instagram

Ich hatte es mir fest vorgenommen. An dieser Stelle war ein Text geplant, der davon handelt, dass ich Instagram nicht leiden kann, nicht richtig verstehe und niemals regelmäßig nutzen werde. Eigentlich. Doch dann passierte das Unvorhergesehene. Ich habe meine Meinung geändert. Ja, das soll auch Menschen passieren, die älter als 50 Jahre alt sind. Obwohl man ja sonst selbstverständlich schon alles in seinem langen Leben gesehen und erlebt hat und natürlich alles besser weiß. Bei den Vorbereitungen auf unseren Gründerszene-Schwerpunkt über Instagram habe ich mich dann etwas intensiver mit der Fotoalbum-App auseinandergesetzt. Oder sagen wir besser, damit gespielt. Und seit dem bin ich – nein, noch kein richtiger Fan – aber irgendwie neugierig geworden.

Um überhaupt einen ersten Schritt in die bunte, schöne Instagram-Welt zu tun, muss man verstehen, dass es hier um Fotos geht. Fotos, denen man mit den eingebauten Filtern einen übernatürlichen Look geben kann. Ja, an dieser Stelle dürft ihr gerne lachen. Das ist für Menschen, die seit mehr als 25 Jahren vom geschriebenen Wort leben, eine echte Herausforderung. Selbst Twitter mit seinen 140 Zeichen war da einfacher zu verstehen. Fotos. Punkt. Ist klar. Dazu wenig Text, ein paar Worte höchstens und darunter ein ganzer Drahtverhau an unübersichtlichen Hashtags: #kreisch #sunny #superchillings #matemate #peace #love #kissmyass. Das sieht grauenhaft aus. Ich will das nicht sehen und noch weniger lesen. Und genau dieses Kraut und Rüben unter den Fotos hat mich vor ein paar Jahren abgeschreckt, regelmäßig auf Instagram aktiv zu sein. Meine Kollegen, die hier häufig Fotos posten, haben inzwischen auch zugegeben, dass sie versuchen, den Hash-Buchstabensalat unter den Fotos zu ignorieren. Man könnte aber auch fragen: Könnte dieses Hashtag-Gewitter nicht einfach ausgeblendet werden? Die Hashtags stören mich in meiner neuen Instagram-Welt!

Zweites Problem – oder wie sagt man im eleganten Management-Deutsch – die zweite Herausforderung: Wie findet man eigentlich Accounts oder Menschen, denen man folgen will? Ich klicke – rein intuitiv – auf das Lupensymbol und bekomme vor allem Fotos von ziemlich jungen Mädchen in ziemlich knappen Bikinis und jede Menge Nahrungsmittel zu sehen. Das ist jetzt nicht wirklich störend, aber sogar für meinen unterkomplexen Geschmack ein Hauch zu einseitig. Ok, also einfach mal irgendwo auf „Folgen“ drücken und schauen, was passiert. Der Algorithmus beginnt in seiner Cloud zu rumoren und liefert mir noch mehr Bikinimädchen und Essen. Gut. Verstanden. Davon scheint es hier irgendwo unbegrenzte Reservoires zu geben. #springbreakgirls. Aber wo sind jetzt meine Freunde? Ich suche meine Kollegin und finde sie einfach nicht. „So einfach kannst du mich auch nicht finden“, erklärt sie mir. Schade. Das klingt eher entmutigend. #heul

Nach einiger Sucherei laufen mir doch noch ein paar bekannte Gesichter über den Weg. Und es fällt sofort auf, dass man auf Instagram scheinbar deutlich mehr von sich Preis gibt als in anderen Netzwerken. Ein Freund, der mit seiner Homosexualität im normalen Leben nicht so offen umgeht, zeigt hier durch die Auswahl der Fotos, die ihm gefallen, ganz deutlich, wo seine Vorlieben in Sachen junger Männer liegen. Viel nackte Haut. Sehr eindrucksvolle Muskeln im unteren Bauchbereich. Man nennt es wohl Sixpack. Adrette Frisuren. Ein junges Paar, das ich kenne, zeigt seine Verliebtheit auf Instagram offener als anderswo im Netz. Und das ziemlich bekannte israelische Model Bar Refaeli räkelt sich hier vollkommen nackt am Strand. Splitterfaser. Auf Facebook ist sie deutlich angezogener. Woher kommt es eigentlich, dass sich endlose Diskussionen über Facebook und Privatheit entspinnen und auf Instagram alles offen gezeigt wird?

 

@zac_posen ….I need something to wear for tonight’s @projectrunway @lifetimetv

Ein von Heidi Klum (@heidiklum) gepostetes Foto am

Dann suche ich nach meinen anderen Interessen und spüre deutlich, dass ich doch etwas älter bin, als die große Masse der Nutzer. Für altmodische Elektrogitarren oder Singer-Songwriter der frühen 70er-Jahre scheint sich hier niemand außer mir zu interessieren. Ich setze mich in ein Lokal in Berlin-Mitte und knipse Fotos. Nein, nicht von meinem Essen. Schnell noch einen Filter wählen, ein paar Hashtags, hochladen  – und schon trudeln die ersten Likes ein. Sie mögen mein Bild! Ich mag das. Und bleibe auf Instagram. Vielleicht lade ich morgen ein paar Fotos vom längst vergessenen Sänger David Ackles hoch. Kennt hier keiner? Dort auch nicht. Das muss sich ändern. #genial Ah! Ich sehe gerade. Da ist schon wieder ein neuer Follower. Der sympathische Wolfgang Büchner, Ex-Chefredakteur des Spiegel. Wie schön. Es tummeln sich auf Instagram außer mir also doch noch ein paar Männer im besten Alter – ohne Bikini. #instagram #sexy #jung #wichtigfuerdiemarkenbildung #hype #werkzeug #social #kanal #overandout.

Bild: Michael Berger/Gründerszene