Ein Fachbeitrag von Frank Leue. Er ist freiberuflicher Digital Product Consultant und beschäftigt sich seit 15 Jahren mit der Entwicklung von webbasierten Produkten.

Zunehmendes Interesse an privaten Daten

Fast wöchentlich berichten Medien von neuen Datenpannen. Sei es die geheime Weitergabe von Daten durch den BND an die NSA oder die jüngste Veröffentlichung von tausenden privater Bildern, welche User über den Dienst Snapchat austauschten. Egal ob politisch motiviert mitgehört, unsicher verwaltet, verkauft oder unwissentlich entwendet – der Zugriff auf private Daten ist heute keinesfalls garantiert abgesichert. Diese Problematik wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass große Firmen immer neue Wege finden, weitere Daten zu erheben.

So hat Google in den vergangen Jahren konsequent daran gearbeitet, von der Suchmaschine in die Hosentasche vorzudringen. Mit der Entwicklung des eigenen Betriebssystems Android und dessen enger Verknüpfung mit einem Google-Account ist Google nun in der Lage, nicht mehr nur Suchanfragen auszuwerten, sondern weiß beispielsweise auch, welche Kontakte wie häufig angerufen werden, wann sich wer mit wem trifft und welche Seiten, auch ohne vorherige Suchanfrage, besucht werden. Um an diese Daten zu kommen, „verschenkt” Google sein Betriebssystem und bietet Hardware zu unschlagbar günstigen Preisen an.

Diese Politik verschleiert allerdings nur, dass für die Nutzung letztendlich ein weitaus höherer Preis zu zahlen ist. Google verwendet die gesammelten Daten, um daraus Nutzerprofile zu erstellen, welche dann zum Verkauf angeboten werden. Die Brisanz dieser Thematik wird deutlich, wenn man sich klarmacht, welche Daten heute auf Smartphones und Tablets gespeichert sind. Die digitalen Gadgets sind regelrecht Teil der Identität geworden. Eine der größten Ängste vieler Menschen dürfte es sein, ihr Smartphone zu verlieren. In Wirklichkeit verlieren sie aber täglich unbemerkt ihre elektronischen Begleiter an die Googles, Facebooks und Apples dieser Welt.

Zukünftig werden immer mehr Dienste auf persönliche Daten zugreifen. Durch die Zunahme an vernetzten Geräten und dem Boom des „Internet of Things“ werden immer mehr Daten der Nutzer und deren Umfeld erhoben. Angefangen bei der Herzfrequenz über die Raumtemperatur bis zum Wasserstand der Zimmerpflanzen werden minutiöse Protokolle angefertigt und ausgewertet. Die entstehende Datenflut lässt sich heute immer effizienter verarbeiten.

Nicht zuletzt deswegen ist Cloud-Computing und Big Data ein Thema für alle Unternehmen. Zukunftsforscher gehen heute davon aus, dass in fünf Jahren diese gesammelten Daten den Alltag und das Konsumverhalten jedes Einzelnen maßgeblich beeinflussen werden. Wenn das Smartphone also entscheidet, welchen Käse man auf seinem Frühstückstisch findet, passiert dies, weil unsere persönlichen Daten nicht mehr nur uns gehören.

Unabhängige Dienste statt großer Silos

Vor diesem Hintergrund stellt sich immer häufiger die Frage: „Wie sicher sind persönliche Daten”. Eine allumfassende Antwort kann derzeit allerdings nicht gegeben werden. Für Nutzer, die dieser Entwicklung mit größer werdendem Unbehagen gegenüberstehen, stellt sich also auch die Frage, was sie konkret dagegen unternehmen können. Einige ziehen eventuell konsequent den Stecker und löschen ihre sozialen Profile. Andere suchen Zuflucht in Technologien, die schon lange für tot erklärt wurden. So erlebt die Schreibmaschinenindustrie gerade Ihren zweiten Frühling, denn Regierungen archivieren Vertrauliches wieder in wegschließbaren Ordnern.

Was im einen Fall eine logische Konsequenz ist, stellt im anderen Fall heute keine skalierbare Lösung mehr dar. Eine zeitgemäße und nachhaltige Lösung ist jedoch viel mehr als die Erarbeitung neuer Gesetze, bessere Verschlüsselung oder Zugriffssysteme. Gefragt ist eine Lösung abseits von finanziellen Interessen. Eine Lösung zur Zurückeroberung der Privatsphäre im Web. Der Umfang dieser Aufgabe wird schnell klar, wenn man sich die verschiedenen Aspekte unseres heutigen digitalen Lifestyles klarmacht.

Nicht nur technisches Know-how, sondern auch Designkonzepte und gesellschaftliche Fragen spielen bei der Umsetzung eine Rolle. Es ist also wenig verwunderlich, dass nicht große Firmen erste Schritte in Richtung einer Umsetzung unternehmen. Es sind kleine, unabhängige Projekte, die sich mit unterschiedlichen Teilfragen auseinandersetzen und Produkte entwickeln, welche in einem großen Kontext die Kontrolle über persönliche Daten wieder ermöglichen soll.

So versteht sich das Projekt „Grand Decentral Station“ als offener Blueprint für eine Plattform zur Verwaltung persönlicher Daten. Das Projekt ruft dazu auf, an der Spezifikation mitzuwirken. Die Umsetzung allerdings ist momentan nicht Teil des Projekts. Anders stellt das freie Betriebssystem „ArkOS“ eine Plattform zur Verfügung, welche die Verwaltung von E-Mails, Kalendern, Dateien und so weiter auf der eigenen Hardware ermöglicht.

Einen Schritt weiter geht das „ind.ie“-Projekt, welches als Fernziel ein eigenes Smartphone mit quelloffenem Betriebssystem auf den Markt bringen will. Die zugehörige Kickstarter-Kampagne soll am 8. November starten. Als erstes Teilprodukt des Projekts wurde bereits „Pulse” vorgestellt. Ein FileSync-Dienst ähnlich Dropbox, bei dem jedoch keine Daten auf fremden Servern zwischengespeichert werden. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch das Projekt „Filetransporter”, welches, dank spezieller Hardware, eine sichere Datenverwaltung ermöglicht.

Diese und andere Projekte bilden den Anfang einer leisen Revolution, welche die meisten bestehenden Geschäftsmodelle auf den Prüfstand stellen dürfte. Oder wäre ein Onlineshop ohne die Erfassung von persönlichen Daten überhaupt vorstellbar? Dass dies nicht unrealistisch ist, zeigen bereits heute Payment-Lösungen, welche außer dem Status einer Bezahlung und der Lieferanschrift keine Daten mehr preisgeben.

Auch wenn gerade die ersten vorsichtigen Schritte in Richtung freies Web gegangen werden, zeigen die Teilnehmenerzahlen von Events wie „border:none“, dem „IndieWebCamp“ oder dem „Decentralize Camp“ doch ein deutlich wachsendes Bewusstsein für dieses Thema. Alle diese Projekte und Events werden unter dem Begriff des IndieWeb zusammengefasst.

IndieWeb – Privatsphäre als Chance für Startups

Startups und kleinere Unternehmen können von dieser Entwicklung momentan am meisten profitieren. Durch ihre Flexibilität in der Gestaltung der Geschäftsprozesse können verschiedene Ansätze zur Privatisierung von Nutzerdaten erprobt und als Kundennutzen hervorgehoben werden. Ein grundsätzlicher Schritt ist die Erhebung und Speicherung von nur unbedingt benötigten Daten. Nutzer sollten grundsätzlich die Möglichkeit haben, Ihre Daten einzusehen, zu ändern und restlos zu löschen.

Die erhobenen Nutzerdaten sollten in jedem Fall verschlüsselt gespeichert werden. Kombiniert mit einem Schlüssel, welcher auf dem Gerät des Nutzers hinterlegt ist, ist dies ein zuverlässiger Schutz vor Datendiebstahl. Die dabei eventuell entstehende Angst vor dem Verlust von wertvollen Nutzerinformationen wäre völlig unbegründet.

Basiert ein Geschäftsmodell nur auf der Auswertung von Nutzerdaten, sollte Nutzern die Möglichkeit gegeben werden, ihre Daten gänzlich anonymisiert zu übermitteln. Müssen Daten dezentralisiert ausgetauscht werden, lohnt sich die Investition in ein System zur P2P-Kommunikation. Auf diese Weise werden eigene Ressourcen geschont, und im Ernstfall können Daten nicht von den eigenen Systemen entwendet werden.

Benötigt der Nutzer für den Zugriff auf einen Dienst einen Account, sollte dieser ihn nicht das hundertste Registrierungsformular ausfüllen lassen. Der Einsatz von offenen Standards und Authorisierungssysteme wie „IndieAuth“ wäre eine lohnende Alternative.

Außer diesen, bereits nutzbaren, Lösungen befinden sich weitere bereits in der Entwicklung. So hat das MIT kürzlich einen Entwurf vorgestellt, bei dem privaten Daten auf einem Smartphone gespeichert werden, der Zugriff darauf aber nur über eine anonymisierte Schnittstelle erlaubt ist. Apps können so nicht mehr beliebig Daten sammeln, bleiben jedoch in der Lage, einen personalisierten Service anbieten zu können.

Eine mögliche Emanzipation von Google, Facebook und Co ist lediglich eine zeitliche Frage. Die Nutzung von unabhängigen und offenen Diensten wird gewohnte Geschäftsmodelle verändern und neue ermöglichen. Wer seinen Nutzern transparent die Kontrolle ihrer Privatsphäre ermöglicht, kann selbst von einer neu gewonnenen Freiheit profitieren.

Der Autor dieses Fachbeitrages gibt am 04. November 2014 ein Gründerszene-Seminar zum Thema Startup-IT. Sichere Dir noch heute Dein Ticket und spare bei Eingabe des Codes Herbst-Special 20%!

Bild: © panthermedia.net / Benoit aetb