an Leuten, die sagen: Ich habe mit Kreativität nichts am Hut. Ich finde das interessant, denn eigentlich leben wir ja in einem Zeitalter, in dem die Menschen noch immer zwei Hände haben und einen eindrucksvollen Geist. Unsere Ausbildung ist hervorragend, im Vergleich zu vor 200 Jahren können wir alle lesen und schreiben und rechnen. Aber irgendwie können wir auf einmal nicht mehr zeichnen. Warum haben wir das verlernt? Was ist da passiert? Die Antwort liegt in unserer Erziehung.

Hat es nicht auch mit der Art und Weise zu tun, wie wir digital arbeiten? Da gibt es Maus und Tastatur, das setzt Grenzen.

Ich glaube, es hat weniger damit zu tun. Es gibt drei Faktoren. Und das fängt schon in der Schule an. Da heißt es: Schau nicht nach den Nachbarn, schreib nicht ab. Das macht auch Sinn, denn es soll ja das Leistungsvermögen des Einzelnen bewertet werden. Aber man lernt auch, indem man bei anderen vorbeischaut. Die nächste Sache: Nur die eigene Leistung wird bewertet, bei Teamleistungen wissen wir überhaupt nicht genau, wie wir das bewerten sollen. Wirklich kreative Arbeit kommt aber immer aus dem Team. Der dritte Faktor: Kreativität. Die ganzen analytischen Fähigkeiten, Rechnen, Schreiben, Lesen, das war vor 200 Jahren ungeheuer wichtig, als noch nicht jeder lesen und schreiben konnte. Aber heute können wir das alle. Und wir haben so viel zum Lesen und Schreiben. Aber was jetzt eigentlich wichtiger wäre, ist die Fähigkeit, Daten zusammenzufassen, sich kurz zu fassen, aber nicht nur mit Worten. Dafür ist das Skizzieren ideal: eine bildliche Zusammenfassung von dem, was passiert. Das Auge und das menschliche Verständnis sind total darauf abgestimmt. Klar, ein Bild zu erstellen, ist etwas schwieriger als einen Tweet mit 140 Zeichen zu verfassen. Aber Tweets zu lesen ist anstrengend. Mit Bildern ist das anders.

Es scheint, hinter FiftyThree gibt es eine richtige Theorie. Gab es den großen Plan schon, als Ihr 2011 gestartet seid? Oder welcher Impuls steckte hinter der Gründung?

Unser Gründungsteam kannte sich von Microsoft, wo wir zu Produkten wie Powerpoint oder der Xbox gearbeitet haben. Jedes Mal, wenn wir neue Produkte entwickelt haben, waren wir zwar ganz weit vorn in der Technologie, aber haben immer noch mit Whiteboards und Papier und Stift gearbeitet. Warum? Weil das Papier gut riecht oder es sich gut anfühlt? Oder wir nicht die technologischen Möglichkeiten hatten? Nein. Wir haben uns zusammengesetzt und überlegt, worum es hier eigentlich geht. Der Lösungsansatz war: It’s the free form. It’s the free flow. Nothing in paper tells you what to do. Aber bei aller Software bis zu diesem Zeitpunkt ging es immer nur um mehr Effizienz. Die Textverarbeitung fragt sofort: How do you wanna call the document? Weiß ich doch noch gar nicht! Dann hast du Untitled 1, Untitled 2, Untitled 3. Oder schon das Genre: Word processor. Spreadsheet. PowerPoint. Bullet point. Es geht immer darum, irgendetwas zu optimieren. Aber so funktioniert Kreativität nicht. Das braucht einfach Zeit und Raum. You need space to think. What if technology could actually fuel the creative process? Wie sieht eine solche Technologie aus? Was macht die, was sind Attribute? Das war dann schon ein sehr theoretischer Ansatz. Deswegen heißt unsere Firma auch FiftyThree. Die Zahl fasst zusammen, worum es bei uns geht: 53 centimeters that link head, heart, and hand. Jeder hat das Bedürfnis etwas zu erstellen, etwas zu machen. Da packt man zu, mit einer Armlänge. 53 Zentimeter ist die durchschnittliche Reichweite eines Arms. Der eigentliche Impuls war aber natürlich eigentlich, dass ich unbedingt mit meinen Mitgründern zusammenarbeiten wollte.

Stand mal zur Debatte, die Idee innerhalb von Microsoft zu verwirklichen?

Das wäre nicht gegangen. Wir haben zwar super viel von Microsoft gelernt. Wir hatten die Möglichkeit, neue Entwicklungsprozesse zu schaffen, an Hardware, Software und Services zu arbeiten. Es gibt nur ein paar Firmen auf der Welt, wo du das wirklich machen kannst. Da bin ich Microsoft sehr dankbar. Aber ab einem gewissen Punkt musst du unterscheiden: Was ist die Aufgabe des Konzerns und was ist die Aufgabe des Entrepreneurs? Großunternehmen müssen Kanäle, Produkt und Franchising wahren. Entrepreneure müssen das alles neu entwickeln. Und schauen: Where ist the new growth? Ab und zu ist das Wachstum einfach so weit von den Konzernen entfernt, dass es für das Unternehmen überhaupt keinen Sinn macht, da zu investieren. Man wartet eher ab. Als Gründer bist du viel flexibler und kannst eine neue Kultur entwickeln. What is the process? What is the approach? Was sind die Werte, die das motivieren? Da kommt auf lange Sicht ja die competitive strength her. Microsoft ist Bill Gates‘ Firma – und wir sind nicht Bill Gates… Das ist halt eine Kultur, die gewisse Sachen sehr gut macht, und andere Sachen nicht so.

Also eine eigene Gründung.

Ja, obwohl das vielleicht weniger mit Microsoft zu tun hatte, als mit unserer eigenen persönlichen Entwicklung, mit dem, was wir machen wollten. Ich hätte meine Arbeitszeit und Karriere natürlich auch auf Microsoft konzentrieren können. Aber ich wollte einfach viel mehr Zeit mit dem John, dem Andrew und dem Julian verbringen. Das sind ja die Leute, von denen ich am meisten gelernt habe. Da fragt man sich: Warum machen wir nicht einfach gemeinsam ein Unternehmen auf? Für mich war das eher eine Optimierung meines Lebens. Das ist doch viel schöner! Da kann man einfach nicht anders als eine Firma zu gründen. Das englische Wort company bedeutet ja auch Gesellschaft. Das finde ich schön.

FiftyThree wäre ohne das iPad gar nicht möglich gewesen. Wie war das, als Du das erste Mal ein iPad in die Hand bekommen hast? War da sofort der Gedanke da: Das ist der Kanal, um Kreativität anders auszudrücken?

Als Apple das iPad ankündigte, habe ich bei Microsoft auch gerade an einem Two-Screen-Tablet namens Courier gearbeitet. Ich habe sehr genau beobachtet, wie Steve Jobs das iPad positioniert hat: zwischen dem Desktop und dem Phone. Er hat ein neues Produkt zwischen zwei existierenden Produkten positioniert, anstatt zu definieren, wo es in das Leben eines Menschen passt. Das war eine atypische Positionierung als Objekt und nicht als eine Funktion. Das macht Apple doch normalerweise. Ich habe auch sehr genau auf die technischenn Features geschaut. Die waren überwältigend. Erstens das Gewicht: 580 oder 600 Gramm. Das ist ein magisches Gewicht. Das ist knapp unterhalb von zwei Dosen Coke, was ungefähr 600 Gramm sind. Der erste Tablet-PC auf dem Markt wog zweieinhalb Kilo. Das ist heftig. Das ist schwer. Das ist fast schwerer als ein MacBook. Zweitens hatte das iPad Instant-On. Wir wussten schon vom iPhone, wie wichtig das ist. Ein Screen, der innerhalb von 0,2 Sekunden einschaltet. Drittens gab es komplett funktionierendes Multitouch. Das hat es sicherlich woanders auch schon gegeben, aber so komprimiert, auf der Bildschirmgröße, war es neu. Der größte Knaller war aber der Preis: 649 Dollar. Wir wussten ja genau, wie viel die Komponenten kosten. Das war fast unmöglich, das Produkt für den Preis zu produzieren! Es war das erste Mal, dass Apple ein Produkt mit einem Kampfpreis gelauncht hat. Die ersten Pressestimmen waren allerdings eher: Das ist ja nur ein großes iPhone. Aber ich wusste genau: Von der Ergonomie her ist das ein bahnbrechendes Produkt. Weil die etwas zusammengebracht haben, von dem Microsoft zum Beispiel seit zehn Jahren wusste, dass es wichtig sein würde, es technologisch aber einfach nicht umsetzen konnte. Und am ersten Wochenende hat Apple dann 3,5 Millionen iPads verkauft.

Gab es etwas, das nicht perfekt war am iPad?

Das Einzige, das mich gestört hat, waren die vorgeschlagenen Anwendungen: Videos, Magazine, das war alles verbraucherorientiert. Die wirklich interessanten Sachen, das war mir klar, werden in der Produktivitätsschiene sein. Aber es wird eine neue Art von Produktivität sein. Creative productivity. Jetzt haben wir das iPad, es sieht aus wie ein Notizbuch, warum machen wir es nicht zu einem Notizbuch? Die Technologie war wirklich da. Und es gab den App Store und das In-App-Purchase-Modell. Das war super wichtig. Es war eine richtige Befreiung im Vergleich zum herkömmlichen Softwarevertrieb, wo du alle zwei Jahre deine Kunden überzeugen musstest, ein neues Paket zu kaufen. No wonder software is loaded. Die Designer wollten das ja nicht. Die Ingenieure auch nicht. Aber das Business Modell. Mit In-App Purchases ist das anders. Du kannst sagen: Kauf nur, was du brauchst. Die Leute sollen sich die Software erst herunterladen und anschauen können. Wie früher bei Shareware, nur viel eleganter.

Hat sich seither an der Ausrichtung und dem Selbstverständnis von FiftyThree etwas geändert?

Unsere Werte haben sich nicht geändert. We still wanna make creativity accessible. Ich glaube, wir sind sogar noch viel mehr verfestigt in unseren Überzeugungen. Woran wir jetzt wirklich arbeiten, ist eigentlich nicht Technologie. Wir arbeiten an einem kulturellen Verständnis. Die Leute meinen, sie seien nicht kreativ. Daran müssen wir arbeiten. Es bedeutet uns viel, wenn wir mit Museen und Schulen arbeiten und das Leben im positiven Sinne ändern können. Einer der Design-Awards, den wir bekommen haben, war vom US-Rentnerverband AARP. Die meinten, Paper sei eines der ersten Produkte, das wirklich Leute über Generationen hinweg daran erinnert, wie wichtig es ist, kreativ zu sein. Das zeigt uns: Wir sind auf dem richtigen Weg. Weiter geht’s!

Und verändert hat sich nichts?

Doch, als Geschäftsführer musst du natürlich das Geschäftsmodell immer wieder ändern, wir haben das fast jedes Jahr gemacht. Zuerst hatten wir Software ohne Revenue, dann Software mit Revenue, dann auf einmal ein bisschen Software-Revenue und viel Hardware-Revenue, auf einmal gibt es Inventar, Cashflow ist wichtig, also das ändert sich schon. FiftyThree war jedes Jahr beinahe eine andere Firma, was das Geschäftsmodell betrifft.

Anfang 2014 hattet Ihr Zoff mit Facebook, weil der Konzern seine News-App ebenfalls Paper nannte. Wie ist der Streit ausgegangen?

Das läuft weiter. Wir sind eine Firma, die für Originalität steht und für Kreativität. Da ist es wichtig, dass wir ein großes Unternehmen wie Facebook daran erinnern, dass auch sie die Möglichkeit haben, ihre eigenen Namen zu entwickeln. Wie das weitergeht? Das sind Sachen, die länger dauern.

Das heißt konkret?

Wie genau das funktioniert, darüber kann ich nicht reden. Es geht weiter. Für uns ist wichtig, dass unsere Produkte gerne und weit verwendet werden – und dann gibt es Produkte, die eben nicht so weit verwendet werden. Wenn du dir die Downloadzahlen von Facebook Paper anschaust, das beantwortet, glaube ich, die Frage, wie wichtig es ist, originäre Produkte zu entwickeln. Und dass die Seele des Produktes sich im Namen widerspiegeln muss.

Was sind Eure nächsten Schritte?

Mit Paper, Pencil und Mix haben wir die Grundsteine des kreativen Prozesses abgedeckt: Das Denken, Machen und Teilen. Jetzt gibt es viele Richtungen, die wir einschlagen können. Es gibt zum Beispiel mehr Devices und wir haben noch nichts auf dem Phone. Oder auf anderen Plattformen wie Android, auf großen Displays oder TV-Bildschirmen, oder 3D. Ich sage nicht, dass wir das alles machen werden. Aber der Bedarf an creative productivity ist da. Und wir sind da Marktführer. Natürlich ist das ist ein sehr sehr kleiner Bereich. Aber wir werden den Bereich größer machen. Das ist unsere Aufgabe.

Bild: FiftyThree