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Torsten Martini

Er ist der Startup-Insolvenzverwalter in Berlin. Der Rechtsanwalt Torsten Martini hat bereits einige junge Tech-Unternehmen durch ihre Insolvenzverfahren geleitet, darunter der Kameraball-Hersteller Panono, das Fintech-Startup Cashboard und der Retouren-Händler Returbo.

Im Interview spricht Martini darüber, warum Startups häufig ihre Finanzlage nicht im Blick haben und erklärt, was sie besser machen können.

Herr Martini, wie unterscheiden sich Insolvenzverfahren bei Startups und klassischen Unternehmen?

Jedes Startup ist natürlich anders, aber man sieht, dass sich die Führung und Unternehmenskultur sehr unterscheiden. Betriebsversammlungen sind auf Englisch, die Leute sind jung, sie sind mit Herzblut dabei und für die Gründer ist es ganz schrecklich, mit meinem Berufsstand zu tun zu haben. In anderen Branchen wird das mittlerweile etwas entspannter gesehen.

Wie gehen Gründer denn an ein Insolvenzverfahren heran?

Ich sehe, dass es für sie ein harter Schritt ist, hier vor mir zu sitzen. Sie brennen ja für ihr Geschäft, doch ihre Vorstellungen sind nicht immer realistisch. Ich erlebe es oft, dass Leute jahrelang ein Produkt entwickelt haben und es zur Marktreife bringen wollen, aber dann stellt sich relativ schnell heraus, dass da nichts dahinter steckt. Das ist ein Riesenproblem. Die Gründer sagen dann häufig, ich würde das Ganze schlechtreden. Aber ich rede es nicht schlecht, ich sehe es einfach mal realistisch. Ich kann es nicht nachvollziehen, wenn jemand über Jahre kaum Geld verdient hat und dann plant, in den kommenden vier Jahren den Umsatz zu vervierfachen. Und das passiert einem eigentlich nur bei Startups.

Was ist der häufigste Fehler in Startups?

Ich tue mich schwer damit, zu sagen, dass es den einen typischen Fehler gibt. Aber Bei Unternehmen, die in den letzten Jahren auf Gedeih und Verderb auf Wachstum getrimmt wurden, besteht häufig das Problem, dass die Gründer unter hohem Druck der Investoren stehen. Sie müssen das Produkt an den Markt bringen, expandieren und irgendwann damit Geld verdienen. Da wird das Alltägliche oft vergessen: dass man liquide bleiben muss.

Warum wird das vergessen?

Es ist nicht so, als herrsche in Startups Anarchie. Natürlich gibt es Mitarbeiter, die sich um die Zahlen kümmern. Doch Gründer konzentrieren sich in manchen Startups 24 Stunden am Tag darauf, eine neue Finanzierungsrunde zu bekommen und übersehen, dass der Gesetzgeber ganz klare Regeln zur Liquidität definiert hat. Wenn die Gründer merken, dass sie kein Geld mehr haben, sind sie oft bereits am Point of No Return angelangt.

Was ist da Ihr Tipp für Gründer?

Ich bin stets dankbar, wenn es im Unternehmen einen nüchternen Betriebswirt gibt. Gründer müssen jemanden neben sich haben, der nichts mit dem Tagesgeschäft, der Vision oder dem Produkt zu tun hat – sondern jemanden für die Zahlen, der Teil der obersten Unternehmensführung ist. Dieser Mitarbeiter muss in der Lage sein, jederzeit einen Überblick über die Liquidität aufzustellen und er muss die Risiken im Blick behalten. Es ist ein unsexy Thema, aber einen solchen Menschen braucht man für den Worst Case. Stattdessen sehe ich in der Praxis leider sogar große Startups mit signifikanten Umsätzen, die überhaupt keinen Überblick über ihre Liquidität haben. Hier sitzen teilweise Gründer in meinem Büro, die mir mit blumigen Worten erklären, was sie Tolles erfunden haben. Das hört sich super an, ich merke ihnen auch die Begeisterung an. Aber wenn ich sie frage, wie viel Geld sie heute auf dem Konto haben, kommt häufig nichts.

Wie stehen die Chancen, dass ein Startup das vorläufige Insolvenzverfahren übersteht – und weitermachen kann?

Es ist immer viel schwieriger als bei klassischen Unternehmen. In einem Nicht-Startup-Betrieb habe ich ein haptisches Produkt und Geld auf dem Konto. Bei Startups ist das aber die große Ausnahme. Dort gibt es üblicherweise eine Geschäftsidee, Software und Algorithmen. Doch das in Geld umzuwandeln, ist in der Insolvenz sehr schwer, weil die Unternehmen meist den Break-Even noch gar nicht erreicht haben.

Ein weiteres Problem ist, dass der Wert vieler Startups die Kundenbeziehungen sind. Doch die kann man nicht einfach verkaufen, dem steht das Datenschutzrecht entgegen. Bei dem Robo-Advisor Cashboard war es zum Beispiel der Fall, dass die Kundendaten die einzigen wertvollen Assets waren. Aber die zu verkaufen, ist datenschutzrechtlich schwierig. Den Geschäftsbetrieb haben wir nun eingestellt.

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Torsten Martini

Und schließlich stellen Startups den Insolvenzantrag dann, wenn die letzte Hoffnung schon verloren ist und zum Beispiel eine Finanzierung platzt. Dann haben sie vielleicht noch 20.000 Euro auf dem Konto, machen aber monatlich einen Verlust von 100.000 Euro. Da kann ich kaum etwas retten. Wenn ich nicht sofort einen Käufer finde, muss der Betrieb eingestellt werden.

Könnten die Gründer früher Insolvenz anmelden?

Ja, das machen aber leider wenige. Jeder versucht, das Insolvenzverfahren zu vermeiden. Das ist typisch deutsch. Natürlich ist so ein Verfahren kein Zuckerschlecken: Es kostet Zeit, Geld und Nerven. Freiwillig sollte man da nicht reingehen. Aber die Gründer sollten die Anträge dann stellen, wenn der Insolvenzverwalter noch einen Handlungsspielraum hat, also wichtige Zahlungen wie für Server, Google-Werbung oder Amazon-Gebühren noch leisten kann.

Ein Beispiel: Ich hatte ein Startup, das sein Produkt auf der IFA präsentieren wollte und sagte, ohne die Messe würde das Geschäft kaputt gehen. Die Messe hätte sie 50.000 Euro gekostet, auf dem Konto waren aber nur noch 20.000. Was soll ich da machen? Hätten sie den Antrag einen Monat vorher gestellt, hätte man vielleicht nötige Schritte zur Sanierung gehen können. Es wird leider gewartet, bis gar kein Geld mehr da ist und schlimmstenfalls auch schon Rückstände bei den Gehältern der Mitarbeiter bestehen. Die Anträge kommen dann zu spät.

Der Gesetzgeber hat das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung reformiert. Dabei können Startups und andere Unternehmen versuchen, ihr Geschäft frühzeitig zu sanieren. Mein Eindruck ist, dass das durchaus von Gründern angenommen wird. Sehen Sie das anders?

Doch, es ist besser geworden. Die Berührungsängste sind weniger geworden, was sicherlich auch eine Generationenfrage ist. Wir sind aber noch weit von den Amerikanern entfernt, die da eine ganz andere Kultur des Scheiterns haben. Und wir sind weit weg davon, dass Leute sich frühzeitig mit diesem Thema beschäftigen. Ist ein Startup dann schon seit ein paar Wochen in der Zahlungsunfähigkeit, bringt auch eine Eigenverwaltung nichts mehr. Leichtfertig den Schritt ins Verfahren gehen, sollte natürlich niemand – aber sich eben rechtzeitig mit Sanierungsberatern austauschen.

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Sie hatten einige Fälle von Crowd-finanzierten Startups, zum Beispiel Panono, Front Row Society oder Returbo. Gibt es da Besonderheiten?

Der Unterschied ist, dass man sehr viel aktiver nach außen kommunizieren muss, was geschieht. Bei einer Schwarmfinanzierung hat man hunderte oder tausende Gläubiger, die häufig emotional sind und sich zum Teil getäuscht fühlen. Da ist die Kommunikation nach außen das A und O. Ich empfehle den Geschäftsführern, transparent und ohne etwas zurückzuhalten zu sprechen. Das trauen sich aber die meisten nicht.

Was halten Sie generell von Risikokapital-Finanzierungen?

Grundsätzlich ist das eine gute Sache. Ohne gäbe es viele Bereiche der Wirtschaft nicht. Wenn Sie mit manchen Geschäftsideen zur Bank gehen, werden Sie direkt wieder weggeschickt. Aber es heißt eben auch Risikokapital, weil sich dieses Risiko realisieren kann – und das muss allen Beteiligten klar sein. Es ist schade, wenn man da Leute beteiligt, denen nicht bewusst ist, dass sie alles verlieren können.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Martini.

Bild: Privat