Berufsbilder von gestern: Hier wurde die Buchhaltung noch von Hand gemacht.

Das war eine echte Bombe. Der Branchenverband Bitkom warf in der vergangenen Wochen einfach mal eine Zahl in den Raum – und alle sahen ihre schlimmsten Ahnungen bestätigt. Die Digitalisierung werde rund 3,4 Millionen Stellen in den kommenden fünf Jahren vernichten, hieß es da. Böse Digitalisierung, oder? Bitkom-Chef Achim Berg schlug umgehend ein Experiment mit dem bedingungslosen Grundeinkommen vor. Ein guter Vorschlag! Das sollte unbedingt gemacht werden. Aber gleichzeitig müssen wir dringend über die Chancen der Digitalisierung nachdenken und dementsprechend politisch handeln.

Denn die Digitalisierung in Deutschlands Fabriken und Werkshallen kann nach Einschätzung vieler Experten auch Jobs sichern – und sogar neue entstehen lassen. Es kommt lediglich darauf an, was Wirtschaft und Politik dafür tun. Die Technik verändert sich rasant. Sie wird – verkürzt ausgedrückt – immer komplizierter und autonomer. Aber je mehr neue Technik in einer Fabrik eingesetzt wird, desto mehr hoch qualifizierte Leute braucht man, um diese Systeme zu betreuen, warten und steuern. Bosch-Ingenieur Stefan Aßmann sagte dazu etwa: „Wir haben in einem Werk untersucht, wie der Personalstand heute ist und wie er in fünf oder zehn Jahren aussehen wird. Das Beruhigende war: Es gibt eher mehr Bedarf an hoch qualifizierten Technikern.“

Cloud-Lösungen im Unternehmen orchestrieren

Menschen, die in ihrem Job mit repetitiven Tätigkeiten zu tun haben, werden es in Zukunft schwer haben. Früher oder später werden sie durch Computer oder Roboter ersetzt. In anderen Bereichen gibt es jetzt schon zu wenig gut ausgebildete Arbeitnehmer. Seit Jahren gehören zum Beispiel Anwendungsentwickler, Netzadministratoren und Berater, vor allem für die SAP-Systeme, zu den gesuchtesten Spezialisten. 73,3 Prozent der deutschen Betriebe rechnen damit, dass die Nachfrage nach IT-Sicherheitsprofis bis 2020 am stärksten steigen wird. Eine Spezialisierung lohnt sich, Sicherheitsexperten unter den IT-Fachkräfen verdienen am meisten Geld. Eine ebenso hohe Nachfrage soll es laut einer Umfrage zufolge nach Cloud-Architekten geben. Ihre Aufgabe ist es, die vielen unterschiedlichen Cloud-Lösungen in einem Unternehmen zu orchestrieren.

Stark gefragt sind auch sogenannte Data Artists, die in der Lage sind, Daten so zu visualisieren, dass Nicht-Fachleute sie problemlos analysieren können. Vielversprechend ist eine Ausbildung als Data Scientist. Diese arbeiten mit großen Datenmengen und generieren Erkenntnisse mit Hilfe von verschiedenen Analysemethoden, die auf Big-Data-Technologien wie Hadoop beruhen. Die meisten Positionen werden übrigens für Anwendungsentwickler ausgeschrieben. Am zweitstärksten werden Netzadministratoren nachgefragt. Auch der Bedarf an IT-Support-Mitarbeitern steigt seit Jahren steil an, weil die Technik in den Firmen immer komplexer wird. Ein völlig neuer Markt für Arbeitnehmer sind die neuen Formen der Mensch-Maschine-Interaktion.

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Ohne Digitalkompetenz wird es nicht mehr gehen

Jedes zehnte Unternehmen geht davon aus, dass bestimmte Berufsprofile komplett verschwinden, in jedem fünften Unternehmen sind aber neue Profile entstanden. Zum Beispiel Softwareentwickler, Datamining-Spezialist oder Roboter-Koordinator. Ohne Digitalkompetenz wird man im Berufsleben allerdings künftig nicht mehr auskommen. Aber wer gut qualifiziert ist, dem stehen in Zukunft alle Türen zu neuen, spannenden Berufen offen. Auch der soziale Bereich ist ein boomender Arbeitsmarkt der Zukunft. Hier werden schon jetzt Arbeitskräfte gesucht. Was tut die Politik, um die Arbeit hier attraktiver zu machen?

Wie wäre es, wenn sich die deutsche Politik mit diesem Thema auseinandersetzt und nicht nur wie ein Kaninchen vor der Schlange auf die drohenden Jobverluste durch die Digitalisierung schaut? Angesichts der Herausforderung, ist auch Bitkom-Präsident Achim Berg verwundert über die deutsche Politik. Arzthonorare, Rentenniveau, Soli – „seltsam entrückt“ komme ihm das alles vor, sagte er der FAZ. Es würden nur die „Erträge der Agenda 2010 verteilt“. Von Ideen, wie Deutschland künftig Geld verdienen will, fehle jede Spur. Berg zur FAZ: „Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos ging es in nahezu jeder Veranstaltung um Künstliche Intelligenz. In Berlin habe ich davon bislang viel zu wenig gehört.“

Ab heute eine bessere Welt bauen

In den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD wurde über den Breitbandausbau in der kommenden Legislaturperiode verhandelt. „Wir schaffen den Sprung vom Kupfer zum Glasfaser“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil stolz. Bis 2025 soll ein Recht auf schnelles Internet gesetzlich verankert werden. Immerhin, die Hardware spielt also eine Rolle in der Politik. Aber was ist mit der Software? Die Frage ist doch: Wie bilden wir heute das Personal für eine digitalisierte Wirtschaft von morgen aus? In den nächsten 20 Jahren ist laut der Bitkom-Studie die Hälfte aller Berufsbilder bedroht. Als ob es darum ginge, traditionelle Berufsbilder zu erhalten. Wie Kunstwerke aus alten Zeiten, die nicht verstauben sollen. Wollen wir eine Welt von gestern künstlich am Leben erhalten oder lieber ab heute eine bessere bauen?

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