Anna Ott ist Online-Startup-Expertin, bereits seit zwölf Jahren rekrutiert sie für die Internetbranche. Im Mai 2010 entschied sie sich, mit Constanze Buchheim I-Potentials als Personalagentur für die digitale Wirtschaft aufzubauen, im Juni 2012 stieg sie zur zweiten Geschäftsführerin auf. Mit Gründerszene spricht Anna Ott über die Entwicklung des HR-Managements und teilt ihre tiefen Einblicke in die Startup-Arbeitswelt.

Startup HR-Management

Hallo Anna, seit wann bist Du bei I-Potentials dabei, was ist Deine Aufgabe dort und was hast Du vorher gemacht?

Ich bin seit Mai 2010 bei I-Potentials (www.i-potentials.de) und habe das Recruiter-Team als Head of Recruiting mit aufgebaut und geleitet. Seit Juni diesen Jahres bin ich zweite Geschäftsführerin neben Constanze Buchheim und kümmere mich hauptsächlich ums Business-Development. Vorher habe ich eine Personalagentur für Interimsmanager mit aufgebaut und dort die Internet- und IT-Practice verantwortet. Insgesamt mache ich seit gut zwölf Jahren Recruiting für und in Internet-Unternehmen und offenbar wird es nicht langweilig.

Was macht I-Potentials als Personalagentur so besonders?

Wir unterscheiden uns von anderen Personaldienstleistern, weil wir uns auf ein Segment, die digitale Wirtschaft, konzentrieren und nur Unternehmen betreuen, die hier ihren Fokus setzen. Innerhalb dieser Fokussierung besetzen wir Stellen auf allen Ebenen, das macht sonst auch niemand. Wir können sowohl Praktikanten und Berufseinsteiger aus unseren Talent-Pools vermitteln als auch Führungskräfte und Spezialisten im Direktsuch-Modus finden. Bei unseren Kandidaten ist unser Anspruch immer, echte A-Player zu vermitteln.

Dahinter steckt die Überzeugung, dass der Arbeitsmarkt der digitalen Welt ein wenig Vorreiter ist für das, was in anderen Branchen bevorsteht und digitale Modelle von daher Mitarbeiter brauchen, die mitten in Wandel, Innovation und wachsender Komplexität erst zu Hochform auflaufen. Durch unseren starken Fokus auf digitale Unternehmen haben wir auch eine recht einmalige (und zukunftsweisende) Expertise aufgebaut und mehr Nähe zum Kunden als auch mehr Verständnis unserer Kandidaten.

Warum ist HR-Management so wichtig?

In insbesondere von Kreativität und Wissen getriebenen Unternehmen sind qualifizierte Mitarbeiter ja schon immer entscheidende Faktoren gewesen. Dazu kommt verstärkend, dass wir einen Fachkräftemangel haben und es insbesondere in dem Epizentrum Berlin einen starken Wettbewerb um Mitarbeiter gibt.

HR-Management ist also dann gut gemacht, wenn man nicht nur die richtigen Leute zur richtigen Zeit einstellt, sondern vor allem auch motivieren und halten kann. Die Zyklen dafür sind heute kürzer und es scheint legitim, alle 24 Monate das Unternehmen und gegebenenfalls das Berufsfeld zu wechseln, weshalb HR-Management ein Dauerthema mit Priorität in jedem stark wachsenden Unternehmen sein sollte.

Was sind die häufigsten Probleme, mit denen Unternehmen auf Euch zukommen?

Ich glaube im Grunde sind es drei Felder. Nummer eins natürlich die Suche nach Mitarbeitern. Das ist nicht allein ein Suchprozess, sondern häufig schon eine Beratung, denn oft weiß man zwar, wofür man jemanden braucht, nicht klar ist häufig aber – insbesondere in unserer digitalen Welt – was diese Person mitbringen und vorher gemacht haben muss.

Da wir viele Quereinsteiger besetzen, teilweise auch aus den Unternehmensberatungen, ist es auch wichtig rauszufinden, welche Persönlichkeit in welches Unternehmen passt. Damit hört es aber oft nicht auf, denn dann ist man schon in der Personalplanung des Kunden involviert. Als Nummer zwei kommt hinzu, dass gerade ganz jungen Unternehmen natürlicherweise auch HR-Expertise fehlt, worin wir ebenfalls bei Bedarf unterstützen können.

Als drittes Element sind wir inzwischen auch mit dem Thema Employer-Branding stark beschäftigt, was dem kompetitiven Arbeitsmarkt unserer Kunden und Kandidaten geschuldet ist. Viele Unternehmen nehmen wahr, dass die Arbeitgebermarke extrem wichtig geworden ist, sind aber ein wenig ratlos, wenn es um die Umsetzung geht. Hier beraten wir nur und geben Tipps, aber das Thema wird sicherlich in den nächsten Jahren – insbesondere übrigens für die alteingesessenen Unternehmen – immer wichtiger, wenn es darum geht, gerade die sogenannten „digital natives“ anzuwerben.

Welches sind die häufigsten Fehler, die in der Startup-Mitarbeiterführung gemacht werden?

Der grundlegendste Fehler ist, dass Mitarbeiterführung von vielen Gründern überhaupt nicht als Thema wahrgenommen wird. Das bedeutet, dass nicht bewusst geführt wird, da man davon ausgeht, dass alle Mitarbeiter das gleiche Level an Eigenmotivation und -verantwortung haben wie die Gründer. Das ist aber nicht immer der Fall und selbst wenn, reicht Motivation nicht, wenn es im täglichen Zusammenspiel keine klaren Regeln gibt.

Außerdem unterschätzen viele junge Gründer die Macht guten Recruitings – ein funktionierendes Team stellt man nicht nebenher zusammen. Viele überschätzen dabei die fachlichen Skills. Im Grunde kann man den Aufbau des Personals eines Startups gut mit der Zusammenstellung eines Profi-Fußballteams vergleichen. Da geht man ja auch nicht auf den Transfermarkt und sucht sich ein paar Innenverteidiger, Torwart und ein paar Stürmer en bloc zusammen…

Letztlich ändert sich mit jeder Personaleinstellung auch die Aufstellung – gerade da, wo es keine klar abgrenzbaren Organigrammkästchen gibt. Und dann hängt es damit doch wieder an den Persönlichkeiten und nicht an dem gelernten Wissen.

Feierabend um 22 Uhr bei kleinem Gehalt – wie oft seht ihr diese Startup-Klischees bedient?

Nicht so häufig, wie man vermutet. Insgesamt hängen Arbeitszeiten und Gehälter auch ganz stark von der Phase eines Unternehmens ab. Kurz nach der Gründung passiert es vielen Startups, dass das Team auch mal eine Nachtschicht einlegt und viel Geld ist in den wenigsten Gründungen von Anfang an vorhanden.

Sobald ein Modell läuft und das Team größer wird, relativiert sich das zum einen, weil mehr Mitarbeiter mit klassischen „Arbeitnehmerbedürfnissen“ – wie geregelten Arbeitszeiten – eingestellt werden und andererseits durch den Wettbewerb, um die Mitarbeiter die Gehälter auch marktüblich sein müssen um gute Leute einstellen zu können.

Ich höre übrigens viel häufiger von Kandidaten aus Unternehmensberatungen Negatives über Arbeitszeiten und -belastung. Und da ist erstaunlich, dass das hohe Gehalt auch nicht hält und die meist bereit, sind dabei starke Abstriche zu machen, wenn sie dadurch mitgestalten können.

Gibt es tatsächlich Stellen, die typischerweise eher an Frauen und solche, die eher an Männer vermittelt werden?

Nein, da gibt es glaube ich keine wahrnehmbaren Trends. Wir bei I-Potentials haben in der Vergangenheit zwar 90 Prozent Frauen eingestellt, was aber eher dem Thema Recruitment geschuldet ist und sich inzwischen auch ändert.
Wenn wir Gründer vermitteln würden, dann gäbe es sicherlich eine Gender-Quote, denn da gibt es definitiv nur selten Frauen.

Gibt es Positionen, die sich schneller vermitteln lassen als andere?

Damit wir „schnell“ vermitteln können, müssen wir zum einen ein richtig gutes Verständnis des Unternehmens und der zu vergebenen Position haben und andererseits muss der Job in sich spannend sein und darf nicht einem „Nischenprofil“ bedürfen. Für uns sind gängige Positionen Junior und Mid-Level im Product-Management und im Online-Marketing, wenn es keine Spezialisten sind.

Das sind Jobs, die auch für viele Kandidaten spannend sind, da das zukunftsweisende Expertisen sind, die man hier auch geschäftsmodellübergreifend einsetzen kann. Gleiches gilt für Einstiegspositionen jeder Art in der Non-IT. Über Developer müssen wir ja gar nicht erst sprechen.

Schwieriger sind natürlich Direktsuchen nach speziellen Profilen. Da kann es schon mal ein bisschen länger dauern, wenn man zum Beispiel einen Product-Manager mit ganz spezifischen Erfahrungen und Kenntnissen sucht oder Mitarbeiter mit Führungs- und/oder GF-Expertise. Da sucht man länger und der gesamte Prozess braucht mehr Zeit, da man diese Kandidaten natürlich auf Herz und Nieren prüft.

Dreiphasige Vorstellungsprozeduren, wöchentliche Feedback- und Erwartungsgespräche – findet ihr den neuen HR-Management-Trend manchmal selbst übertrieben?

Ich denke, insbesondere in der Anbahnungsphase ist es wichtig, klar zu kommunizieren und sich darüber bewusst zu werden, wer sich hier manchmal bei wem bewirbt. Wenn man als Unternehmen um einen hochkarätigen Spezialisten „buhlt“, sollte man den Prozess zwar professionell gestalten, aber nicht dem Kandidaten das Gefühl geben, er wäre Bittsteller. Grundsätzlich ist der Auswahlprozess nur dann gut, wenn man weiß, wonach man sucht und worauf man achtet, insbesondere muss es hier einen Konsens geben, wenn mehrere Entscheider involviert sind.

Feedback-, also Mitarbeitergespräche, sind gerade in Strukturen, die sich wöchentlich ändern, wichtig, aber man muss unterscheiden zwischen Absprache-Jour Fixes des täglichen Tuns und den grundsätzlichen Potenzialgesprächen, in denen die Perspektive der nächsten drei bis sechs Monate für den Mitarbeiter besprochen wird. Das reicht dann auch wirklich einmal im Quartal. Grundsätzlich also nicht übertrieben, wenn es gut gemacht ist!

Ihr selbst seid ein Startup. Welche HR-Maßnahmen werden im Hause I-Potentials angewandt?

Wir haben einen ziemlich umfangreichen Onboardingprozess, das heißt, klare Rollenbeschreibungen, Mentoren, Einführungswoche, Trainings, „Cultural Onboarding“ et cetera. Dahinter liegt die Erfahrung, dass nichts so entscheidend ist wie die klare und explizit gemachte gegenseitige Erwartungshaltung. Das setzt sich entsprechend auch in den regelmäßigen Potenzialgesprächen fort, die übrigens Feedback in beide Richtungen beinhalten.

Klar ist natürlich auch, dass wir einen ziemlich durchdachten Recruitingprozess für unsere Mitarbeiter haben, wir stellen ja selbst immer wieder ein und es ist erstaunlich schwierig uns zu begeistern, gerade weil wir natürlich viele Benchmarks haben.

Welche Sparte bietet gerade besonders viele Jobs an? 🙂

Sparte im Sinne von Geschäftsmodell: E-Commerce ist natürlich nicht wegzudenken in Deutschland und ist entsprechend auch personalintensiv.

Bei Funktionen: Klar ist, dass Developer immer gefragt sein werden, gerade, wenn sie die modernen Programmiersprachen beherrschen, daneben ist Performance-Marketing mit unterschiedlichen Ausprägungen ein großes Thema und erstaunlicherweise Sales und Account-Management. Hier ist es auch nicht leicht, die richtigen Leute zu finden, da es ja hier insbesondere um Persönlichkeiten geht.

Mitarbeit: Silas Sachs