Jochen_Schweizer

Von einem, der aus dem Flugzeug sprang

Jochen Schweizer geht in sich. Er holt tief Luft, bewegt seine Hände, als würde er meditieren. Dann klatscht er seine Begleiter ab – und klettert langsam aus der Maschine. Draußen, ein paar hundert Meter über dem Boden, hangelt er sich an einer Verstrebung zwischen Flugzeugrumpf und Tragfläche entlang, immer weiter weg von der Kabine. Er baumelt ein paar Sekunden in der Luft – und lässt sich fallen.

Mit dieser halsbrecherischen Kletterszene wird Schweizer den Fernseh-Zuschauern in der Startup-Show „Die Höhle der Löwen“ vorgestellt. Inszenierung? Klar. Sehr viel Überwindung dürfte der Sprung den 57-Jährigen aber kaum gekostet haben. Denn von Staumauern, Brücken und aus Helikoptern saust der Ex-Stuntman inzwischen seit rund 30 Jahren herab.

Mitte der achtziger Jahre gründet Schweizer die Werbeagentur Kajak Sports Productions in München. In den folgenden Jahren baut er stationäre Bungee-Stationen, lässt lebensmüde Abenteurer Hochhausschluchten hinunterspazieren und Models auf vertikalen Catwalks laufen. Als 2003 ein Bungee-Springer auf einer seiner Anlagen ums Leben kommt, gerät Schweizer in eine Sinnkrise und sein Unternehmen an den Rand der Insolvenz.

Aber Schweizer kommt zurück, 2004 startet das Erlebnis-Portal Jochen-Schweizer.de, 2012 kommt der Beteiligungsarm Jochen Schweizer Ventures hinzu.

Aus diesem Fonds koppelt der Erlebnisunternehmer vor Beginn der Aufzeichnungen von „Die Höhle der Löwen“ einen nach eigenen Aussagen „siebenstelligen Betrag“ ab, um ihn in der Sendung zu investieren. In die Taschen der Kandidaten wandert am Ende aber deutlich weniger Geld. Warum? Was die teilnehmenden Gründer falsch gemacht haben und wie nah die Show an der Realität ist, verrät Schweizer im Interview.

Herr Schweizer, Sie sind Extremsportler und wurden in der Sendung immer wieder als solcher in Szene gesetzt. Sind Sie beim Investieren genauso risikofreudig wie beim Sport?

Ich würde mich schon als risikoaffin bezeichnen. Aus dieser Eigenschaft heraus habe ich mich für die gewagteste Investitionsklasse entschieden – nämlich für Seed-Investments.

Trotz aller Risikobereitschaft gingen viele Gründer in der „Höhle der Löwen“ leer aus. Woran lag’s?

Eine ganze Reihe von Gründern ging mit einem soliden Commitment eines oder mehrerer Löwen aus der Sendung. Weit über ein Dutzend Kandidaten haben es geschafft, für ihre Geschäftsideen das nötige Kapital zu akquirieren und Partner zu finden, die ihr gesamtes Netzwerk und Know-how einbringen.

Woran hat es bei denen gehakt, die gescheitert sind?

Das Format ist so transparent, dass sich wahrscheinlich 90 Prozent der Zuschauer diese Frage selbst beantworten konnten. Wenn jemand mit einer schlechten Idee vor Investoren eine schlecht vorbereitete Präsentation herunterleiert – ob vor Kameras oder in einem Konferenzraum – dann hat er einfach schlechte Karten.

Aufmerksamkeit scheint die Show aber selbst erfolglosen Teilnehmern verschafft zu haben. Zur Sendezeit waren viele Seiten nicht erreichbar, weil die Server überlastet waren.

Ein Gründer, der in der Show auftritt, profitiert immer, und zwar unabhängig davon, ob es ihm gelingt, einen der Löwen zu einem Investment zu bewegen oder nicht. Er profitiert, weil er für sein Produkt und seine Geschäftsidee eine enorme Öffentlichkeit erreicht. Das allein kann ein Geschäftsmodell zum Fliegen bringen. Beispiel Zuckerzahn: Die beiden Gründer haben kein Investment bekommen. Die Idee war toll, ich habe ihnen aber gesagt, dass sie ihr Business auch ohne Kapitalspritze voranbringen können. Zuckerzahn hat daraufhin unzählige Anfragen bekommen. Grundsätzlich gilt, dass ein Gründer gut vorbereitet in die Show gehen muss. Er muss als Person überzeugen, ein überzeugendes Produkt präsentieren und eine überzeugende Idee haben, für die es einen Markt gibt. Er muss schlicht und einfach einen Löwen dazu bewegen, an ihn und seine Idee zu glauben. Das ist das Entscheidende.

Wenn es in der Sendung ans Eingemachte ging, wurde es manchmal recht ungemütlich. Einige Gründer wollten ihre Zahlen gar nicht offenlegen, andere schossen mit ihren Bewertungen übers Ziel hinaus. Wie lautet Ihre Empfehlung?

Man sollte sich von astronomischen Unternehmensbewertungen, die in der Presse herumgeistern, nicht beeindrucken lassen. Es macht einfach keinen Sinn, einem Investor ein Projekt zu präsentieren, das nach zwei Jahren vielleicht 50.000 Euro Umsatz gemacht hat, und zu sagen: „Meine Firma ist fünf Millionen Euro wert.“ Da wird kein Löwe investieren.

G Tipp – Lesenswert bei Gründerszene Auch wilde Löwen brauchen manchmal Streicheleinheiten

Im Vorspann heißt es, dass es nur zum Deal kommt, wenn ein Löwe die geforderte Summe investiert. Wie hat sich diese Regel auf die Verhandlungen ausgewirkt?

Was würde im echten Leben passieren? Normalerweise würde jemand auf mich zukommen, mir seine Idee vorstellen – und mich im Idealfall überzeugen. Wenn es dann heißt, das Unternehmen ist eine Million wert, ich mich dem aber nicht anschließen kann, gebe ich eine neue Bewertung ab, zum Beispiel 500.000 Euro. Ich gebe ihm für die 20 Prozent, die er mir einräumen will, also nicht etwa die geforderten 200.000 Euro, sondern 100.000. Dieser Vorgang ist in der Show aber nicht zulässig. Meine Investment-Entscheidungen sind damit immer hopp oder topp. Wenn ich von einem meiner Meinung nach überbewerteten Unternehmen für das gleiche Geld statt 20 Prozent 40 fordere, dann führt das bei entsprechend niedriger Bewertung zwar zum gleichen Ergebnis, sieht von außen aber nicht schön aus.

Mit den angebotenen Bewertungen waren die Investoren tatsächlich nur selten einverstanden. Häufig wurden die Beteiligungen auf das Doppelte aufgeblasen, was immer wieder kritisiert wurde.

Wenn man sich als Gründer an realistischen Parametern orientiert, dann kommt so eine faule Bewertung gar nicht erst vor. Ich investiere auch gerne in Gründer, die zwar in allen anderen Punkten überzeugen, bei der Bewertung aber danebenliegen. Klar sieht es nicht gut aus, wenn man dann statt 24 Prozent der Anteile 49 Prozent einfordert. Das lässt sich aber oftmals nicht ändern. Die einzige andere Möglichkeit wäre zu sagen, ich investiere nicht.

Bei MyLovesong lag ihr Angebot ungewöhnlich nahe an der ursprünglichen Forderung des Gründers. Wieso?

Ich bin da zugegebenermaßen etwas wohlwollend herangegangen. Das war der einzige Fall, bei dem Judith Williams und Frank Thelen auf der einen und ich auf der anderen Seite investieren wollten. Bei diesem Pitch hatte sich das Machtverhältnis zugunsten des Gründers und zu Ungunsten der Löwen verschoben. Angebot und Nachfrage regulieren den Preis – ein ganz normaler Vorgang, der zeigt, wie nah die Show an der Wirklichkeit ist.

Als besonders wirklichkeitsnah wurde die Sendung von kritischen Stimmen aber nicht bewertet.

Ich glaube, dass sich die Show viel näher an der Realität bewegt, als die meisten Menschen es wahrnehmen. Natürlich ist es eine TV-Show, bei denen viele Auftritte vornehmlich der Unterhaltung dienen. In Zukunft wird es aber, und da vertraue ich sehr auf die zweite Staffel, viel mehr seriöse Investmentchancen geben. Es läuft ja folgendermaßen ab: Gründer und potenzielle Investoren treffen aufeinander, der Gründer beantwortet die Fragen der Investoren. Die Antworten kann ich in dem Moment aber nicht überprüfen. Idealerweise kommt es am Ende eines solchen Gesprächs zu einem Handschlag, auf den die Due Diligence folgt. Und Jochen Schweizer ist handschlagfest. Wenn der Gründer dann aber behauptet hat, er besitze die Rechte am Quellcode oder der Firmware, sich später aber herausstellt, dass das nicht stimmt, dann fliegt einem der Deal um die Ohren.

So geschehen bei Locca.

Genau. Super Idee, sympathischer Gründer. Er hat gut präsentiert und ich bin überzeugt davon, dass es einen Markt für dieses Produkt gibt. Wenn sich dann Teile der Behauptungen als nicht zutreffend erweisen, dann führt das zu einem Vertrauensverlust. Und das ist hier passiert.

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Wir haben mal nachgerechnet. Insgesamt haben Sie Gründern gut 500.000 Euro in Aussicht gestellt. Was hat sich seit den Aufzeichnungen im Frühjahr getan?

Ohne jetzt alle durchzukauen: Von sieben Commitments haben vier hinterher geklappt. Womit wir wieder in der Realität wären: Bei der Due Diligence gibt es ja keine 100-Prozent-Quote. Wenn ich jetzt sage, dass von sieben Investments vier geklappt haben, dann entspricht das ziemlich genau der realen Quote. Die Show ist also nicht Fake. Es ist wie im richtigen Leben. Jemand präsentiert, man hört zu, man hinterfragt, bekommt Antworten. Danach gibt es einen Handshake und eine Risikoprüfung. Genau das findet hier auch statt. Realer geht es gar nicht.

Viele unserer Leser haben die Jury-Besetzung bemängelt. Mancher Investor wolle gar kein Geld investieren, hieß es. Sollten einige Plätze neu vergeben werden?

Ich persönlich finde die Jury sehr gut zusammengesetzt, weil Experten aus unterschiedlichen Bereichen vertreten sind. Wenn das richtige Geschäftsmodell kommt und der richtige Gründer auftritt, wird jeder Löwe bereit sein, ein Investment zu tätigen. Der eine mag dabei vielleicht etwas investitionsfreudiger sein als der andere, grundsätzlich würden aber alle einsteigen.

Frank Thelen sagte kürzlich in einem Interview, dass die Löwen allein „aus gutem Willen“ investierten und keiner wirklich damit rechne, aus den Ventures Kapital zu schlagen. Das wirkte manchmal tatsächlich so; etwa, als Öger und Williams dem Ehepaar Blöchl ihr Sicherheitsgürtel-Unternehmen abkauften. Stimmt Thelens Einschätzung?

Dem stimme ich nicht zu. Ich habe mein Geld ja nicht geerbt, ich habe es selbst verdient und ich sehe überhaupt keinen Grund, es aus dem Fenster zu schmeißen. Ich bin aber bereit, mit einem Teil meines Erfolgs ins Risiko zu gehen, um anderen die Chance zu geben, auch erfolgreich zu sein. Für den Fall, dass dies gelingt, will ich auch solide davon profitieren, denn oft genug gelingt es nicht und ich verliere mein Geld.

Mal ein Blick hinter die Kulissen: Wie haben Sie die Teilnahme und Ihre Rolle als Juror erlebt?

Ich empfand es als anstrengend. Von morgens bis abends in einer dunklen Fabrikhalle zu sitzen und jeden Tag etliche Pitches mitzuerleben, die zum Teil eine oder anderthalb Stunden dauerten, war wirklich anstrengend. Man muss seine Sinne beieinander haben, man hat ja nur eine Stunde Zeit, dem Gründer auf den Zahn zu fühlen. Da sitzen also fünf erfolgreiche Typen auf ihren Sesseln und jeder stellt seine zehn bis zwölf Fragen, und man muss sehr genau zuhören, um zu einer Entscheidung zu kommen und sich fragen: Bin ich bereit, auf Basis dieser wenigen Informationen einen Handschlag zu geben, an den ich mich unbedingt halten will, weil ja meine eigene Reputation auf dem Spiel steht? Da muss man unheimlich konzentriert sein, denn man darf nichts verpassen. Abends war ich immer fix und fertig.

Welchen Auftritt empfanden Sie als besonders gelungen, welchen als einzigen Patzer?

Besonders negativ ist mir dieser sehr arrogant auftretende junge Bierbrauer in Erinnerung geblieben. Sein Produkt stellte er mit den Worten „Das ist die neue Premiumbiermarke“ vor. Da sind bei mir schon die Rollläden runtergegangen. Ich dachte: „Junge, Junge, Junge, um eine Premiumbiermarke zu werden, musst du einen weiten Weg gehen.“ Und dann auch noch in Indien, da war ich ehrlich gesagt fassungslos. Extrem positiv in Erinnerung geblieben sind mir die beiden Hamburger Jungs von MusicWorks. Die haben wir uns auch schon nach München geholt und alle Mitarbeiter haben „Dragon Fly“ von Lenny Kravitz intoniert.

Gab es denn Gründer und Produkte, die Sie im Nachhinein gerne unterstützt hätten?

Die gab es. Bei einigen habe ich nicht schnell genug geschaltet und das Potenzial des Produktes nicht rechtzeitig erkannt. Da war ich dann vielleicht müde, hatte schon sechs Pitches gesehen – irgendwann am Nachmittag. Es war ja ständig dunkel, keine Sonne. Und dann saß ich noch neben dieser Feuerschale, die ständig gerußt hat. Das war keine Gaudi, das war richtig Arbeit!

In München sorgten Sie kürzlich mit einem Auftritt bei Bits & Pretzels für Furore. Noch vor der offiziellen Verlautbarung durch Vox kündigten Sie eine Fortsetzung der „Höhle der Löwen“ an. Ist Ihre Teilnahme an der zweiten Staffel nun eigentlich in trockenen Tüchern?

Ich muss zugeben, bei Bits & Pretzels war ich etwas voreilig. Inzwischen steht aber auch offiziell fest, es gibt eine zweite Staffel, und vorbehaltlich der Einigung in einigen Vertragspunkten bin ich auch wieder dabei.

Herr Schweizer, vielen Dank für das Gespräch.

Bild: Jochen Schweizer