Screenshots aus der App – in der Mitte: „Quizdaddy“ Scott Rogowsky

Noch vor drei Monaten kannte niemand die App HQ Trivia. Heute schalten teilweise mehr als eine Million Menschen ein und spielen mit, wenn in der App eine Quizshow live gestreamt wird. Zuletzt trat sogar US-Late-Night-Star Jimmy Kimmel als Gastmoderator auf. OMR erklärt das Phänomen HQ Trivia und zeigt, wie die App so populär geworden ist.

Der Gastgeber stellt zwölf Fragen mit zunehmender Schwierigkeit, die Teilnehmer versuchen aus jeweils drei Antworten die richtige auszuwählen: Auf den ersten Blick klingt das Spielprinzip von HQ Trivia weniger innovativ denn altbacken. Schließlich ist das Quiz-Format so alt wie die Unterhaltungsindustrie selbst.

Echtzeit-Gaming als Erfolgsfaktor

Und doch ist es den HQ-Machern gelungen, innerhalb kürzester Zeit mehr als eine Million Nutzer zu gewinnen, die nicht nur ihre App installiert haben, sondern diese auch regelmäßig zu einer vorgegebenen Zeit öffnen, dann alle zur gleichen Zeit zuschauen und am Geschehen teilnehmen. Was macht sie so erfolgreich?

HQ Trivia dürfte die erste App sein, die einen Livestream mit Echtzeit-Gaming-Komponenten verknüpft und damit das Potenzial, die schnelle Internetverbindungen und Smartphones bieten, erstmals annähernd ausschöpft. Im Smartphone-freundlichen Hochkant-Livestream wendet sich der Gastgeber (meist der von der HQ-Community als „Quizdaddy“ sehr geschätzte Comedian Scott Rogowsky) direkt an die Zuschauer. Die haben nur zehn Sekunden, um die gestellte Frage zu beantworten, indem sie auf eine von drei Schaltflächen tippen. Wer die Antwort mit Hilfe von Google oder Siri erschummeln will, muss sich also sehr beeilen.

Die Vine-Macher stecken dahinter

„Wir wollen die Zukunft des Fernsehens bauen“, sagte Rus Yusupov, einer der Macher von HQ Trivia, im Dezember gegenüber der New York Times. Yusupov hat Erfahrung mit digitalem Bewegtbild. Gemeinsam mit Colin Kroll (auch Mitgründer des HQ-Trivia-Betreibers Intermedia Labs) hatte er bereits die Kurzvideo-Plattform Vine gegründet und diese 2012 an Twitter verkauft. Immer noch beschäftigen sich beide mit Video Apps: 2016 launchten sie die Livestreaming-App Hype. Im Oktober 2017 folgte HQ Trivia.

Die App ging schnell durch die Decke. An diesem Wochenende wies der In-App-Counter zu Spitzenzeiten 1,3 Millionen Zuschauer aus. Der US-VC Jay Kapoor veröffentlicht auf Twitter regelmäßig Updates über die neuesten Zuschauerzahlen:

Die Herausforderung: Livestream für Millionen Nutzer

Dabei funktioniert der HQ-Livestream nicht immer störungsfrei. Immer wieder brechen Spiele ab, musste die Sendung verschoben werden und berichten Nutzer von technischen Problemen. Und doch kehren die Nutzer immer wieder zum Spiel zurück. Und wer verfolgt hat, wie Anbieter wie DAZN oder Eurosport versuchen, Sportereignisse live im Web zu übertragen, und mit welchen Problemen diese zu kämpfen haben, der muss den Leistungen der HQ-Macher Respekt zollen.

Viele der HQ-Teilnehmer werden anfangs möglicherweise von der Aussicht gelockt, durch die Teilnahme am Spiel Geld gewinnen zu können. Zwischen 500 und 18.000 US-Dollar loben die Macher pro Spiel aus. Das Preisgeld wird zwischen den Teilnehmern, die alle zwölf Fragen richtig beantwortet haben, aufgeteilt und per Paypal verschickt.

Monetarisierung noch kein Fokus

Doch weil die Teilnehmerzahlen noch schneller steigen als die Gewinnsummen, sind es letztlich oft nur ein- bis niedrige zweistellige Dollar-Beträge, die einzelne Teilnehmer am Ende erhalten. Die Gewinner sind meist trotzdem überglücklich. Anfang Januar verbreitete sich über Twitter ein Video viral, das zeigt, wie die Gewinnerin Lauren May ihre Contenance verliert, weil sie 11,30 US-Dollar gewonnen hat. US-Talkshow-Gastgeberin Ellen DeGeneres lud May daraufhin in ihre Sendung ein.

Das Geld stammt bisher von den Investoren von Intermedia Labs. Zu diesen soll Medienberichten zufolge auch der US-VC-Fond Lightspeed Ventures (u.a. auch bei Snap, Mic und Giphy investiert) gehören. Werbung oder Bezahl-Features lassen sich in der App bislang noch nicht finden. Die Monetarisierung stünde aktuell nicht im Fokus, sagte Rus Yusupov gegenüber Variety. „Aber es gibt massives Interesse von Marken und Agenturen daran, mit uns zusammenzuarbeiten und etwas Unterhaltsames anzustellen.“

Viral-Potenzial eingebaut

Mitverantwortlich für die steigende Popularität ist sicherlich das mit Liebe gestaltete Produkt: Die HQ-Show ist „native“ für Mobile und gleichzeitig wertig produziert, mit einem aufwändigen On-Air-Design versehen und zeitgemäßer Musik unterlegt. Wiederkehrende Elemente wie ein Countdown vor dem Start sorgen für Wiedererkennung und Bindung der Zuschauer. Mit Scott Rogowsky besitzt HQ Trivia ein eigenes „Gesicht“.

Für virale Effekte dürfte eine Empfehlungsmechanik innerhalb der App sorgen: Wer einen Nutzer wirbt, erhält, wenn der neue Nutzer seinen Referral-Code verwendet, ein „Extra Life“ – und darf damit im nächsten Spiel eine Frage falsch beantworten und trotzdem weiterspielen. Die schweren Quiz-Fragen und der Umstand, dass die Spieler ein „Extra Life“ (anders als in anderen Gaming-Apps) nicht kaufen können, dürfte diese für die „HQties“ noch begehrlicher machen.

Nicht immer und überall verfügbar

Für eine App äußerst ungewöhnlich: HQ Trivia ist nicht rund um die Uhr spielbar, sondern nur zweimal am Tag zu festen Uhrzeiten. Die Nutzer werden per Push-Nachricht über den baldigen Start der nächsten Runde informiert. Laut Rus Yusupov wollen die HQ-Macher damit in der App-Welt bewusst gegen den Strom schwimmen: „Wir planen unser Leben durch, aber die Apps auf unseren Telefonen wurden so designt, dass der Content jederzeit und überall verfügbar ist.“ Unter diesem „Paradoxon der Auswahl“ würde der Nutzer jedoch leiden: „Wir durchsuchen 20 Minuten lang Netflix und schauen dann doch nichts.“

Die HQ-Macher wollen demgegenüber offenbar das Schauen ihrer Sendung bei den Nutzern als tägliche Gewohnheit etablieren. US-VC Jay Kapoor hat in einem Blog-Artikel analysiert, warum das Prinzip von HQ auf dem „Hooked-Modell“ von Nir Eyal basiert.

Prominente Influencer

Offenbar schlägt dieses Prinzip an: Product-Hunt-Mitarbeiter Niv Dror zeigt in einer lesenswerten Analyse des HQ-Erfolges, wie Nutzer sich täglich in Gruppen zusammenfinden, um so ihre Chance auf eine richtige Antwort zu erhöhen. Dieses „Community Building“ wird von den HQ-Machern aktiv unterstützt: Am Anfang jeder Sendung steht ein „Shoutout“ des Gastgebers, bei dem dieser einige der teilnehmenden Spieler namentlich nennt. Und er HQ-Twitter-Account retweetet Fotos, die andere Nutzer von sich beim HQ-Spielen zeigen.

Auch US-Late-Night-Hosts wie Jimmy Fallon und Jimmy Kimmel gehören zu den Fans.

Hinzu kommt: Weil HQ auch immer wieder US-Promis namentlich in Fragen nennt, haben schon viele davon (darunter bspw. Evanescence-Sängerin Amy Lee und Ex-MTV-Moderator Carson Daly) einen Screenshot der entsprechenden Frage bei Twitter gepostet und so HQ zusätzliche Aufmerksamkeit verschafft. Die US-Late-Night-Hosts Jimmy Fallon und Jimmy Kimmel gehören zu den Fans. Letzterer ist nicht nur bereits einmal als Gastmoderator von HQ aufgetreten, sondern hat die App auch in seiner Sendung gemeinsam mit seiner Tante gespielt.

Langfristiger Erfolg möglich?

Der Hype rund um HQ Trivia hat mittlerweile zu weltweit 1,7 Millionen Installs der App geführt – und das, obwohl sie bisher nur für iOS erschienen ist. Die Android-Version ist aber schon in Arbeit und soll demnächst erscheinen. Die größte Aufgabe für das HQ-Team dürfte in Zukunft sein, nicht als Modeerscheinung oder Viralwunder in die Annalen nur kurz erfolgreicher Apps einzugehen. Vergleichbare Trendsetter wie Quizduell und Quizup hatten in der Vergangenheit nach einem kurzen (und extrem erfolgreichen) Rush schnell wieder an Popularität verloren. Aber: Sendungen wie „Jeopardy“ und „Wer wird Millionär“ sind ja seit Jahrzehnten in der ganzen Welt erfolgreich.

Dem Weg hin zu einem vergleichbaren Erfolg könnten ausgerechnet die Gründer im Weg stehen. Erste Aufregung gab es um ein angeblich nicht autorisiertes Daily-Beast-Interview mit Moderator Scott Rogowsky. Noch bevor das erschienen war, drohte ihm HQ-Gründer Rus Yusupov mit dem Rausschmiss. Recode berichtet nun, dass eine Investitionsrunde, die eine Unternehmensbewertung von 100 Millionen US-Dollar gebracht hätte, plötzlich auf der Kippe stehe. Der Grund: Drei mögliche Investoren sind ausgestiegen, weil sie besorgt über Berichte sind, nach denen die Gründer sich immer wieder unangebracht gegenüber Mitarbeitern verhalten haben. Beides passt so gar nicht zur Guten-Laune-Quiz-Stimmung der App selbst.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Online Marketing Rockstars.

Bilder: HQ Trivia / Screenshots