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sundar-google Google-Chef Sundar Pichai bei der I/O Developers Conference 2016

Dem Internetkonzern Google ist sein Chef offenbar viel wert. Im Februar erhielt Sundar Pichai Aktien im Wert von etwa 200 Millionen Dollar – und stieg damit zum bestbezahlten Vorstandschef eines US-Unternehmens auf.

Dabei gilt Pichai als bescheiden. Er wuchs mit seiner Familie in einer kleinen Wohnung im Süden Indiens auf. Ihr Transportmittel war ein Moped, auf dem sie häufig zu viert fuhren. Die Familie bekam ihr erstes Telefon, als Pichai zwölf Jahre alt war. Zum ersten Interview als Google-Chef mit einem deutschen Medium erscheint Pichai in der Konzernzentrale im Silicon Valley in Jeans und schwarzem Hemd.

Herr Pichai, Großbritannien hat sich dazu entschlossen, die Europäische Union zu verlassen. Welche Auswirkungen wird das auf Google haben?

Wir respektieren natürlich das Ergebnis dieses demokratischen Prozesses und engagieren uns nach wie vor sehr in beiden Märkten, in Großbritannien und der EU. Als Unternehmen sehen wir einen großen Wert in Europa als einem einheitlichen digitalen Markt. Für ein globales Unternehmen ist es eine Herausforderung, sich in jedem Land mit anderen Gesetzen und Regulierungen auseinanderzusetzen. Diese Komplexität macht ein stärkeres Engagement schwierig, was sich dann auch in den Investitionen ausdrückt.

Wird Google Konsequenzen ziehen?

Große Unternehmen können mit einem komplizierteren Gefüge von Gesetzen und Regulierungen besser umgehen als kleine Unternehmen. Wir haben die Möglichkeit, mehr Mitarbeiter dafür einzusetzen, sich mit dieser Komplexität auseinanderzusetzen. Kleinere Unternehmen, die häufig Treiber von Innovationen sind, können sich das nicht leisten. Hier sind die Folgen schmerzhafter.

Schmerzhaft könnte Ihr jüngster Konflikt mit der EU-Kommission werden. Die wirft Ihnen vor, mit dem Smartphone-Betriebssystem Android den Wettbewerb zu behindern.

Android gehört wohl zu den offensten Computersystemen, die jemals entstanden sind. Basierend auf Android sind viele Unternehmen und Innovationen entstanden.

Man macht Ihnen zum Vorwurf, dass Sie Smartphone-Hersteller zwingen, mit Android und dem Play Store weitere Google-Apps zu installieren. Dies beschränke den Wettbewerb und damit am Ende auch die Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher.

Es werden auch Anwendungen von anderen Entwicklern auf den Geräten vorinstalliert. Es gibt dieses Nebeneinander, beispielsweise bei Messaging-Diensten. Wenn Sie sich irgendein Android-Telefon nehmen und ansehen, finden Sie darauf eine Vielzahl von Anwendungen, die nicht von Google stammen. Wir haben Android gebaut und verschenken es an die Hersteller von Geräten. Warum sollten einzelne unserer Dienste nicht dort vorinstalliert sein?

Warum schreiben Sie es den Herstellern vor, dass die Apps installiert sein müssen?

Es gibt viele Google-Anwendungen, die nicht vorinstalliert werden, wie beispielsweise Google Shopping. Wenn Nutzer aber ein nagelneues Android-Telefon in Betrieb nehmen, dann erwarten sie, dass es mit einigen Basis-Diensten wie einer Straßennavigation oder E-Mail funktioniert.

In Europa wird Google auch wegen seiner Steuerpraxis kritisiert. Warum zahlen Sie eigentlich nicht dort Steuern, wo Sie Ihr Geld verdienen?

Wir befinden uns als global tätiges Unternehmen im Spannungsfeld des internationalen Steuerrechts, bei dem es um die globale Verteilung von Steuern geht. Insgesamt zahlen wir unsere Steuern analog zur durchschnittlichen OECD-Steuerrate. Nach der Struktur des existierenden Steuerrechts zahlen die meisten Unternehmen den größten Anteil ihrer Steuern in ihren Heimatländern.

Ist das sinnvoll?

Nur die Weiterentwicklung des globalen Steuersystems durch Politiker kann uns hier zu besseren Ergebnissen führen. Wenn Gesetze dazu verabschiedet werden, halten wir uns selbstverständlich daran. Wir investieren schon heute sehr stark in Europa. Die Zahl der Entwickler, die Google in Europa beschäftigt, hat in den vergangenen zwei bis drei Jahren enorm zugenommen, mittlerweile beschäftigen wir mehr als 14.000 Googler in Europa. Auch das führt zu zusätzlichen Steuereinnahmen in diesen Ländern. Derzeit investieren wir in Europa verstärkt in die Forschung der künstlichen Intelligenz.

Tun Sie das, weil Sie Angst haben, von Startups überholt zu werden?

Natürlich. Wir sind zwar ein großes und erfolgreiches Unternehmen, aber wir wissen, dass Technologie immer wieder vorangebracht wurde von Startups, die sich schnell bewegen und Dinge anders machen als zuvor.

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Google hat bereits mehr Mitarbeiter als mancher Industriekonzern. Ist diese Angst nicht paranoid?

Als großes Unternehmen mit großen Ressourcen haben wir den Vorteil, dass wir sehr langfristig denken können. Ein Beispiel sind von uns entwickelte Prozessoren, die uns beim maschinellen Lernen unterstützten. Die Arbeit daran hat vor drei Jahren begonnen. Oder unsere Dienste, die wir entwickeln, ohne dafür gleich ein Geschäftsmodell zu haben. Google Fotos ist eine solche Anwendung. Trotzdem ist uns klar, dass wir jedes Jahr den Erfolg neu verdienen müssen. Wir arbeiten häufig in kleinen Teams, diszipliniert und schnell, so wie es auch Startups machen. Es geht am Ende um die richtige Balance. Die meisten großen Unternehmen scheitern daran, dass sie denken, es ginge ihnen gut, nur weil sie groß sind.

Große Unternehmen tragen auch gesellschaftliche Verantwortung. Warum sind Sie so zurückhaltend in der politischen Diskussion in den USA?

Wir sehen uns als eine wichtige Plattform, auf der Menschen ihre Meinung äußern können. Das geschieht zum Beispiel auf YouTube. Der Präsidentschaftswahlkampf ist ein demokratischer Prozess, in dem wir unser Bestes tun, dass Nutzer die Informationen erhalten, die sie benötigen.

Zugleich tritt Google für bestimmte Werte ein. Wäre es nicht Zeit für mehr Engagement?

Wir treten engagiert für unsere Werte ein, die wir eindeutig vertreten. Das betrifft unter anderem die Einwanderungsreform genauso wie Inklusion und gleiche Rechte für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle und Transgender-Personen.

Das ist nicht die Agenda, die der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump verfolgt.

Es ist nicht unsere Aufgabe, sich auf die Seite von politischen Kandidaten zu stellen. Unsere Rolle als Unternehmen sehen wir darin, eine Plattform zur Verfügung zu stellen, auf der Meinungen kommuniziert werden können.

Über die reine Plattform gehen Ihre Entwickler aber weit hinaus. Sie haben bereits die künstliche Intelligenz angesprochen. Mit dem System AlphaGo haben Sie einen der besten Go-Spieler der Welt besiegt. Computer beginnen nun, sich selbst zu programmieren und zu lernen. Wird es jetzt gruselig?

Wir nutzen maschinelles Lernen im Grunde schon seit vielen Jahren, zum Beispiel, um unseren Gmail-Spam-Filter zu verbessern. Aber die enormen Fortschritte, die wir in den vergangenen drei bis vier Jahren mit künstlicher Intelligenz gemacht haben, bringen uns an einen Wendepunkt.

Was meinen Sie damit?

Wir bewegen uns von unserer Internet-Suche hin zu einem Assistenten, der Nutzern in allen Belangen helfen kann. Sie werden in Zukunft mit Google sprechen können wie mit einer Person. Und Google wird Sie verstehen. Das ist der nächste große Schritt. Maschinelles Lernen wird uns bei vielen unserer Produkte deutlich weiterhelfen.

Experten warnen vor einer Zukunft, in der Maschinen und Computer plötzlich zu Dingen in der Lage sind, für die man bisher Menschen brauchte. Millionen von Jobs könnten verschwinden. Ist unsere Gesellschaft darauf vorbereitet?

Schauen Sie sich die Geschichte an. Technologie hatte immer ein großes Veränderungspotenzial. Aber sie hat zugleich das Leben der Menschen immer besser gemacht. Das ist es vor allem, woran ich bei maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz denke. Diese Fortschritte werden beispielsweise dazu führen, Krankheiten besser diagnostizieren zu können.

Wie sollen wir mit den negativen Auswirkungen umgehen?

Sie haben Arbeitsplätze angesprochen. Ich bin hier zuversichtlich. Die Entwicklung, die wir erwarten, wird sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Viele dieser Dinge werden in einer Art geschehen, die es den Menschen erlaubt, sich an die neue Welt anzupassen. Wir haben das alles schon erlebt. Es gibt aufgrund des technischen Fortschritts heute Berufe, die sich früher niemand hätte vorstellen können. Das Ziel der Gesellschaft sollte sein, den Menschen dabei zu helfen, ein glückliches Leben zu führen. Und ich glaube, dass Technologie und demnach auch künstliche Intelligenz dabei helfen können, genauso wie das die Erfindung des Buchdrucks oder des Computers getan haben.

Aber selbstlernende Systeme könnten sich verselbstständigen und außer Kontrolle geraten. Sollten wir nicht zumindest einen Aus-Knopf haben?

Wir sind alle sehr darauf bedacht, diese Dinge in einer verantwortlichen Art und Weise zu entwickeln. Künstliche Intelligenz ist allein technisch noch längst nicht so weit, dass solche Szenarien überhaupt möglich wären. Wir sind davon Dekaden entfernt. Stellen Sie sich vor, wir hätten uns zu Beginn des Internets ausmalen wollen, was alles später mal hätte passieren können. Die Computerwissenschaften brauchen noch viele Durchbrüche, damit künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen wirklich gut funktionieren.

Immerhin stellen schon heute viele Menschen Google ihre Fragen per Sprache.

In den USA trifft das schon in einem von fünf Fällen zu. Und es wird mehr werden. Wir entwickeln einen Assistenten, der künftig eine andauernde Unterhaltung mit dem Nutzer ermöglicht und dabei nicht nur Informationen im Internet sucht, sondern auch Aktionen ausführen kann.

Wenn die Menschen über Ihren Lautsprecher Home Google nutzen, wie wollen Sie dann Werbung an die Nutzer bringen. Vorlesen?

Wir wissen das schlichtweg noch nicht. Wir wussten aber auch noch nicht, wie wir Geld verdienen wollten, als wir die Internet-Suche entwickelten. Wir gehen an diese Dinge anders heran.

Wie denn?

Wir sind uns sicher, dass sich das ergibt, wenn wir für eine große Zahl unserer Nutzer einen Wert schaffen. Das ist genau das, worauf wir uns bei unserem Assistenten fokussieren.

Bringt der Assistent das Ende der normalen Internet-Suche?

Die Internet-Suche, wie wir sie heute kennen, und der Assistent werden nebeneinander existieren. Man wird Google weiterhin Fragen stellen. Google wird aber auch vorausschauend Dinge für den Nutzer erledigen, ohne dass Google gefragt wird.

Das funktioniert nur, wenn Nutzer ihre Daten vollständig Google überlassen. Viele wollen das aber nicht.

Wir arbeiten ständig an Möglichkeiten, mit denen Nutzer selbst bestimmen können, wie sie das handhaben wollen. Und ich denke, wir werden immer besser. Ein Beispiel ist unser Internet-Browser Chrome, der ein Inkognito-Fenster hat, bei dem der Browser-Verlauf, Cookie-Speicher und Suchverlauf nicht gespeichert werden. Wenn Sie heute bei Google „Mein Konto“ aufrufen, haben sie eine Vielzahl von Einstellungen, die Sie vornehmen können – davon haben bereits mehr als eine Milliarde Nutzer Gebrauch gemacht. Wir wollen unseren Nutzern möglichst viele Möglichkeiten geben, ihre Datenschutzeinstellungen selbst vorzunehmen. Nur führt das häufig dazu, dass Software und Dienste schwerfällig werden und nur noch schwierig zu nutzen sind. Auch hier werden uns maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz helfen.

Künstliche Intelligenz hilft uns beim Datenschutz?

Aber sicher! Mit ihrer Hilfe kann das System beispielsweise differenzieren, wenn es den Kontext kennt, in dem ich eine Frage stelle. Wir Menschen machen das ständig. Angenommen, ich stelle jetzt die Frage nach meinem nächsten Arzttermin. Wenn meine Mitarbeiterin mir die Information gibt und weiß, dass Sie dabei anwesend sind, sagt sie vielleicht nur die Uhrzeit. Wäre ich allein, würde sie vielleicht sagen, welcher Arzt es ist, und mir zusätzliche Informationen geben. Computer sind heute nicht in der Lage, diesen Unterschied zu machen. Lernende Systeme werden das ändern.

Dieser Text erschien zuerst in der Welt.

Bild: Gettyimages/Justin Sullivan