Lutz Leichsenring ist Gründer und Gesellschafter von Young Targets sowie Sprecher der Clubcommission

Die Gentrifizierungsdebatte in Berlin hat eine neue Front: Startups gegen Clubs. Junge Unternehmen aus der Tech-Branche, so der Vorwurf, würden nicht nur für höhere Wohnungsmieten sorgen, wenn sie in bestimmte Stadtteile ziehen, sondern dort auch noch die Kulturszene verdrängen. Proteste gegen Google oder Zalando im Bezirk Kreuzberg gibt es in diesem Zusammenhang schon länger, zuletzt entzündete sich der Streit aber an der beliebten Konzertlocation Privatclub.

Das Gebäude mit dem Lokal wurde von einer Immobilienfirma gekauft, deren Geschäftsführer Rocket-Internet-Mitgründer Marc Samwer ist. Ein Startup zog ein und beschwerte sich über den Lärm. Der neue Besitzer wolle ihm nun Konzertverbote auferlegen und fordere 100 Prozent mehr Miete, sagt der Betreiber des Clubs, man wolle ihn offensichtlich verdrängen. Samwer lässt derweil über eine PR-Agentur verlauten, das alles ganz anders sei: keine Verdopplung der Miete, sondern lediglich eine „Verhandlung über die Erhöhung auf das aktuelle Marktniveau“.

Einer von denen, die sich für den Privatclub einsetzen, ist Lutz Leichsenring von der Clubcommission, einem Zusammenschlusses von Berliner Clubbetreibern und Eventveranstaltern. Er fordert mehr Fingerspitzengefühl und Verantwortungsbewusstsein von Unternehmern und Investoren und will den Dialog zwischen Club- und Startupszene anstoßen. Vielleicht auch, weil er beide Perspektive gut kennt: Leichsenring ist Gründer und Gesellschafter der Berliner Recruiting-Agentur Young Targets – die unter anderem auch Rocket Internet auf ihrer Kundenliste führt.

Lutz, was würdest du Marc Samwer gern sagen, wenn du ihn ans Telefon bekommen könntest?

Ich würde versuchen, herauszufinden, ob er noch ein bisschen mehr für Berlin brennt oder es nur als Profitcenter sieht. Ob ihm bewusst ist, was diese Stadt gleichermaßen so attraktiv macht für Jungunternehmer, Künstler und Touristen: Dass sie nicht monokulturell geprägt ist, sondern von ganz verschiedenen Leuten, die sie vielfältig und spannend halten. Und dass davon vor allem auch Unternehmen wie seine profitieren.

Die Kulturszene als Standortfaktor für Startups sozusagen?

Genau. Es gibt ja durchaus Unternehmen, die unmittelbar von der Szene profitiert haben: Ableton, Native Instruments, SoundCloud – diese sind eng vernetzt mit der Musikszene. Andere profitieren indirekt von diesem Umfeld und werben damit auch weltweit in ihren Stellenanzeigen. Aber dafür brauchen wir auch in Zukunft Experimentierräume, die bezahlbar sind. Neuer Sound kommt eben nicht aus Diskotheken mit VIP-Areas. Viele der Startups, die die Samwers mitgegründet haben, sind sehr skalierbar. Aber das ist bei einem kleinen Musik-Club eben nicht so, den kann man weder beliebig vergrößern, noch „remote“ betreiben. Du brauchst gewisse Standorte, wo der Puls der Stadt schlägt. Es kann keine Lösung sein, dass Berlin irgendwann sagt: Die Clubszene ist auch am Stadtrand schön. Dort, wo Menschen eigentlich hinziehen, wenn sie es ruhiger haben möchten.

Bei den Protesten gegen Google und Zalando in Kreuzberg hört man aber immer wieder: „Sollen sie doch an den Stadtrand ziehen!“ Wäre das in deinen Augen eine Lösung?

Ich finde es nicht gut, wenn man per se sagt, man möchte kein Google und kein Zalando in der Innenstadt. Ein Bezirk wie Kreuzberg muss aber sehr darauf achten, seine sozialen Strukturen nicht zu überheizen. Veränderungen dürfen nicht immer zulasten der Bevölkerung gehen. Damit meine ich nicht die Nachbarn, denen es ein bisschen zu laut ist, sondern Leute, deren Mieten überproportional steigen, aber ihre Einkommen nicht. Und wenn diese Verdrängung stattfindet, dann muss man das als Unternehmer nicht noch befeuern, indem man sagt: Ich nehme mir diese Fläche und mir ist egal, ob meine 5000 Mitarbeiter das ganze Areal komplett verändern werden, allein schon dadurch, wo sie wohnen und zum Mittagessen gehen.

Was forderst du stattdessen von Gründern und Investoren?

Dass sie sich fragen: Was kann die Startup-Szene – diejenigen, die Erfolge gefeiert und von der Stadt profitiert haben – tun, damit Berlin auch in 20 Jahren noch interessant ist? Ich finde es wichtig, eine Stadt nicht immer nur von oben anzuschauen, also als Investor zu betrachten: Wo ist ein Areal, in das ich investieren kann? Sondern sie sich auch von unten anzusehen: Wo sind die Communitys, was sind die die sozialen Strukturen? Welchen Beitrag kann ich leisten, damit die Stadt sich auch künftig für alle positiv entwickelt und nicht immer mehr Konflikte entstehen? Wenn ich natürlich nur daran interessiert bin, irgendwo eine Penthousewohnung in einer Gated Community zu beziehen, dann muss ich mich damit nicht auseinandersetzen.

Aus deiner eigenen Erfahrung: Hat man als Gründer überhaupt ein Bewusstsein für solche Probleme oder ist man nicht vollauf damit beschäftigt, die nächste Finanzierung zu sichern?

Ich will den Leuten nicht pauschal irgendeine Meinung in den Mund legen, aber es gibt auf jeden Fall zwei Perspektiven: Zum einen die private Seite der Person, die es total schätzt in einer Stadt zu leben, die einem kulturell so viel bietet. Und zum anderen die Business-Seite: Ich habe einen Investor, der macht Druck und ich muss vereinbarte Ziele erreichen. Dazwischen haben viele Leute leider einen Gap im Kopf. Sie verstehen nicht, welche Verbindung zwischen beiden Seiten eigentlich besteht und welchen Einfluss sie auch selbst geltend machen können. Gründer könnten ja auch sagen: Ich mache das nur mit einem Investor, der nachhaltig denkt und noch andere Ziele verfolgt außer reiner Gewinnmaximierung. Aber von denen, die die finanziellen Spielräume haben und auch noch Immobilien kaufen, erwarte ich eigentlich, dass sie einen kreativen Fußabdruck in der Stadt hinterlassen – oder zumindest nichts zerstören was Berlin ausmacht. Zum Beispiel, indem sie sich selbst verpflichten, zehn Prozent ihrer Fläche für Proberäume, Ausstellungen oder Musikveranstaltungen zur Verfügung zu stellen. Oder zum Beispiel Clubs wie das Jonny Knüppel bei ihrer Crowdfunding-Kampagne unterstützen. So ein Engagement würde ich mir wünschen.

Und das hältst du für realistisch?

Wir stehen noch ganz am Anfang dieser Diskussion. Viele, die dieses Interview oder andere Artikel aus der letzten Zeit lesen, stimmen uns vielleicht grundsätzlich zu, sehen aber nicht, dass sie auch selbst Einfluss nehmen können. Ich glaube, dass jeder der in einem Startup arbeitet, sich überlegen kann: Wie können wir, obwohl wir jetzt nach Kreuzberg gezogen sind, auch wieder etwas zurückgeben?

Würdest du da alle Startups gleichermaßen in die Pflicht nehmen?

Nein, man muss natürlich unterscheiden zwischen Unternehmen, die selbst Immobilienbetreiber sind oder als Vollmieter ein ganzes Haus entwickeln. Und solchen, die sich einfach nur in kleine Office Spaces einmieten. Denen würde ich jetzt nicht unbedingt die Schuld in die Schuhe schieben. Aber es ist ein schleichender Prozess, den sich jeder bewusst machen sollte. Es fängt schon damit an, dass man jeden Mietpreis bezahlt, einfach weil das Geld da ist.

Wie wollt ihr als Clubcommission konkret den Dialog mit der Startupszene anstoßen?

Wir stehen schon mit der IHK in Verbindung und möchten auch mit Bundesverband Deutsche Startups Kontakt aufnehmen. Aber viel interessanter ist, zu sehen: Wo gibt es Zirkel von erfolgreichen Samwers, die sich auch mal im Soho House auf ein Bier treffen? In solche Kreise wollen wir reinkommen und erfolgreiche Kulturunternehmer in Gespräche einladen, um gegenseitiges Verständnis zu entwickeln und Synergien zu schaffen.

Und um Marc Samwer fragen zu können, wofür er wirklich brennt und was er sich beim Privatclub eigentlich gedacht hat?

Da gibt es zwei mögliche Szenarien: Entweder weiß er gar nicht so genau, wie seine Leute da agieren. Dann gibt es noch ein wenig Hoffnung. Oder er findet es genau so, wie es passiert, in Ordnung. Dann wird es leider auf eine Konfrontation hinauslaufen.

Bild: Young Targets