Zu Stoßzeiten kostet das Taxi mehr als üblich. Nach diesem Prinzip arbeitet der viel kritisierte Uber-Algorithmus, der den Fahrdienst bei dessen Einführung in die erste PR-Krise stürzte. Mitentwickelt wurde das Prinzip von Kevin Novak. Er baute Ubers Bereich für Data Science & Analytics auf, ebenso die Logistiksparte des hoch bewerteten Startups, Uber Freight.

Das Berliner Shuttle-Startup Door2Door hat Novak Ende 2017 als Berater in sein Advisory Board geholt. Door2Door will mit seinen Shuttles auf Abruf private Pkw von der Straße holen. Novak soll das Mobility-Startup bei der Entwicklung der Plattform-Technologie, der Produktentwicklung sowie beim Ausbau des Entwickler-Teams unterstützen. Im Interview spricht der Uber Ex-Head of Data Science über seine Visionen für das Berliner Startup, die Probleme bei Uber und verrät, wie er die deutsche Startup-Szene einschätzt.

Kevin, wie siehst du deine Rolle bei Door2Door?

Ich sehe mich als Berater. Erstens möchte ich mein praktisches Wissen aus dem Verkehrssektor weitergeben, aber auch die Erfahrungen aus meiner Zeit bei Uber einbringen. Uber hat seit der Gründung im Jahr 2009 bereits unterschiedliche Lebenszyklen eines Unternehmens durchschritten, ich kenne also die Herausforderungen eines wachsenden Startups. Door2Door möchte ich auf ihrem Weg unterstützen, ihre Plattform auf dem effizientesten Weg an den Markt zu bringen.

Welche Herausforderungen siehst du?

Die grundlegende Frage lautet doch: Wie können wir den besten Mobility-Service für die größte Anzahl an Menschen bereitstellen? Und zwar so, dass wir möglichst wenig in neue Infrastruktur investieren, sondern das Vorhandene nutzen. Aus der Sicht eines Data Scientists wie mir handelt es sich dabei um ein Daten-, beziehungsweise ein Optimierungsproblem – das sich mit Technologie lösen lässt. Dass diese Aufgabe komplex ist, muss jedes Unternehmen, auch Door2Door, allerdings erst einmal anerkennen.

Was genau meinst du damit?

Ein Beispiel: Die Ridesharing-Industrie ist zunächst ein kleiner Markt, zumindest im Vergleich zu der Anzahl der Autos, die auf den Straßen sind. Zu Anfangszeiten haben wir bei Uber eine Technologie entwickelt, die einen Reisenden, der ein Taxi ruft, mit einem freien Fahrer matcht. Als wir das gelöst hatten, entstanden neue Herausforderungen. Denn je tiefer ein Unternehmen in den Markt einsteigt, desto komplexer werden die Aufgaben. Dann bist du auf einmal dafür verantwortlich, dass Staus auf den Straßen entstehen, weil so viele Fahrer unterwegs sind.

Im Unterschied zu Uber fokussiert Door2Door nicht den Markt mit privaten Fahrern, sondern einen B2B-Ride-Sharing-Service, der Teil des Öffentlichen Nahverkehrs ist. Wo liegen Unterschiede? Wo Gemeinsamkeiten?

Öffentlicher Nahverkehr unterscheidet sich von Rideshare-Angeboten. Busse, Bahnen als auch Shuttle-Busse können offensichtlich viel mehr Menschen gleichzeitig transportieren als Rideshare-Dienste mit Pkw. Das bedeutet: Auch, wenn die Optimierung des Systems nur langsam voranschreitet, sind die Effekte schneller und für eine größere Anzahl an Menschen spürbar, das bringt Vorteile bei der Akzeptanzbildung. Unter dem Strich aber haben Door2Door und Uber die gleiche Zielsetzung: Sie wollen eine Technologie entwickeln, die Menschen effizient von A nach B bringt. Beide Startups haben allerdings auf dem Weg dahin unterschiedliche Prioritäten gesetzt.

Hängt das auch vom jeweiligen Markt ab?

Auf jeden Fall. Jedes Land hat seine eigenen Gepflogenheiten. Als wir mit UberPool in Asien starteten, war die Reaktion: „Oh, cool. Danke, dass ihr uns ein System bringt, das wir schon seit 30 Jahren etabliert haben.“ Das war ein riesen Unterschied zu den USA. Doch es geht nicht nur um die Gewohnheiten, sondern auch darum, wie der Öffentliche Nahverkehr organisiert ist, privat oder öffentlich etc. Eines ist aber überall gleich: Die Menschen wollen ein verlässliches, stabiles Verkehrsnetz, mit dem sie möglichst schnell und günstig zum Ziel kommen. Ob das nun Taxis, Busse oder Züge oder eine Kombination aus allen drei sind, ist egal.

Bei Uber hast du das viel kritisierte Surge-Pricing-System mitentwickelt. Warum war das wichtig für den Fahrdienst?

Es war die Möglichkeit, Ubers Vision umzusetzen. Die lautete: Wenn du einen Mobilitätsservice baust, muss dieser verlässlich sein, das Taxi soll innerhalb von fünf Minuten beim Kunden vorfahren. Die Frage war also: Wie können wir Verlässlichkeit garantieren? Wir haben die Preisgestaltung früh als mögliche Stellschraube gesehen.

Wie funktionierte das?

Ein Beispiel: Wenn du Freitagnacht zum Hafen willst, ist viel Verkehr auf der Strecke, alle wollen dorthin, um sich zu amüsieren. Folglich mussten wir überlegen, wie wir auch zu solchen Stoßzeiten möglichst viele Fahrer zur Arbeit motivieren. Das geht zum Beispiel über die Aussicht auf höhere Einnahmen. Also haben wir den Fahrern zu diesen Zeiten mehr Geld gezahlt, gleichzeitig stiegen die Preise für die Uber-Kunden.

Das kam nicht überall gut an … 

Ja, wir wussten, dass das Produkt nicht funktioniert, wenn die Preise zu stark schwanken, also haben wir sie beim Doppelten des üblichen Preises gedeckelt. Viele Menschen haben uns dafür trotzdem kritisiert. Uns wurde nachgesagt, wir hätten damit nur unseren Gewinn steigern wollen, böten einen Service nur für Wohlhabende an. Wir haben mehr Geld verdient, das stimmt. Unser eigentliches Ziel war aber, die Nachfrage in solchen Stoßzeiten so zu verschieben, dass die Leute 15 Minuten später in ein Uber steigen, sich also die Nachfrage verteilt.

Würde ein solches Preissystem auch bei Door2Door funktionieren?

Mit den Gründern Tom Kirschbaum und Maxim Nohroudi habe ich darüber noch nicht gesprochen. Aber: Ein Test wäre denkbar, müsste aber wohl durchdacht sein. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass es umgekehrtes Anreizsystem, wie Uber es genutzt hat, aber vermutlich eine höhere Akzeptanz finden würde. Beispielsweise erhalten Pendler einen Rabatt von 30 Prozent, wenn sie den Zug etwa 15 Minuten später nehmen.

Wie hat Uber damals auf die Kritik reagiert, einen Service für Leute mit dickem Geldbeutel zu etablieren?

Wir haben an den Reaktionen gelernt: Die Einführung neuer Produkte kann nach hinten losgehen. Denn jedes Produkt ist ein implizites Werte-Statement. Daraufhin hat das Unternehmen noch weitere Produkte entwickelt, die allen zur Verfügung stehen sollten, wie beispielsweise UberPool.

Der Fahrdienst hat lange mit Managementproblemen gekämpft. Wie hast du diese Zeit erlebt?

Meine persönliche Erfahrung waren positiv: Ich hatte den Eindruck, wir arbeiten in einer guten Umgebung mit motivierten Leuten, die gute Arbeit abliefern. Das heißt nicht, dass ich der Kritik aus dem vergangenen Jahr widerspreche, persönlich habe ich allerdings andere Erfahrungen gemacht.

Wie bist du mit der aufkommenden Kritik und den Skandalen umgegangen?

Ich war fast sechs Jahre bei Uber, das ist eine lange Zeit. Eigentlich wollte ich das Unternehmen schon früher verlassen, als ich es dann tatsächlich getan habe. Als die Krise aufkam, entschied ich, noch zu bleiben. Denn das Unternehmen war mir wichtig. Neben meinem damaligen Job als Uber-Freight-Manager habe ich im letzten Jahr so viel Sozialkapital und Erfahrung investiert wie möglich, um eine neue Kultur zu etablieren. Mit Erfolg: Bei Uber Freight hatten wir einen Frauenanteil von 70 Prozent und haben das Thema Diversity auf die Agenda gebracht. Als ich das Unternehmen auf dem richtigen Weg sah, bin ich gegangen.

Du sagst es bereits: Du hast auch Uber Freight mit entwickelt. Wie siehst du die Zukunft der Logistik?

Das Ökosystem Logistik ist – wie der Markt mit Lieferdiensten – bereit für die Disruption. Allerdings ist er sehr viel komplexer, was das Marktvolumen und die internationalen Dimensionen angeht. Zwar habe ich Uber Freight mehr als ein Jahr begleitet, sehe ich da sehr viel Potenzial in dem Markt. Ich beobachte das Geschehen derzeit von der Seitenlinie und bin sicher: In den kommenden drei, vier Jahren werden wir hier noch viel sehen.

Was hälst du von der deutschen Startup-Szene?

Ich bin fasziniert von Deutschland. Erstmals war ich für einen Talk auf der Bits and Pretzels in Deutschland. Mein Eindruck: Es gibt viele smarte Leute dort, die unternehmerisch fit sind. Außerdem stellt die EU mehr und mehr Kapital für Gründer bereit und vereinfacht den Zugang zum Kapital. Außerdem spielt die geopolitische Situation Deutschland in die Hände, sei es Trump oder der Brexit. Damit ist Deutschland auch für Talente attraktiv, die vor fünf oder sechs Jahren noch nach Kalifornien gegangen wären. Jetzt bleiben sie zu Hause und überlegen, was sie dort machen können, um das Leben der Menschen zu verbessern.

Danke für das Interview, Kevin.

Bild: Privat