Yvonne Hofstetter, Geschäftsführerin von Teramark Technologies und Autorin von „Sie wissen alles“

„Sie wissen alles“ – so heißt der Bestseller von Yvonne Hofstetter. Das Buch thematisiert die Bedrohung der Freiheit durch Big Data. Die studierte Juristin muss es wissen, schließlich ist sie Mitgründerin und Geschäftsführerin von Teramark Technologies – einem IT-Unternehmen, das selbst intelligente Algorithmen entwickelt und Daten auswertet.

Im Interview mit Gründerszene erzählt die Daten-Expertin, weshalb sie Smartphones und soziale Netzwerke für sich ablehnt, warum Überwachung trotzdem unabwendwar ist – und was das alles mit Zombies zu tun hat.

Frau Hofstetter, Sie nutzen kein Smartphone, haben kein Facebook-Konto und schreiben nichts Wichtiges oder Persönliches in Emails – Sie sind also eine Art „Überwachungsverweigerer“. In Ihrem Buch schreiben Sie zugleich, dass man mit Datensparsamkeit auch nicht verhindern könne, dass unsere Daten von Algorithmen genutzt und ausgewertet werden.

Ja, als Einzelner hat man tatsächlich nicht mehr viele Möglichkeiten, etwas dagegen zu tun. Nur weil man kein Smartphone nutzt, heißt das ja nicht, dass man nicht digital verfolgbar wäre. Vielleicht aber ein wenig kontrollierter. Es hilft schon, sich datensparsam im Netz zu bewegen. Alles, was ich im Netz von mir preisgebe, ist eben nicht mehr privat. Und man muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Daten dann uneingeschränkt weiterschwirren. Man sollte sich also immer fragen: Habe ich meinen öffentlichen Menschen unter Kontrolle? Diese Kontrolle bezieht sich aber eben nur auf die kooperative Datenerfassung. Und so langsam sieht man eben den Trend zu nicht-kooperativer Datenerfassung.

Was heißt das?

Solche Daten werden zum Beispiel von Sensoren, die uns umgeben, erfasst. Internet der Dinge ist hier das Stichwort. Es gibt Unternehmen, die scannen oder tracken die MAC-Adresse, also die einzigartige Identifikationsadresse, des Smartphones. Wenn man sich dann durch Flughäfen, Bahnhöfe oder Kaufhäuser bewegt und dabei das WLAN eingeschaltet ist, wird eben mitgetrackt. Es kommt so ein Bewegungsprofil zustande, weil das Smartphone eben immer wieder versucht, sich im WLAN einzuloggen. Das ist also, wenn man so will, eine stille Datenübertragung – ohne, dass man dies weiß oder möchte. Und das ist höchst problematisch, da man diese Daten überhaupt nicht unter Kontrolle hat.

Eine Menge Leute bewegt sich trotzdem  noch immer relativ unbeschwert durchs Netz, auf Facebook zum Beispiel. Dort haben die Nutzer eben doch das Gefühl, dass sie kontrollieren können, welche Daten  öffentlich werden. Wie argumentieren Sie da?

Natürlich, zunächst einmal bestimmt der Nutzer selbst, welche Daten er dort preisgibt. Das ist die sogenannte kooperative Datenerhebung. Das Problem, das der Nutzer nicht auf dem Schirm hat, ist, dass seine Daten nicht zu dem primären Zweck, zu dem er sie einstellt, auch tatsächlich genutzt werden.

Sondern?

Sondern diese Daten werden dazu genutzt und durch Algorithmen ausgewertet, um zum Beispiel auf den Charakter oder persönliche Eigenschaften zu schließen.

Wie das? Geben Sie mir mal ein Beispiel.

Wenn jemand bei Facebook Britney Spears und außerdem auch noch „Desperate Housewives“ liked, dann denkt sich derjenige vermutlich nichts dabei. Aber der Algorithmus, der im Hintergrund läuft, sagt: Dieser Nutzer ist mit einer höheren Wahrscheinlichkeit homosexuell. Und wenn jemand mit dem Smartphone telefoniert, dann entstehen dort Metadaten, die dann ausgewertet werden: Wer telefoniert wann mit wem? Und wie lange? Mit der Mutter? Um drei Uhr morgens? Am Wochenende? Aus diesen vielen Rohdaten, die für uns doch eher zusammenhangslos erscheinen, aus denen werden neue Informationen erzeugt – über uns, über unser Leben, über unsere Eigenschaften, unser Verhalten. Das haben die Menschen nicht auf dem Schirm.

Spielen Sie damit auf den Begriff vom „virtuellen Zombie“ an, den Sie in Ihrem Buch nutzen?

Richtig. Wenn die Daten einer Person erst einmal herumschwirren, dann lässt sich nicht kontrollieren, was da genau gesammelt wurde, wo die Daten herkommen und ob sie richtig oder falsch sind – und vor allem, was da an neuen Informationen bereits abgeleitet ist. Das kann beispielsweise dazu führen, dass man irgendwann einmal Probleme hat, einen Kredit zu bekommen. Es ist bekannt, dass heute schon Facebook-Daten dafür genutzt werden, um die Kreditwürdigkeit zu berechnen. Da macht einem der virtuelle Zombie quasi einen Strich durch die Rechnung – selbst wenn die (abgeleiteten) Daten falsch oder inzwischen veraltet sind.

Ihr Unternehmen verdient sein Geld doch selbst auch mit Big Data. Wie passt das mit Ihrer kritischen Haltung zusammen?

Wir unterscheiden hier im Unternehmen zwischen „good“ und „bad“ Big Data. Und eigentlich ist diese Unterscheidung ganz einfach, sie richtet sich nämlich danach, worüber Daten gesammelt werden: geht es um ein Objekt, eine Sache – oder um eine Person? Und bei Teramark Technologies werden eben nur erstere Daten gesammelt und ausgewertet, beispielsweise im Industrieumfeld, in der Anlage- oder Verkehrssteuerung. Wir sammeln keinerlei personenbezogene Daten, das ist unser Grundsatz, unsere Philosophie.

Und warum sind nur personenbezogene Daten so „bad“?

Überall dort, wo es um personenbezogene Daten geht, da wird es kritisch, weil der Mensch eben keine Sache ist. Ihm steht seine Menschenwürde zu – und das ist das zentrale Grundrecht, in dem auch der sogenannte Datenschutz verankert ist. Wobei dieses Wort sehr unglücklich ist, denn geschützt werden sollen hier nicht die Daten, sondern die Freiheitsrechte des Menschen.

In Ihrem Buch schreiben Sie auch, durch Big Data sei die Demokratie in Gefahr.

Das Problem ist die Möglichkeit der Manipulation. Und manipuliert wird ja schon. Ein prominentes Beispiel ist das Facebook-Psycho-Experiment aus dem Jahr 2012. Damals wurden 690.000 Facebook-Nutzer durch das Ausspielen bestimmter Informationen hinsichtlich ihrer Emotionen manipuliert. Dieses Beispiel zeigt schon, wohin es geht. Da tut sich ein ganz breites Feld auf. Die Frage ist, wie werden wir dann geleitet? In welche Filterblase werden wir gesteckt? Welche Informationen werden uns gezeigt oder nicht mehr gezeigt? Eben nur noch die, die wir – laut Algorithmus – sehen wollen. Und nicht mehr die, die wir sehen müssen, um einen Pluralismus in der Demokratie herzustellen.

Damit beziehen Sie sich vor allem auf Google, Facebook und Co., richtig?

Nun ja, es ist ja nun einfach mal so, dass die Dienste, die mit solchen Informationsfiltern arbeiten, oft US-amerikanische Unternehmen sind. Und genau deshalb entsprechen diese Dienste eben auch nicht unserer Rechtsordnung. In den USA herrscht ein anderes Verfassungsverständnis und eben auch ein anderes Verständnis von Privatheit. Außerdem findet hier natürlich auch eine Machtkonzentration statt. Google beispielsweise hat einerseits alle Daten über uns, aber eben auch die Technologien, um diese entsprechend auszuwerten – und Kontrollstrategien zu implementieren. So mächtig war eigentlich noch nie ein Staat, geschweige denn ein Unternehmen. Und dem sind wir ausgeliefert, wenn wir diese Services nutzen. Es gibt dort einfach noch gar keine Regelungen. Im Moment werden hier nur die Wachstumschancen gesehen – ja, die sind ohne Zweifel vorhanden. Aber das Risiko, dass man hier zugleich riesige Schäden anrichtet, Kollateralschäden, ist enorm.

Was müsste also getan werden und von wem?

Das ist ganz klar eine Aufgabe des Staates. Der Staat muss die Vernetzungsinfrastruktur regulieren – also wo, wie und wie lange Daten gespeichert werden. Allerdings herrscht auf europäischer Ebene fast mehr Bewusstsein dafür als auf bundesdeutscher Ebene. Die Vorstöße kommen hier eher aus Brüssel und Straßburg. Das Recht auf Vergessen ist zum Beispiel so eine Maßgabe, bei der das Recht auf Kontrolle meiner Daten und die informationelle Selbstbestimmung zumindest andeutungsweise aufgegriffen wird. Aber völlig ungeklärt ist auf der anderen Seite noch, wem die Daten eigentlich gehören. Google zum Beispiel ist der Ansicht – und das hat Google-Chef Eric Schmidt ja direkt so geäußert – dass unsere Daten Google gehören. Ich persönlich vertrete die Ansicht, dass sie quasi Subjektcharakter haben, weil sie so existenziell für den Menschen sind. Meine Daten gehören deshalb mir. Insofern müsste man sich vielleicht einmal das Eigentumsrecht anschauen – und sehen, wie es sich künftig in der digitalen Welt verhalten wird.

Sie schlagen ja auch vor, dass man für seine Daten einen Gegenwert erhalten könnte. Welchen Preis haben denn meine Daten?

Im Jahr 2013 gab es dazu eine Untersuchung. Das Ergebnis war eine Summe von etwa 6.000 Euro pro Person pro Jahr. Da kommen hochgerechnet dann schon etliche Milliarden zusammen. Letztlich sind Daten also ein kostbarer Rohstoff, für den so ein Internet-Gigant wie Google aktuell nichts bezahlen muss. Wenn ich also die Wirkursache dieser riesigen Umsätze bin – sollte es dann nicht so sein, dass dieser Wert irgendwie gewertschätzt wird?

Ich kann mir schwerlich vorstellen, dass mir Google irgendwann einmal ein paar tausend Euro im Jahr zahlen wird. Wie soll man so etwas durchsetzen?

Ich bin mit etlichen anderen Wissenschaftlern der Ansicht, dass wir eine eigene europäische Internet-Infrastruktur brauchen. Das ist ja technisch nicht unmöglich. Das eigentliche Problem liegt darin, dass wir in Europa kein Geld haben. Wir sind hier hoffnungslos unterkapitalisiert. Die Kapitalmarktstrukturen sind in den USA ganz anders. Als Google und Facebook angefangen haben, hatten die nichts weiter als ihre Technologie. Die hatten kein Geschäftsmodell und auch keine Idee, wie man irgendwann einmal damit Geld machen könnte. Und trotzdem bekommen solche Tech-Unternehmen zig Millionen Investitionen. Und in Deutschland sagen die Investoren: Wir investieren nicht in die bloße Technologie, sondern in Geschäfte. Und bevor du als Startup kommst, musst du schon dein Produkt fertig haben und deine Kunden mitbringen. Das ist ein Henne-Ei-Problem. Wir Deutschen sind nicht risikobereit, wir haben keine Unternehmerkultur.

Und wie löst man dieses Henne-Ei-Problem?

Zunächst einmal müsste man etwas an der Denkweise ändern. Und zwar angefangen bei den jungen Leuten. Im letzten Jahr gab es ja eine Umfrage, was Studenten werden wollen. Da haben 66 Prozent geantwortet, dass sie für den Staat arbeiten möchten – für den Staat! Das heißt also: gar nichts produzieren, keine Innovationen, sondern nur verwalten. Das ist eine Katastrophe. Wenn sich da nichts ändert, wird irgendwann nur noch der Bestand verwaltet – und der veraltet natürlich.

Danke für das Gespräch!

Bild: Yvonne Hofstetter