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google EU-Kommission: Google nutzt seine dominante Marktposition aus, um Wettbewerber zu behindern.

Margrethe Vestager, Tochter eines dänischen Pfarrer-Ehepaars, steht in ihrer Heimat im Ruf, empathisch und bodenständig zu sein. Und so überrascht es nicht, dass sie mitten aus dem Leben greift, als sie unmittelbar nach einer Sitzung mit ihren Kommissionskollegen die Bedeutung von Google erklärt. „Wenn man etwas sucht, sagt man: Lass mich das googeln“, sagt Vestager. „Es ist Teil unseres Verhaltens, der Art wie wir arbeiten, weil wir feststellen, dass diese Produkte uns etwas bringen.“

Die Aussage klingt leicht und unbeschwert. Doch damit verbunden sind womöglich harte Konsequenzen für Google. Am Mittwoch kündigte Vestager an, dass sie in den fünf Jahre dauernden Untersuchungen gegen Google nun auf eine neue Ebene geht. Sie verschickte ein sogenanntes Statement of Objection, im Prinzip eine Klageschrift, an den Internetkonzern. Die Anschuldigung: Google nutzt seine dominante Marktposition aus, um Wettbewerber zu behindern.

Dieser Schritt ist eine deutliche Verschärfung des bisherigen Kurses. Ihr Vorgänger Joaquin Almunia versuchte doch in den vergangenen fünf Jahren, eine friedliche Lösung mit Google in dem Wettbewerbsstreit zu finden, um einen Jahre dauernden Rechtsstreit zu vermeiden. Vestager hingegen leitet nun ein Verfahren ein, an dessen Ende eine Geldstrafe von bis zu 6,6 Milliarden Dollar und harte Auflagen für das Geschäftsmodell stehen könnten.

Google könnte die Kommission länger beschäftigen als Microsoft

Dabei werden Erinnerungen an die Verfahren der Kommission gegen Microsoft wach. In den zehn Jahren nach dem Eingang der ersten Beschwerde bei der Europäischen Kommission wurde der US-Konzern zu verschiedenen Strafen in Höhe von insgesamt 2,2 Milliarden Euro verurteilt. Es ging vor allem um die Einbindung des Media Players in das Windows -Betriebssystem. Die letzte Entscheidung in dem Fall fiel 2012.

Der Fall Google könnte alles bislang Dagewesene übertrumpfen. Der Internetkonzern bestellt neben der Websuche mittlerweile sehr viele Felder: Shopping, Hotel- und Flugbuchung, den Kartendienst Google Maps, das Newsportal Google News – und das alles über das Android-Betriebssystem auch mobil. Ermittlungen und Gerichtsprozesse könnten sich auch angesichts der zahlreichen Bereiche über Jahre hinziehen. „Es ist eine große Verantwortung, diese Fälle anzugehen“, sagt Vestager.

So nett sich die Kommissarin gibt – sie soll selbst in hochrangigen Sitzungen gerne mal zum Strickzeug greifen – sie ist doch entschlossen, einen harten Kurs gegenüber Google zu fahren, sollte der nötig sein. „Es ist sehr wichtig, dass wir keinen Weg versperren“, sagte sie auf die Frage, ob sie auch dazu bereit wäre, Strafen zu verhängen.

20 Beschwerdeführer gegen Google

Es geht hier um viel. 20 Beschwerdeführer, darunter auch mehrere Verbände, die andere Interessen vertreten, beklagten sich bei der Europäischen Kommission über Google. Der Kernvorwurf der Unternehmen ist, dass Google die dominante Stellung missbrauche, um Wettbewerb zu verhindern – etwa durch die bevorzugte Platzierung eigener Dienstleistungen bei der Internetsuche.

Dass Google eine starke Stellung hat, ist unbestritten. In Europa laufen neun von zehn Suchanfragen über die Suchmaschine. Und ähnlich stark ist auch die Stellung von Google bei den mobilen Betriebssystemen. Zwei von drei Mobiltelefonen laufen in Europa auf dem Google-Betriebssystem Android.

An Google kommt niemand vorbei. „Eine dominante Position an sich ist kein Problem“, sagt Vestager. „Aber dominante Unternehmen stehen in der Verantwortung, ihre starke Position nicht dadurch zu missbrauchen, indem sie den Wettbewerb in ihrem oder in benachbarten Märkten behindern.“

EU-Kommission hat Google Shopping im Visier

Eine zentrale Stellung in den Vorwürfen nimmt Googles Position beim Shopping ein. Bei entsprechenden Suchanfragen positioniere der Konzern die Angebote aus dem eigenen Vergleichsportal prominenter als Angebote der Konkurrenz, beklagt die Kommission. Und zwar unabhängig davon, ob das Google-Angebot nun besser als das der Konkurrenz sei. „Wir vertreten die vorläufige Meinung, dass Google Shopping ein Missbrauch der dominanten Google-Stellung bei Internet-Suchanfragen darstellt“, sagte Vestager deswegen.

Google Shopping dürfte zum ersten harten Fall der Europäischen Kommission gegenüber Google werden. Die Europäische Kommission konfrontierte Google nun mit konkreten Anschuldigungen, den Wettbewerb mit anderen Vergleichsportalen zu behindern. Zehn Wochen hat Google Zeit, darauf zu antworten. Auch eine mündliche Anhörung ist möglich. Dann liegt es an der Kommission zu entscheiden, wie sie weiter verfährt.

Von dieser Untersuchung hängt viel ab. Ein möglicher Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht bei den vergleichenden Shopping-Ergebnissen könnte zum Präzedenzfall für weitere Untersuchungen werden. Namentlich nannte Vestager etwa die Vermittlung von Flügen, Hotels oder Dienstleistungen rund um den Kartendienst Google Maps.

Auch Android wird unter die Lupe genommen

Die Wettbewerbskommissarin geht aber noch weiter. Neu ordnete sie eine getrennte Untersuchung der Rolle von Google bei Mobiltelefon-Betriebssystemen an. Google wird vorgeworfen, sich durch die dominante Marktposition des Betriebssystems Android gegenüber Wettbewerbern Vorteile zu verschaffen. „Ich möchte, dass die Märkte in diesem Bereich florieren“, sagte Vestager. Und zwar „ohne wettbewerbswidrige Hindernisse“.

Die Kommission prüft zudem weiterhin die Google-Praxis, Ausschnitte von Texten anderer Anbieter, etwa auch Nachrichtenseiten, kostenfrei für eigene Angebote zu verwenden. Auch mögliche Restriktionen auf dem Werbungsmarkt stehen im Fokus.

Die Entscheidung der Kommission stößt auf breite Zustimmung in der Politik. „Ich begrüße das schärfere Vorgehen der EU-Kommission gegen Google“, sagte SPD-Bundesjustizminister Heiko Maas der Welt. „Innovationen und fairer Wettbewerb im Netz dürfen nicht durch missbräuchliches Verhalten marktbeherrschender Internetkonzerne behindert werden. Daher setzen wir uns für eine konsequente Anwendung und Durchsetzung des Kartellrechts auf nationaler und europäischer Ebene ein.“

Gabriel begrüßt das Verfahren gegen Google

Das Vorgehen der EU-Kommission sei aus zwei Gründen eine gute Nachricht für Verbraucherinnen und Verbraucher. „Als Nutzer einer Suchmaschine müssen sie darauf vertrauen können, dass alle Ergebnisse einer Suche nach sachgerechten Kriterien angezeigt werden“, sagte Maas. „Wer sein Geschäftsmodell auf die Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa ausrichtet, muss die europäischen Regeln für fairen Wettbewerb beachten.“

Microsofts Suchmaschine Bing ist Googles größter Mitbewerber auf dem deutschen Markt. Alle Angaben gerundet – geringfügige Abweichungen von 100 Prozent in der Summe sind den Rundungen geschuldet

Darüber hinaus bestehe durch die zusätzliche Untersuchung des Betriebssystems Android die Chance, dass in Zukunft mehr Anbieter Zugang zu mobilen Geräten bekämen. „Das bedeutet mehr Auswahl für Verbraucherinnen und Verbraucher, mehr Wettbewerb bei Apps und mobilen Diensten und mehr Chancen für Startups.“

Lob kam auch von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). „Ich begrüße sehr, dass die EU-Kommission das Verfahren gegen Google konsequent vorantreibt“, sagte Gabriel. „Darum hatte ich die Kommission schon im Mai vergangenen Jahres gemeinsam mit meinem damaligen französischen Amtskollegen gebeten.“

Die Grünen: „Höchste Zeit für Konsequenzen“

Auch aus dem Europäischen Parlament, das im vergangenen November noch die Zerschlagung Googles forderte, kamen zustimmende Stimmen. „Google missbraucht seit Langem seine Marktdominanz“, sagte Markus Ferber (CSU), Vorsitzender des Unterausschusses Wettbewerb im Europäischen Parlament. „Nur empfindliche Strafen, die Google auch wirklich hart treffen, werden den Internetriesen noch zum Einlenken bringen.“

Herbert Reul, CDU/CSU-Gruppenchef im Europäischen Parlament, sagte „Wettbewerbsregeln und Fairness“ seien Eckpfeiler der europäischen Wirtschaftsordnung. „Die Kommission hat deshalb folgerichtig eingegriffen.“

Die Entscheidung sei „absolut überfällig“, erklärte Udo Bullmann, Vorsitzender der Europa-SPD. Es müssten „faire Wettbewerbsbedingungen“ auch für kleine Internetunternehmen gegeben sein. Der wettbewerbspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Michel Reimon, sagte, es sei „höchste Zeit“, dass die EU-Kommission nun Konsequenzen ziehe.

Zustimmung kam auch von den Beschwerdeführern. „Heute ist ein guter Tag für die Medienfreiheit in Europa“, sagte ein Sprecher für den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und den Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). „Es ist höchste Zeit, dass dem Quasimonopolisten Google die Bevorzugung eigener Angebote untersagt wird.“ Ein Sprecher des Verlags Axel Springer (Welt, Bild), der zu den Beschwerdeführern zählt, nannte die Entscheidung ein „gutes Signal für die Konsumenten und den fairen Wettbewerb“.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Die Welt.

Bild: Namensnennung Bestimmte Rechte vorbehalten von Robert Scoble; Infografik: Die Welt; Mitarbeit: Thomas Heuzeroth; Hinweis: Axel Springer ist Gesellschafter der Business Insider Deutschland GmbH, dem Medienhaus von Gründerszene. Weitere Informationen zu Business Insider findet ihr hier: www.businessinsider.de/informationen/impressum.

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google EU-Kommission: Google nutzt seine dominante Marktposition aus, um Wettbewerber zu behindern.

Telekom kritisiert die Vorgaben für Android

Die Deutsche Telekom bezeichnete es als wichtig, dass die EU-Kommission das schon sehr lange parallel geführte Verfahren zu Android nun auch formal eröffnet habe. Der Telekommunikationskonzern kritisiert etwa, dass Android-User gezwungen seien, einen Google-Mail-Account anzulegen. Google Search und YouTube seien zudem auf jedem neuen Mobiltelefon vorinstalliert.

Google sieht die Vorwürfe der Kommission als ungerechtfertigt an. Behauptungen über Schäden für Verbraucher und Konkurrenten „haben sich als weit neben der Spur erwiesen“, teilte der US-Internetkonzern kurz nach der EU-Mitteilung mit. „Während Google die meistbenutzte Suchmaschine sein mag, können die Leute Informationen auf zahlreiche verschiedene Weisen finden und darauf zugreifen“, hieß es im Firmen-Blog.

Das Unternehmen bezeichnet in einem internen Schreiben an die Mitarbeiter die formelle Verfahrenseröffnung als „sehr enttäuschend“ und liefert eine ausführliche Argumentation gegen die kommenden Vorwürfe. Demnach glaubt der Konzern, „sehr gute Argumente“ dafür zu haben, dass der Wettbewerb funktioniere und die Nutzer davon profitierten.

In mehreren Grafiken legt Google dar, warum die Dominanz im Bereich der Suche nicht dazu führe, dass die Nutzer weniger Auswahl im Bereich Suche oder Shopping hätten. So lockten Konkurrenten wie Amazon, Ebay und Idealo längst deutlich mehr Nutzer an als Googles eigene Shopping-Angebote.

Laut Google verliert Websuche an Bedeutung

Zudem verliere die klassische Websuche laut Google – dank des Booms der Mobilgeräte – an Bedeutung. Nutzer würden immer öfter Informationen direkt aus Apps ziehen und für Suchen und Empfehlungen auf soziale Netzwerke vertrauen. Im Bereich der Mobil-Betriebssysteme, erklärt Google weiter, könnten die Nutzer problemlos die Apps von Konkurrenten wie Microsoft auf Android-Geräten installieren, der Wettbewerb sei gewährleistet.

Bei einer vom Think Tank Bruegel organisierten Debatte in Brüssel kommentierten Googles Wettbewerber, dass sie froh seien, dass das Verfahren nun formell eröffnet sei. Damit werde das Verfahren von den politischen Interessen entkoppelt. Das formelle Verfahren böte allen Beteiligten die Chance, den Streit juristisch sauber, eindeutig und ohne weitere Verzögerungen oder Einflussnahmen abzuschließen.

Das formelle Verfahren könnte Google auch Vorteile bieten: Der Konzern gibt sich in diversen Blogposts, internen Mails sowie Statements seiner Juristen zuversichtlich, juristisch hieb- und stichfeste Argumente gegen den Vorstoß der Wettbewerbshüter zu haben. Der Wettbewerb im Markt, das sehe man am Erfolg der Konkurrenz wie Yelp oder Facebook, funktioniere gut. Sollten Googles Argumente tatsächlich greifen, könnte der Konzern sich gegen eine eventuelle Entscheidung der Wettbewerbshüter auch vor dem Europäischen Gerichtshof wehren.

Vestager verspricht faires Vorgehen

Vestager sagte auf jeden Fall eine faire Klärung des Falls zu, ohne dabei auf politische Interessen zu achten. „Ich werde die Angelegenheit fair und objektiv angehen, auf der Basis von Beweisen und in Übereinstimmung mit unseren Regeln“, versprach die Kommissarin.

Damit richtete sie sich auch gegen möglichen Bedenken, das Verfahren hänge auch damit zusammen, dass Google ein amerikanisches Unternehmen sei. US-Präsident Barack Obama hatte das in der Vergangenheit angedeutet. „Meine Kinder und ich denken nicht eine Minute darüber nach, ob das ein amerikanisches oder ein europäisches Unternehmen ist“, sagte Vestager und betonte: Einer von vier Beschwerdeführern im Google-Fall komme aus den USA.

Die frühere Kommissarin und heutige EVP-Abgeordnete Viviane Reding rief Europa und die USA dazu auf, sich auf gemeinsame Regeln zu verständigen. Mit Blick in die „digitale grenzenlose Zukunft“ müsse über „weltweite Regeln nachgedacht werden“, sagte sie der Welt. „Hier müssen die EU und die USA gemeinsame Anstrengungen unternehmen, zukunftssichere Regeln zu formulieren, damit sie uns nicht irgendwann aus Asien vorgeschrieben werden.“

Während Reding sich noch äußerte, saß Vestager bereits im Flugzeug Richtung USA. Dort wollte die Kommissarin unter anderem mit Beamten der US-Wettbewerbsbehörde sprechen, die sich zuletzt noch gegen ein Google-Verfahren entschieden hatte – unter politischem Druck, wie Kritiker vermuten.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Die Welt.

Bild: Namensnennung Bestimmte Rechte vorbehalten von Robert Scoble; Infografik: Die Welt; Mitarbeit: Thomas Heuzeroth;  Hinweis: Axel Springer ist Gesellschafter der Business Insider Deutschland GmbH, dem Medienhaus von Gründerszene. Weitere Informationen zu Business Insider findet ihr hier: www.businessinsider.de/informationen/impressum.