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Hamburg soll digitale Vorzeigemetropole werden

Natürlich glauben die Leute aus dem Hafen auch jetzt wieder, dass sie der ganzen Stadt den Takt vorgeben. Dass das Beste fast immer aus dem Hafen kommt. Und vielleicht haben sie auch diesmal ein bisschen Recht damit. In einer der letzten vor der Wahl beschlossenen Drucksachen mit dem Titel „Digitale Stadt“ hat der Senat skizziert, wie er Hamburg zur digitalen Vorzeigemetropole machen will – zu einer „Smart City“, in der neue Technologie das Leben angenehmer und die Wirtschaft erfolgreicher macht. Virtuelle Museen und Online-Hochschulen soll es geben, ein sich selbst regulierendes Verkehrssystem, freies WLAN für alle und Bildungsnetze, an denen sich alle weiterbilden können. Ein Entwicklungskern, von dem all das ausgehen soll, ist auch in der neuen Netzwelt der gute alte Hafen.

Denn wenn es um digitale Vernetzung und automatisierte Steuerung geht, ist der Hafen schon jetzt ein „Innovationsmotor für Hamburg“, wie Sebastian Saxe betont, seines Zeichens Chief Digital Officer der Hamburg Port Authority (HPA) – was sich ja schon mal ziemlich wegweisend anhört. Tatsächlich ist das Konzept des schlauen Hafens, Neudeutsch: „Smart Port“, einer der Eckpfeiler der Digitalisierungsstrategie von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD).

Kein Wunder, denn im weltweiten Vergleich ist man im drittgrößten europäischen Seehafen technologisch weit vorne. Mit dem „Port Monitor“ hat der Hafenleitstand in Hamburg einen ziemlich einmaligen Echtzeit-Überblick über alles, was sich auf dem Wasser tut. Hier werden Karten, Schiffspositionen, Pegel, Liegeplätze, Brückenhöhen, Baustellen, Tauchgänge und vieles mehr zusammengeführt. Die Daten können per App auch mobil abgerufen werden.

Schöne neue Hafenwelt

Parallel soll die Bewegung auf den Straßen um und in den Hafen besser koordiniert werden, auf denen es zuletzt oft zu kilometerlangen Staus kommt. So hat die HPA mit den Firmen T-Systems, SAP und Dakosy eine App entwickelt, die Lkw-Fahrern bei der Anfahrt jetzt mitteilt, welche Route sie wählen sollten – und ob sie besser sofort oder erst in 20 Minuten vom Rastplatz losfahren. Auch wenn das Schiff, dessen Ladung sie übernehmen wollen, verspätet kommt, erhalten die Fahrer ein Signal. Parkplätze können online gebucht werden.

Diese schöne neue Hafenwelt ist offenbar für Logistiker so faszinierend, dass Saxe fast täglich Delegationen aus großen Häfen von China bis Südamerika empfängt, um ihnen das System vorzuführen. Da ist es folgerichtig, dass Hamburg im Juni die Welthafenkonferenz mit 800 Hafenexperten aus aller Welt ausrichtet. Denen will man auch die neuesten Errungenschaften aus der Rubrik „Internet der Dinge“ vorführen – also die neue Stufe der Vernetzung, auf der die Geräte selbstständig miteinander kommunizieren, um dem Menschen Arbeit abzunehmen.

Im Hafen probiert man das gerade mit Weichen. Rund 100 gibt es auf dessen 300 Kilometer langem Schienennetz. Weil man bisher nie genau wusste, wann denn jede Weiche geschmiert werden musste, ist immer ein Team ausgerückt und hat alle geschmiert. Künftig sollen die Weichen selbst melden, wenn sie Schmiere brauchen – was viel Arbeit erspart. Zehn intelligente Weichen werden derzeit getestet.

Am Ende sollen sämtliche Bewegungen, alle Daten über Infrastruktur- und Gerätezustände auf dem Wasser, auf Straßen und Schienen zu einem vollständig integrierten System werden, bei dem es vor allem um ein Ziel geht: Die Waren soll im Hafen schneller, effizienter und unter so geringem Energieaufwand wie nie zuvor umgeschlagen werden.

Dabei ist, wie so oft, auch hier der Mangel ein Treiber des Fortschritts: Die Hafenfläche ist in Hamburg stärker begrenzt als anderswo auf der Welt, die Warenströme aber wachsen weiter. Deswegen braucht Hamburg noch mehr Effizienz als andere, und es braucht sie schneller.

Die Erfahrungen im Hafen sollen auch bei der Einrichtung einer besseren Steuerung des Verkehrs in der gesamten Stadt helfen. Unter dem Stichpunkt „Intelligente Verkehrssysteme“ heißt es in der Senatsdrucksache: „Wir werden Mobilität auf begrenztem Verkehrsraum verbessern und die Verkehrswege für alle sicherer machen.“

„Leitstelle Digitale Stadt“

Bereits heute gibt es intelligente Ampelschaltungen und Echtzeitinformationen für Fahrgäste, in Zukunft werde es darauf ankommen, alte und neue Systeme in einem „Steuerungsnetz“ zusammenzuführen. So soll für einen besseren Verkehrsfluss gesorgt werden. Auch den Bürgern sollen in einem „intelligenten Routingsystem“ Echtzeitinformationen zu Baustellen, Verkehrslagen, Parkplatzverfügbarkeiten etc. über Smartphone-Apps zur Verfügung gestellt werden.

Der Senat will den Einsatz der Digitaltechnik aber nicht nur im Verkehr, sondern in allen Bereichen forcieren. „Wir wollen alle Chancen nutzen, die der technologische Fortschritt zur Verbesserung der Lebensqualität und der wirtschaftlichen Attraktivität der Stadt bietet“, sagt Carsten Brosda, Leiter des Amtes Medien in der Senatskanzlei und einer der Autoren der Senatsdrucksache. „Es gibt bereits viele gute Initiativen. Es kommt darauf an, diese noch besser zu vernetzen und Orte zu schaffen, an dem Kooperationen angeregt und Synergien erzielt werden können. Einer dieser Orte kann die Senatskanzlei sein.“

Zu diesem Zweck soll im Rathaus jetzt eine „Leitstelle Digitale Stadt“ mit vier neuen Stellen geschaffen werden. Diese soll auch Ansprechpartner für Unternehmen sein. „Wenn jemand gute und sinnvolle Ideen hat, wie wir besser digital unterrichten, den Verkehr digital besser steuern oder Teilhabemöglichkeiten schaffen, dann soll er die Chance haben, das gemeinsam mit der Stadt oder anderen Partnern auszuprobieren“, sagt Brosda.

Bereits im April 2014 hat die Stadt einen Vertrag mit einem der weltgrößte IT-Anbieter, der US-Firma Cisco, geschlossen. Cisco soll beim Umbau Hamburgs zur „Smart City“ helfen. In ersten Projekten geht es um intelligente Steuerung der Straßenbeleuchtung, Früherkennung von Verkehrsstörungen und sensorgestützter Überwachung von Straßen und Brücken. Außerdem soll Cisco eine Möglichkeit entwickeln, mittels „hochauflösender Videoterminals“ mit den Behörden von zu Hause aus Kontakt aufzunehmen.

Parallel soll die Digitalisierung den Bürgern helfen, Verwaltung und Regierung besser zu kontrollieren. Bereits im Herbst hat die Stadt ein bundesweit einmaliges Transparenzportal freigeschaltet, in dem unter transparenz.hamburg.de städtische Beschlüsse, Verträge, Gutachten oder etwa das Baumkataster mit jedem einzelnen Straßenbaum eingesehen werden können.

Aber mithilfe der Digitaltechnik lassen sich womöglich auch Lösungen für ökologische Probleme finden – etwa für die Vermüllung der Meere. Dazu ist Forschung notwendig, und die soll in Hamburg zumindest im Kleinen revolutioniert werden. In der „Open Online University“, die der Senat mit 3,7 Millionen Euro fördert, sollen online geformte Teams gemeinsam projektbezogen arbeiten.

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„Massive Open Online Courses“

Die Forschungsvorhaben, die alle staatlichen Hochschulen entwickeln, gehen vom Programmieren von Fußball-Robotern bis zu komplexen Aufgabenstellungen, wie eben: „Was können wir tun, um den Plastikmüll wieder aus einem Meeresstrudel im Pazifik herauszuholen?“ Bis zum Sommer soll es 30 Prototypen von Forschungsprojekten geben, sagt Professor Sönke Knutzen, Vizepräsident Lehre an der TU Harburg und einer der Koordinatoren der Open Online University.
„Hamburg ist mit diesem Vorhaben in Deutschland und Europa top“, so Knutzen, der als „begeistertster Begeisterer“ des Projekts gilt. Sogar Besucher des renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der nicht minder bekannten Harvard University hätten sich beeindruckt von dem Projekt gezeigt, so Knutzen.

Vor allem die Struktur des vernetzten Forschens verspräche große Erfolge, glaubt der Professor. Schon länger gibt es zwar Online-Vorlesungen oder -Seminare an Hochschulen. Diese „Massive Open Online Courses“ (MOOCS) hätten in den USA zwar sehr viele Teilnehmer gehabt, so Knutzen – allerdings auch eine Abbrecherquote von um die 95 Prozent. Denn der Einzelne bleibe dabei doch allein.

Das ist bei der Online-Universität anders, da bei den Projekten stets kleine Teams zusammenarbeiten. Mitmachen kann jeder. Den Nutzern stehen drei Datenbanken zur Verfügung: eine mit Wissensressourcen, eine Nutzerdatenbank für die Suche nach Gleichgesinnten und eine mit Aufgabenstellungen.

Interessante Impulse erhofft sich Knutzen auch durch die Kooperation so unterschiedlicher Hochschulen wie der TU und der Hochschule für bildende Künste (HfbK) – die etwa bei der Entwicklung neuer Windräder spannende Ergebnisse zeitigen könne.

Großes plant der Senat derweil auch am Hafenrand. Die HafenCity-Universität (HCU) soll zusammen mit dem Media Lab des Massachusetts Institute of Technology ein „Digital City Science Lab“ aufbauen. „Dort wollen wir interdisziplinäre Stadtforschung betrieben“, sagt Professorin Gesa Ziemer von der HCU. „Es wird Grundlagenforschung geben, angewandte Forschung in Kooperation mit Unternehmen – und wir werden einen Think Tank einrichten, der der Stadt als Beratungsplattform zur Verfügung steht.“

Zur Grundlagenforschung sollen etwa Stadtsimulationen, Kartensysteme, Innovationen im Bauwesen oder Untersuchungen zu der neuen Ökonomie des Teilens (Sharing Economy) gehören. In der angewandten Forschung geht es um die Begleitung großer Entwicklungsprojekte wie der Neuen Mitte Altona. Das „Digital City Science Lab“ wird mit jährlich 318.000 Euro gefördert, mit denen auch zwei neue Professuren an der HCU finanziert werden.

In Barcelona sind so 40.000 Arbeitsplätze entstanden

Aber auch im Kleinen tut sich viel Digitales: An der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) wird im Projekt „Living Place Hamburg“ mit der Digitalisierung des Wohnalltags experimentiert (von automatischer Energieregulierung bis zu Kühlschränken, die sich selbst befüllen). Geschichtswerkstätten wollen Bildmaterial online abrufbar machen.

Von den Bücherhallen lassen sich schon jetzt E-Books einfach mit einem E-Reader für zwei Wochen vom Sofa aus ausleihen. Die Kulturbehörde bietet die kostenlose „Kulturpunkte App“ an, die Besuchern einen Überblick über mehr als 400 Kulturinstitutionen, Kunstobjekte und Baudenkmale der Stadt gibt.

Beim Projekt „eFoto Hamburg“ wird derweil ein gesamtstädtisches virtuelles Bildarchiv auf der Basis des Bildarchivs des Denkmalschutzamtes Hamburg“ aufgebaut. Und beim „eMuseum“ geht es darum, „das Museumserlebnis durch den Einsatz digitaler Technik real und virtuell zu bereichern“. Zugleich sollen immer mehr Kunstwerke der Hamburger Museen online erlebbar werden.

In der Digitalbranche sieht man Hamburg auf dem richtigen Weg. „Die Leitstelle ist eine große Chance, dass die Politik in allen Bereichen das Thema Digitalisierung mitdenkt“, sagt Harald Neidhardt, Chef von MLOVE, einem Veranstalter von Zukunftskongressen in Hamburg, Barcelona und im Silicon Valley. „Es geht darum, die richtige, offene Mentalität und Räume für Erneuerung zu schaffen – und auch Unternehmen aus diesem Bereich zu fördern. In Barcelona sind so 40.000 Arbeitsplätze entstanden.“

Dabei bestehe zwar die Gefahr, dass „die wachsende Geschwindigkeit, die mit der Digitalisierung verbunden ist, uns kaputt macht, wenn wir nicht aufpassen“, so Neidhardt. „Weil aber viele Dinge nicht mehr von Menschen, sondern automatisch gemacht werden, ist das auch eine Entlastung. Menschen müssen weniger monoton arbeiten, aber vielleicht kreativer. Dabei kommt es darauf an, Arbeit anders zu organisieren und gerecht zu verteilen. Das wird ein Riesenthema sein.“

SPD-Netz-Politiker Hansjörg Schmidt will das Thema „intelligente Stadt“ auch auf Bundesebene forcieren – als Co-Vorsitzender im Programmbeirat des SPD-Parteivorstands zur Entwicklung eines Grundsatzpapiers. Das Papier sei gerade in Abstimmung mit SPD-Chef Sigmar Gabriel, so Schmidt.

Auch Internet-Experte Nico Lumma (SPD) lobt die Senatspläne – übt aber auch Kritik. „Für Unternehmen und Privathaushalte wird der Glasfaseranschluss und die damit verbundene Bandbreite immer wichtiger“, so Lumma. „Hier sollte der Senat noch mehr tun, um Hamburgs digitale Zukunft zu stärken.“

Darüber, wie schnell und weit Hamburg in Sachen Digitalisierung nach vorne kommt, entscheiden letztlich aber nicht allein Politik oder die großen und kleinen Firmen der IT-Branche. Besonders wichtig wird es sein, auch kleine und mittelständische Unternehmen aus anderen Bereichen für die Modernisierung zu gewinnen.

„Gerade mittelständische Unternehmen müssen das Thema noch viel ernster nehmen“, sagt Harald Neidhardt von MLOVE. „Rund 70 Prozent dieser Firmen gehen damit noch immer nach dem Motto um: Digitalisierung? Das macht meine Sekretärin. Die kriegt doch die E-Mails.“

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