Israel Startup Szene

Was beflügelt Israels Startup-Szene?

Gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler und einer Delegation von 70 Personen, die entweder den Bundestag, die deutsche Bio-Techszene oder die deutsche IT-Startup-Szene vertreten, machte ich mich diese Woche auf die Reise, um eines der heißesten Spots für Unternehmertum weltweit aufzusuchen: Tel Aviv, Israel.

Was viele nicht wissen: Israel ist den meisten westlichen Ländern in Sachen Unternehmertum einiges voraus. Die Sieben-Millionen-Einwohner-Oase kann bis auf China und die USA mehr NASDAQ-Unternehmen verzeichnen als jedes andere Land. Außerdem verzeichnet es mehr Venture-Capital-Investitionen als Deutschland und Frankreich zusammen und ist das Zuhause von über 4.000 Startups. So konnte ich zum Beispiel auch Zohar Dayan, CEO von Wibbitz, einen Anbieter für Text-to-Video Automatisierung, kennenlernen, der gerade drei Millionen Euro an Seedkapital einholte. Solche Summen sind für First-Time-Entrepreneure in der Seedphase sehr unüblich, genau wie der dahinter stehende Investor, der zu den zehn reichsten Menschen der Welt gehört.

Doch wie schafft ein so kleines Land, das sich ständig im Kriegszustand befindet, ohne natürliche Ressourcen, eine so starke Startup-Kultur aufzubauen? Warum investieren die reichsten Menschen der Welt in israelische Startups?

Hier gibt es viele mögliche Antworten: Manche sagen den Israelis besondere unternehmerische Fähigkeiten nach, andere betonen die mangelnden Alternativen. Denn bei fehlenden natürlichen Ressourcen oder teuren Arbeitskräften sind die Möglichkeiten begrenzt. Die unterhaltsamste Erklärung kam vom israelischen Außenminister, welcher uns erklärte, dass die jüdische Mutter aufgrund ihres hohen Drucks auf ihren Sohn ihren Teil zum nationalen Erfolg von Technologie-Startups beiträgt.

Welche Verhaltensmuster können wir an dieser Stelle tatsächlich auf Deutschland übertragen?

Lösungsorientiert

Nach meiner Landung in Tel Aviv habe ich diese Eigenschaft der Israelis am eigenen Leib spüren können. Als ich um Mitternacht in einem Hostel abgesetzt wurde, teilte mir der Portier dort mit, dass jedes Hostel in Tel Aviv ausgebucht sei, denn es sei ja schließlich Sommer, Shabbat und Ferien. Er stellte mir ein paar Fragen, um zu sehen ob ich vertrauenswürdig bin, und sagte mir dann „You’re a lucky boy, you can sleep on the couch and open the door if someone knocks – I will go to my wife now.“ So konnte er sein Problem und mein Problem auf einen Schlag lösen.

Hierarchielos

Hinterfragen, Regeln brechen und kreative Lösungen finden. Israelis fügen sich nicht gerne und geben nicht gerne operative Befehle. Sie lernen schon im Militär, eine Institution, die sonst für das reine Befolgen von Befehlen bekannt ist, dass sie kreativ sein müssen.

Auch Paypal-Präsident Scott Thompson konnte dies nach seiner Übernahme des israelischen Security-Startups Fraud Sciences für 163 Millionen US-Dollar erfahren. In seiner ersten Rede vor dem israelischen Team wurde er von den Mitarbeitern von Fraud Sciences so mit kritischen Fragen überschüttet, dass er zwischenzeitlich die Frage stellen musste, wer hier für wen arbeitet. So etwas ist ihm in Amerika niemals passiert.

Markteigenschaften

Israel hat nur sieben Millionen Einwohner und ein höheres BIP als England. Es ist ein junger, starker und sehr dynamischer Markt. Zudem ist Israel sprachlich, kulturell und wirtschaftlich sehr von seinen Nachbarn abgeschottet. Geradezu perfekt, um ein Geschäftsmodell zu validieren. Unmittelbar nach dem erfolgreichen Markteintritt in Israel erfolgt, oft nach weniger als einem halben Jahr, die Internationalisierung, da diese Pflicht ist, um sich überhaupt am Markt halten zu können. Das Resultat sind Firmen wie beispielsweise Checkpoint, welche heute auf knapp zehn Milliarden US-Dollar am NASDAQ gehandelt wird.

Vernetzung

Jeder jüdische Israeli, egal ob Männlein oder Weiblein, legt eine Wehrpflicht von mindestens zwei Jahren ab und wird auch danach jährlich für einen Zeitraum von zwei bis vier Wochen zum Dienst gebeten. Damit sind ganze Generationen durch gemeinsame Erfahrungen miteinander verflochten, Netzwerke zum gemeinsamen Gründen werden gefunden und über Kontakte, die in Israel eine große Rolle spielen, hat man Zugang zu nahezu jeder Firma im Land.

Zudem fördert das Programm „Birthright“ den Austausch von ausländischen Jugendlichen jüdischer Abstammung und finanziert eine zehntägige Reise in das Heilige Land. So wird die Grundlage für ein internationales Netzwerk geschaffen und eine Verbundenheit mit Israel hergestellt, welche weit über religiöse Interessen hinaus reicht.

Learnings?

Die wichtigste Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Was können wir von den Israelis lernen? Sollen wir zukünftig auf Prozesse verzichten oder weniger auf Hierarchien achten? Sollen wir in Zukunft erst einmal in Holland oder Österreich Geschäftsmodelle validieren?

Meine Antwort ist: Bestimmt nicht, denn wir haben andere Umstände, andere Stärken aber vor allem bessere Karten! Unsere Märkte sind attraktiv und in unmittelbarer Umgebung, wir können aufgrund von Regulierungen und geographischen Bedingungen mehr Talente anziehen und auch hierzulande finden sich neben erfolgreichen Fördermittelprogrammen und Crowdfunding-Plattformen risikobereite Investoren, die den Markt von morgen bestimmen möchten. Immer mehr IT-Startups sprießen aus dem Boden, um Märkte vollkommen neu aufzustellen.

Diese Entwicklungen zeigen, dass sich auch in Deutschland viel tut. Dennoch: Ein Hauch mehr „Pizca“ (hebräisch für „Unternehmergeist“) würde Deutschland beflügeln, die nächste große Startup-Nation zu werden.

Shalom.

Startup-Szene Israel

Philipp Rösler und Mateo Freudenthal

Titelbild:  Bestimmte Rechte vorbehalten von Unhindered by Talent, Bild unten: Mateo Freudenthal