Internetunternehmer Apostolos Apostolakis

Im Griechenland dieser Tage erzählen sich die Leute einen Witz. Was macht das Geheimnis eines erfolgreichen Griechen aus? Er muss nur die Koffer packen und ins Ausland gehen. Apostolos Apostolakis kennt diese Sprüche, dass Hellenen im eigenen Land einfach kein Glück haben. Aber bestätigen kann er sie nicht, schließlich ist er selbst so etwas wie der lebendige Gegenbeweis dafür. Entsprechend gut gelaunt erscheint der Mann im Kapuzenpulli zum Termin. Sein Gesicht ist unrasiert.

Entspannt lehnt er sich zurück und erzählt davon, wie man im Internet Geld verdienen kann. Das gehe gut, wenn man nur die richtigen Ideen habe. Und Apostolakis hat nicht nur Einfälle, er weiß auch, wie man das notwendige Startkapital dafür auftreibt. Im Silicon Valley wäre das alles keine Geschichte – in Athen hingegen schon. Hier rechnet niemand mit Unternehmensgründungen, schließlich ist es die Krisenhauptstadt Europas.

Wenn Apostolakis die Liste der Unternehmen herunterrasselt, an denen er in irgendeiner Form beteiligt ist, muss man sich beim Mitschreiben beeilen. Der Grieche hat Marktplätze wie Taxibeat, E-shop.gr oder Doctor anytime mit gegründet. Doctor anytime ist eine Internetplattform, auf der man den passenden Arzt in seiner Umgebung suchen kann.

Gerade expandiert die Firma nach Belgien. Derzeit ist Apostolakis vor allem damit beschäftigt, sieben Neugründungen zu beraten. Er hat so viel Vertrauen in sie, dass er sogar sein eigenes Geld investiert. Der Erfolg, sagt er, habe sich nicht vollständig aus Griechenland verabschiedet, im Internet, da sei er noch zu finden. Für junge Leute ist Apostolakis ein Hoffnungsschimmer.

Unternehmer werden von Regierung im Stich gelassen

Die sind rar geworden, seit die neue Regierung von Alexis Tsipras und seinem Syriza-Bündnis, bestehend aus Kommunisten, Trotzkisten und linken Sozialisten, an der Macht ist. Seither geht es mit der Wirtschaft bergab, und auch das Verhältnis zu den europäischen Partnern hat empfindlich gelitten.

Verantwortlich dafür sind vor allem der Premier und sein Finanzminister, die ganz bewusst auf Konfrontationskurs mit den europäischen Geldgebern gehen. In den nächsten Tagen steht das Finale an: Ende Juni droht Griechenland die Staatspleite. Wenn Athen bis dahin nicht 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds zurückbezahlt, gibt es keine neuen Hilfsgelder mehr.

Weil die Griechen damit rechnen müssen, dass ihr Land demnächst aus der Währungszone fliegt, halten sie ihr Geld zusammen. Das ist Gift für die Wirtschaft, die sich im vergangenen Jahr sogar leicht erholt hatte. Nun ist aber die Rezession voll zurück, der Staatsbankrott wird immer wahrscheinlicher. Unternehmer wie Apostolakis wissen genau, was das konkret für sie bedeutet: Banken geben den Firmen kein Geld mehr, weil sie nicht wissen, ob sie die heute verliehenen Euros übermorgen vielleicht als wertlose Drachme zurückbekommen. Ausländer lassen aus dem gleichen Grund die Finger von Investitionen in der Ägäis.

„Die Stimmung in Griechenland ist nach den Wahlen schlechter geworden“, sagt Apostolakis. Die Regierung zuvor sei schon nicht sonderlich konsequent in ihren Reformen gewesen. Aber Syriza schlage eine noch fatalere Richtung ein: Die Partei sei wirtschaftsfeindlich und blase den öffentlichen Sektor künstlich auf. Von strukturellen Reformen ganz zu schweigen.

Wer weiß schon, welche Währung morgen gilt?

Das Wehklagen der meisten Geschäftsleute in Griechenland klingt heute so: Seit Syriza an der Macht ist, habe sich wenig geändert und nichts gebessert – trotz anderslautenden Versprechungen. Auch Dimitris Vidakis, Chef der Kosmetikfirma Korres, stöhnt über das schwierige Umfeld. Am liebsten würde er seine Kritik ganz allgemein halten und so wenig wie möglich über die Politik schimpfen.

Wie viele seiner Kollegen fürchtet er politischen Einfluss. „Es ist schon seit 2009 bergab gegangen“, sagt er stattdessen. Früher habe man sich nur um die einbrechende Nachfrage sorgen müssen, weil festangestellte Arbeitnehmer plötzlich viel höhere Steuern zahlen mussten. Jetzt, mit Syriza, täten sich ganz andere Abgründe auf: Die Frage nach der Zukunft Griechenlands in der Euro-Zone ist auf dem Tisch.

„Niemand kann sich vorstellen, wie das Land danach aussehen wird“, sagt der Kosmetikhersteller. Deshalb sei es auch für Unternehmen schwierig, sich darauf vorzubereiten. Wer wisse schon, welche Währung und welches Steuersystem morgen gelten? „Wenn ich eine Million Euro auf meinem Firmenkonto habe, werde ich sie zurzeit nicht investieren, weil ich nicht weiß, was aus dem Geld wird“, sagt Vidakis. Nur in einem Punkt legt er sich fest: Griechenland werde am Ende mehr verlieren als gewinnen.

Eigentlich sollte die Zukunft für seine Firma rosig sein. Das Geschäftsmodell jedenfalls ist es: „Alle Zutaten, die wir für unsere Kosmetika brauchen, finden wir in der reichen Flora Griechenlands“, schwärmt er. In Verbindung mit den relativ billigen Arbeitskräften läuft die Herstellung ziemlich gut, trotz der Krise. „Nur wer“, so fragt er, „kauft Gesichtscremes, wenn ihm das Geld für Lebensmittel fehlt?“

Kaum noch Jobs – und das seit Jahren

Die Arbeitslosigkeit in Griechenland ist hoch. Noch immer hat rund ein Viertel der arbeitsfähigen Bevölkerung keinen Job. Löhne und Renten sinken weiter, und es werden vermutlich noch mehr Menschen ihre Arbeit verlieren. Gelingt es Alexis Tsipras in den kommenden Tagen nicht, einen Deal mit den Gläubigern zu schließen, dann können Renten und staatliche Bezüge nicht mehr ausbezahlt werden. Das Vertrauen der Bürger schwindet mit jedem Euro, den die Griechen von ihren Konten abheben. Noch gibt es keine langen Schlangen vor den Schaltern und Bankautomaten – doch wenn das passiert, wird sich die Lage dramatisch zuspitzen.

Was bleibt Unternehmern wie Vidakis da noch übrig? Seit selbst das Geschäft mit den Apotheken, denen er Hustenpastillen verkauft, einbricht, sucht er sein Heil im Ausland. In Russland und Deutschland, da haben die Kunden noch ausreichend Geld für Kosmetika. „Es ist jetzt an der Zeit, wieder international zu expandieren, auch weil es daheim schwierig ist“, stimmt ihm Maria Lalaouni zu. Sie ist Chefin des griechischen Schmuckherstellers Ilias Lalaounis, der bekannt ist für seine Designs mit klassischen hellenischen Motiven.

Die vergangenen Jahre seien schwer gewesen. „Wir mussten viele Leute entlassen, die eigentlich dachten, sie hätten bei uns eine Anstellung auf Lebenszeit“, sagt Maria Lalaouni. Die Firma habe das Geld zusammenhalten müssen, weltweit sperrten sie deshalb Geschäfte zu. Heute arbeiten noch 64 Leute in Produktion und Vertrieb, 89 in den Läden. Aber die Schließungen allein reichten nicht, Lalaouni musste weitere Notmaßnahmen ergreifen.

„Bitte mich einfach ungestört machen lassen“

Weil die Firma Werkstätten hat, konnte sie unverkäuflichen Schmuck einschmelzen. Sie dachte, das Schlimmste überstanden zu haben – „aber jetzt ist es noch härter“. Über die Ursachen dafür möchte sie nicht sprechen, beim Stichwort Politik winkt sie ab. „Ich habe meine eigenen Herausforderungen.“

Einen Rat aber kann die krisenerprobte Unternehmerin sich doch nicht verkneifen. „Man sollte aufhören, immer nach jemand anderem zu suchen, der Schuld ist.“ Das politische Umfeld jedenfalls sei alles andere als hilfreich, weil die Leute in ihrer Heimat einfach kein Geld mehr ausgäben.

Entwicklungen vorhersehen, sparen und schwere Entscheidungen treffen, wo es notwendig ist: Maria Lalaouni und Apostolos Apostolakis haben der griechischen Regierung wichtige Erfahrungen voraus. Internetunternehmer Apostolakis bringt es auf den Punkt: Er wünscht sich, diese Regierung möge das Land „doch mal etwas mehr wie ein Unternehmen führen“. Insolvenz könne immer drohen – entscheidend sei aber, wie man damit umgehe.

Nach einem Misserfolg sollte man nicht die politischen Freunde in den öffentlichen Sektor schicken, „um den Dreck aufzuräumen“, sondern zuverlässige Leute, glaubt Apostolakis. Griechenland brauche einen kulturellen Wandel. Schließlich stecke in der Krise auch eine Chance. Ganz nüchtern zählt er die Standortvorteile auf: junge, billige Arbeitskräfte, die dazu noch bestens ausgebildet und hungrig auf einen Neuanfang seien. Was könne sich ein Unternehmer mehr wünschen? „Man müsste mich nur ungestört machen lassen“, sagt er. Das aber dürfte im heutigen Athen ein Wunsch zu viel sein.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Welt

Bild: Nikos Pilos