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Wer Matt Damons jüngsten Jason-Bourne-Blockbuster sehen möchte, ohne eine Kinokarte zu bezahlen, muss geduldig sein. Der Film ist im Internet zwar leicht zu finden, unter anderem beim dubiosen Streamingdienst streamcloud.eu, doch bevor er abgespielt wird, poppen auf dem Bildschirm des Nutzers unzählige Werbefenster auf. Sie preisen in schrillen Farben penetrant dauerblinkend Pornoseiten oder Onlinekasinos an.

Die Rechteinhaber bemängeln seit Jahren, dass Angebote wie streamcloud.eu geschützte Filme und Serien im Netz verbreiten und sich über aggressive Werbung refinanzieren. Die Hinterleute des sogenannten Streamhosters sind für Behörden schwer greifbar, angeblich residiert die Firma auf Antigua.

Bei Dutzenden vergleichbaren Angeboten ist die Lage ähnlich. Am bekanntesten dürfte in Deutschland kinox.to sein; deren mutmaßliche Macher – die Brüder Kastriot und Kreshnik Selimi – hat das Landeskriminalamt Sachsen zur Fahndung ausgeschrieben. Kinox.to bietet trotzdem weiterhin eine umfangreiche Videothek geschützter Filme, verknüpft mit zahlreichen Werbebannern und Pop-ups.

300 Millionen Euro Werbeeinnahmen für illegale Portale

Das finanzielle Ausmaß dieses illegalen Geschäftsmodells hat in Deutschland bislang noch niemand vermessen. Die „Studie zur Werbung auf Piraterieseiten“ versucht nun erstmals, Kennziffern zu ermitteln. Die Expertise im Auftrag der Videowirtschaft wird am Montag vom IT-Forensikdienstleister File Defense Service (FDS) aus Hamburg veröffentlicht. Sie liegt der „Welt“ exklusiv vor.

Das wichtigste Ergebnis: Die meistbesuchten Internetseiten zur illegalen Verbreitung von Medieninhalten könnten durch deutsche Besucher jedes Jahr mehr als 33 Millionen Euro durch Werbung einnehmen. Weltweit sind es möglicherweise sogar bis zu 300 Millionen Euro.

„Die Bedeutung der Werbung auf diesen Seiten hat im Vergleich zu Abo-Modellen in den letzten zwei Jahren zugenommen“, sagt Urheberrechtsschützer Volker Rieck vom FDS. Es handelt sich um eine Schätzung. FDS legt seinen Umsatzberechnungen einen geleakten E-Mail-Verkehr zwischen Werbenetzwerken und der Streamingseite hdstream.to zugrunde. Ob die darin genannten Preise, zum Beispiel ein Pop-up für rund zwei Dollar pro tausend Klicks, jedoch für alle Werbenden galten, ist offen.

Rechteinhaber sehen sich in ihren Klagen bestätigt

Für die Studie haben Rieck und seine Mitarbeiter im Juli 2016 die Werbeaktivitäten der 52 populärsten Tausch- und Streamingportale automatisierter Crawler protokolliert. Allein streamcloud.eu habe in diesem Monat die Nutzer mit rund 885 Millionen Werbebannern oder Pop-ups bombardiert, sagt Rieck. Insgesamt sollen die beobachteten Piraterieseiten rund 2,4 Milliarden Werbeanzeigen an Nutzer ausgespielt haben.

Durch die Studie sehen sich viele Rechteinhaber in ihren Klagen bestätigt. Die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) etwa fordert Werbende schon länger auf, aktiv darauf zu achten, dass sie und die von ihnen genutzten Werbedienstleister Piraterienetzwerke nicht mit Werbegeldern finanzieren.

Bei seriösen Unternehmen habe sich da einiges getan. „Unverändert präsent ist aber auch weiterhin die Werbung von Onlineglücksspielagenturen oder Wettanbietern.“

Tatsächlich fanden die FDS-Fachleute unter den Werbetreibenden nur wenige seriöse Unternehmen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass vor allem Onlinekasinos und Browser-Games bei illegalen Streaming- und Hostingdiensten werben“, sagt Rieck. Es folgen Porno- und Datingbranche sowie manipulierte Anzeigen, die dem Nutzer Schadsoftware unterjubeln.

Unter den Top Ten der Werbetreibenden fanden sich die Glücksspielseiten stargames.com, online-casino.de und sunmaker.com sowie das Browserspiel gtarcarde.com. Auf Anfrage der „Welt“ äußerte sich keiner der vier Anbieter zu den Vorwürfen.

Onlinekasinos werben am meisten

Dass es Onlinekasinos mit der Seriosität ihrer Werbepartner nicht so genau nehmen, vermag nicht zu überraschen. Viele haben ihre Firmenzentralen in Gibraltar, auf Malta oder der Isle of Man und zapfen aus sicherer Distanz den großen deutschen Glücksspielmarkt an. Nach geltendem Recht ist ihnen das verboten, aber die Behörden gehen nicht dagegen vor.

Die Logik dieser Kasinobetreiber ist simpel: Wer sich mit seinem Hauptprodukt in der Illegalität bewegt, der schert sich auch nicht darum, wenn er auf illegalen Seiten wirbt. Hauptsache große Mengen Internet-Traffic werden ins virtuelle Kasino gespült.

Allerdings ist Volker Rieck vom FDS während der Recherche auch auf Werbung zahlreicher Wettanbieter gestoßen, die in Schleswig-Holstein eine Lizenz für den hiesigen Markt erhalten haben. Hier sieht der Urheberrechtsschützer Angriffspunkte.

Er verweist auf eine Entscheidung der englischen Lizenzierungsbehörde Gambling Commission. Die will zukünftig nur solche Glücksspielanbieter zulassen, die nicht auf Piraterieseiten werben. Zur Orientierung soll dort eine „schwarze Liste“ der Londoner Polizei dienen.

Druck durch Lizenzauflagen?

Auch der SPD-Politiker Lars Klingbeil glaubt, dass über die Lizenzierung Druck auf die Onlinekasinos gemacht werden könnte. „Das wäre ein Ansatzpunkt“, sagt der Obmann des Bundestagsausschusses Digitale Agenda der „Welt“. Seiner Ansicht nach zeige die Studie, „dass die illegalen Plattformen viel Geld generieren, zugleich aber auch, dass sich seriöse Unternehmen davon fernhalten“.

Im Kampf gegen die illegalen Streamingdienste schließt Klingbeil technische Sperren und neue Gesetze derzeit aus. „Der Rechtsrahmen ist da. Wenn die Server in Europa stehen, kann die Polizei gegen die Hinterleute vorgehen“, sagt er.

Runder Tisch verhandelt – bislang ohne Ergebnis

Im Koalitionsvertrag heißt es, die Regierung werde dafür sorgen, dass solche Diensteanbieter „insbesondere keine Werbeeinnahmen mehr erhalten“. Erreicht werden sollte dieses Ziel über eine Selbstverpflichtung, die Werbetreibende, Rechteinhaber, Kartellamt und Wirtschaftsministerium am runden Tisch aushandeln.

Das dauert, denn zentrale Fragen sind umstritten: Wer bestimmt die „schwarze Liste“ der Webseiten, auf denen nicht geworben werden darf? Wie können Seitenbetreiber Einspruch erheben, wenn sie zu Unrecht auf der Liste landen? Wer bezahlt die Pflege und Administration dieser Liste?

Die Verhandlungen ziehen sich bereits über zwei Legislaturperioden. Als die Parteien beim ersten Versuch fast am Ziel waren, hatte das Kartellamt plötzlich Bedenken. Beim zweiten Anlauf sitzt es deshalb mit am Tisch. Vor wenigen Wochen aber sollen dem Vernehmen nach die Rechteinhaber ausgeschert sein, angeblich um jetzt doch lieber eine Lösung auf EU-Ebene zu suchen. Dass bis zur Bundestagswahl 2017 ein Durchbruch erzielt wird, darf bezweifelt werden.

Unseriöse Onlinekasinos und illegale Streamingportale dürften in Deutschland also vorerst weiter Geschäfte machen – vorausgesetzt die Nutzer haben nicht irgendwann vom Dauergeblinke die Nase voll.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.

Bild: Getty Images / John Lamb