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201507_Gruenderszene_Visa_Roland_Berger_Kreuzberg Wird Berlin zur Fintech-Haupstadt in Europa?

„Berlin ist zum Zentrum der deutschen Szene geworden“, schwärmt die Berliner Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer und legt mit einer langen Rede über die Vorzüge Berlins nach. Der Anlass für den nicht ganz so neuen Hauptstadt-Status der Hauptstadt ist eine Studie der Investitionsbank Berlin zum Thema Fintech-Startups. Fast 80 Millionen Euro an Investitionen seien demnach 2015 in Berliner Finanz-Startups investiert worden. „Das ist noch immer eine überschaubare Summe“, sagt Yzer, „aber ein Nukleus ist da.“

Auch wenn man den Lokalpatriotismus der Berliner Wirtschaftssenatorin abzieht, die Zahlen attestieren der Hauptstadt tatsächlich einen guten Stand – zumindest im Vergleich mit anderen deutschen Bundesländern. Rund die Hälfte der deutschen Fintechs hat ihren Sitz in Berlin. München, Frankfurt und Hamburg sind weit abgeschlagen. Deutschlandweit sei mit einem Wachstum von 50 Prozent pro Jahr bei den Investitionen in Fintechs zu rechnen, prognostiziert IBB-Vorstandschef Jürgen Allerkamp.

Im internationalen Vergleich schrumpft die deutsche Fintech-Szene jedoch erheblich. 13,8 Milliarden US-Dollar flossen 2015 weltweit in Fintechs. Mehr als doppelt so viel wie 2014. Knapp 90 Prozent der Investitionen gehen davon in die USA und asiatische Märkte. Auf Europa entfallen nur circa 1,5 Milliarden US-Dollar. Von den 50 größten Fintechs des Kontinents sind 31 in Großbritannien beheimatet, aus Deutschland kommen lediglich sieben Unternehmen.

Um Berlins Stellung auszubauen, wirbt Yzer deswegen vermehrt im vom drohenden Brexit geschwächten London. So will Berlin in Kürze eine ständige Wirtschaftsrepräsentanz in der britischen Finanzmetropole einrichten und ausreisewillige Startups nach Berlin komplimentieren. „Wir stoßen auf großes Interesse“, sagt Yzer, „und ich spreche hier nicht von Interesse an banalen Willkommens-Flyer, sondern ganz konkreten Fragen.“ Ihr persönlicher LinkedIn-Account sei bereits von Nachrichten Londoner Startups überschwemmt worden, so Yzer: „Der Brexit ist bedauerlich, aber wir werden die Möglichkeit nutzen.“

Einer neuen Studie der Wirtschaftsprüfer von KPMG und CB Insights zufolge sank die Investitionsquote in britische Fintechs im zweiten Quartal 2016 bereits um 13 Prozent auf rund 90 Millionen Euro. Deutsche Finanz-Startups konnten sich hingegen um 74 Prozent auf 165 Millionen Euro steigern.

Auch der IT-Verband Bitkom erwartet positive Auswirkungen des Brexits bereits für das Gesamtjahr 2016. Allerdings würden die deutschen Regularien für Finanz-Startups aus einer anderen Zeit stammen. „Es ist zuweilen gesetzlich vorgeschrieben, dass sich zwei Menschen gegenüber sitzen, um jemanden zu verifizieren und Transaktionen vorzunehmen”, sagt Bitkom-Vertreter Christian Bartz vom Inkubator Finleap, „Für ein Finanz-Startup mit einer App ist das natürlich schwierig.“

Weniger problematisch seien hingegen die steigenden Mieten, glaubt Bartz. Der ursprüngliche Standortvorteil von Berlin falle nicht mehr so stark ins Gewicht. „Der entscheidende Wettkampf der Fintechs findet beim Ringen um die besten Tech-Talente statt”, so Bartz, „Dabei sind uns Amerika und Asien auf dem Weg aber weit voraus.”

Bild: Westend61 / Getty Images