Internet-Berlin Dehype

Nach dem Berg kommt jetzt das Tal?

Seit Monaten wird die Berliner Internetszene als einer der Hotspots der europäischen Unternehmerszene im Technologie-Bereich gefeiert, obwohl sie längst in einen Konsolidierungskurs eingetreten ist, der bald in einen Dehype münden dürfte.

Dabei hat Berlin als Standort Profunde Stärken, die ein Alleinstellungsmerkmal und eine Führungsrolle innerhalb von Europa bedeuten könnten. Ein kritischer Blick auf Berlin als Internet-Gründungsstandort und warum die Bundeshauptstadt perspektivisch vielleicht gar nicht so schlecht da steht.

Dehype I: Inkubatoren-Konsolidierung nach der Schwemme

Während Rocket Internet einsam seine Kreise zieht und zu einem Konzern geworden ist, der Unmengen von Kapital akquiriert und auf seine prozessoptimierte Gründungsmaschine wirft, befindet sich die deutsche Inkubatoren-Landschaft in der Konsolidierung. Besonders gut sichtbar wurde dies zuletzt ja an der Konzentration von Team Europe, das seinen Gründungsapparat recht konsequent zusammenkürzte, oder an HackFwd, welches Lars Hinrichs kurzerhand eingestellt hat, nachdem unterschiedliche Parameter sich nicht so entwickelten wie erhofft.

Dabei mag zum einen die Kapitalausstattung eine Rolle spielen, zumal nicht jeder Inkubator mit Oliver Samwers Sales-Gen oder Project As Wirtschaftspartnerschaften ausgestattet ist (und vielleicht auch nicht sein will). Zum anderen hat aber auch die Schwemme an Acceleratoren und Inkubatoren dafür gesorgt, dass Gefüge der Szene zu erodieren. In Zeiten, in denen breit aufgestellte Firmengruppen wie die Telekom oder ProSiebenSat.1 ihr Kapital (in tendenziell überschaubaren Mengen) verschenken und noch mit Reichweiten-Maßnahmen versehen, lässt sich das bisherige Inkubatoren-Modell oft nur noch schwer verargumentieren. Es dürfte nicht mehr lange dauern, ehe weitere Acceleratoren, Inkubatoren oder Company Builder die Segel streichen oder ihre Dienste fokussieren.

Zyniker würden wohl ohnehin bemerken, dass der große Goldrausch vorbei ist, wenn eher schwerfällige Imperien wie Microsoft, die Telekom oder Axel Springer die Startup-Welt für sich entdecken. Startup-Deutschland ist dabei, ein Big-Boys-Game zu werden, bei dem Kapital und Netzwerk immer zentraler werden. Und wenn man mal ehrlich ist, haben viele der inkubierten Geschäftsideen vielfach auch nicht das gehalten, was man sich von ihnen versprochen hat.

Dehype II: Berlins innovative Hoffnungsträger zündeten nicht

Auch die angesagten Startups aus Berlin-Mitte, die durch die Presse gereicht wurden, als wären sie Hollywood-Stars (manchmal haben ja immerhin welche investiert), konnten die an sie gestellten Erwartungen nicht erfüllen. Gehypte Gründungen wie Amen, 6Wunderkinder oder Gidsy hielten ihre Heilsversprechen nicht ein und gingen in anderen Gründungen auf (Gidsy in GetYourGuide, Amen in Tape.tv) oder drehten ihr Geschäftsmodell.

Wirtschaftlich dürften diese Ansätze vielfach als gescheitert gelten, dennoch haben sie viel für den Standort Berlin getan, indem sie ihm internationale Aufmerksamkeit verschafft haben. Dieser Befund ist folglich auch nicht hämisch gemeint, bietet aber unterschiedliche Einsichten:

  1. Das Verhältnis von PR zu wirtschaftlichem Erfolg ist in Berlin oft umgekehrt proportional und am Ende entscheidet die Wirtschaftlichkeit über Erfolg und Misserfolg.
  2. Berliner Gründer haben oft Geschäftsideen, aber keine Geschäftsmodelle (das Konzept, wie sie mit diesen Ideen Geld verdienen wollen).
  3. Berlin ist deshalb bisher besser darin, etablierte Geschäftsmodelle umzusetzen, indem es sich auf eine exzellente Umsetzung konzentriert.
  4. Gründungen mit Geschäftsideen, denen es noch an einem Proof of Concept fehlt, müssen aus Berlin heraus unmittelbar ein internationales Publikum adressieren und eine hohe Produktqualität bieten, wenn sie erfolgreich sein wollen.
  5. Der deutsche Markt ist für Geschäftsideen, die sich ausschließlich in den Bereichen Mobile oder Social abspielen, anscheinend vielerorts noch nicht reif.

Natürlich gelten diese Einsichten nicht wie eherne Gesetze und sicherlich hat Berlin mit Unternehmen wie EyeEm, ResearchGate oder Wooga auch Hoffnungsträger zu bieten. Festzuhalten bleibt dennoch, dass die öffentliche Euphorie einiger angesagter Gründungen vielfach versiegt ist.

Dehype III: Umbruch in der Politik

Mit Philipp Rösler hatte die Startupszene einen politischen Fürsprecher, der sicherlich an vielen Stellen durch Wahlkampf-Interessen getrieben war, dennoch aber ein profundes Interesse für das Segment als Ganzes aufzuweisen schien. Nach der Bundestagswahl ist dieser Fürsprecher in aller Deutlichkeit abgewählt worden und Angela Merkel hat die Startupszene bisher eher mit Vorsicht betrachtet und sich durch eine Politik der Positionsfreiheit hervorgetan.

Es bleibt also abzuwarten, welche Anstöße die Politik in naher Zukunft der Branche als Ganzes geben wird, wenngleich verbandsseitig ja mittlerweile Interessenvertretungen vorhanden sind, die das Thema Internetwirtschaft auf die Agenda der Politik zu setzen helfen. Gleichzeitig zeigt insbesondere die Berliner Internetbranche aber ein Maß an politischer Unreife, dass entsprechende Events eher zu einer Groupie-Veranstaltung mutieren denn einem kritisch-intelligenten Dialog.

Was Berlin gut kann

Die Hauptursachen für den Berliner Dehype liegen nach meinem Gefühl vor allem darin, dass Berliner Startups Geschäftsideen haben, aber keine Geschäftsmodelle und dass es gleichzeitig oftmals am Zugang zu größeren Kapitalmengen fehlt. Viele Berliner Startups verdienen schlichtweg kein Geld und wenn diese Umstände dann noch auf einen zunehmenden Wettbewerb stoßen (und die Internetwirtschaft ist ja mithin eine der globalisiertesten Branchen schlechthin), bleibt eine Konsolidierung nicht aus.

Dabei hat Berlin neben seinen Standortvorteilen wie einer guten geographischen Lage (Erreichbarkeit, Zeitzonen), dem günstigen Kostenlevel (Mieten, Gehälter, Anschaffungen) oder der zentralen Lage (Anbindung zahlreicher Hochschulen, Nähe zur Politik, kaum industrielle Konkurrenz) vor allem in den Bereichen Marketing und HR einiges zu bieten. In kaum einer anderen Stadt lässt sich derart leicht Zugang zu Experten-Know-how und Erfahrung gewinnen, während gleichzeitig ein internationaler Mitarbeiterpool und Absolventen zahlreicher Hochschulen zur Verfügung stehen.

Operativ blickt Berlin also auf profunde standortgebundene Vorteile, die dazu geführt haben, dass sich gerade im Bereich AdTech spannende Gründungen hervorgetan haben. Manches davon lässt sich sicher auf ganz Deutschland oder zumindest weitere Metropolen übertragen, für den Moment weiß Berlin aber durch eben jene Standortvorteile zu überzeugen. Gelingt es, den Zugang zu Kapital (und auf lange Sicht bedeutet dies auch die Schaffung von Exit-Märkten) zu verbessern und reift das System als Ganzes (Wissenstransfer, Finanzierungserfahrung und so weiter), dürfte die nächste Hype-Phase nicht lange auf sich warten lassen.

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Bild: birgitta hohenester  / pixelio.de