Es ist ein Abgang, der sich angedeutet hat: Kreditech-Gründer Sebastian Diemer räumt seinen Posten als CEO des Hamburger Scoring-Startups. Mitgründer Alexander Graubner-Müller, bisher CTO, wird neuer CEO. Seit Monaten wurde im Umfeld des Unternehmens über eine Ablösung Diemers spekuliert – im Kreis der Investoren soll darauf gedrängt worden sein. Diemer selbst stellte den Wechsel am Montag als freiwillig und schon lange geplant dar. Auch das Unternehmen betonte, der Wechsel resultiere „aus einer gemeinschaftlichen Diskussion, die vor der kürzlich abgeschlossenen Serie C begonnen hat“.

„Ich bleibe Mitgründer und signifikanter Anteilseigner“, erklärt Diemer, der auch seinen Sitz im Board behalten wird. Seine neue Rolle erlaube ihm, sich „besser auf bestimmte Aspekte des Geschäfts zu konzentrieren und gleichzeitig andere Interessen wie das Investieren und Aufbauen neuer Tech-Ventures sowie, natürlich, das Motorradfahren zu verfolgen“. Gegenüber Gründerszene konkretisierte der Ex-CEO: „Ich will und kann am besten neue Dinge aufbauen und selbstbestimmt arbeiten versus bestehende Strukturen managen – da braucht es jemand ruhigeren und disziplinierteren für.“ (Über die Gründe für seinen Rückzug spricht Diemer im Interview auf der nächsten Seite.)

In einer Mitteilung an die Kreditech-Mitarbeiter schreibt Diemer: „Alexander wurde zum CEO berufen und hat meinen vollen Rückhalt, mein Vertrauen und meine Unterstützung. Wir haben das lange diskutiert und wir werden nicht nur Geschäftspartner bleiben, sondern auch gute Freunde inner- und außerhalb von Kreditech.“

Deutsche Startups hatte am Freitag zuerst berichtet, der Abgang des Gründers sei nicht aus freien Stücken erfolgt. Diese Darstellung wies das Unternehmen gegenüber dem Portal als „schlicht falsch und rufschädigend“ zurück. Auch Diemer sagte Gründerszene, es habe „weder ein Drama noch einen Sturm“ gegeben, „sondern einfach einen Gründer, der bemerkt hat, dass er Gründer bleiben möchte und nicht Corporate Manager“. Vermutlich muss man die nun getroffene Entscheidung so interpretieren, das sie im Interesse beider Seiten stand – Gründer und Investoren sind damit zufrieden.

Kreditech hat in den vier Jahren seit seiner Gründung eine eindrucksvolle Wachstumsgeschichte hingelegt, allerdings musste insbesondere der CEO immer wieder Kritik einstecken: wegen seines umstrittenen Führungsstils, wegen in Teilen erratischer Entscheidungen – vor allem aber wegen des fortlaufenden Exodus wichtiger Mitarbeiter, zuletzt verlor das Scoring-Unternehmen neben dem gerade erst aus dem Valley geholten Risikoexperten Bullo Girma auch Online-Marketing-Chef Alexander Schneekloth. Der CMO-Posten ist seit Monaten vakant. Im Frühjahr stand Kreditech zudem wegen des massenhaften Diebstahls sensibler Nutzerdaten, den Gründerszene aufdecken konnte, in der Kritik.

Mit den beiden Finanzexperten René Griemens, der vor zwei Jahren als CFO geholt wurde, sowie Oliver Prill, der seit vergangenem Winter COO ist, wurde das Kreditech-Führungsteam schon in der Vergangenheit um erfahrenere Manager ergänzt – Sebastian Diemer ist erst 28, der neue CEO Alexander Graubner-Müller sogar erst 27 Jahre alt.

Das verbleibende Führungstrio steht nun vor der Aufgabe, einerseits das Unternehmen in ruhigeres Fahrwasser zu bringen, andererseits aber auch das zuletzt lahmende Wachstum wieder anzuschieben. Das dürfte mit den frischen 82,5 Millionen Euro aus der Serie C möglich sein – von Investoreneite wird das in jedem Fall erwartet. J.C. Flowers, der Kopf der gleichnamigen Private-Equity-Firma aus New York, die die Runde angeführt hat, gilt als aktiver Investor. Er dürfte sich einmischen, sollte es in Hamburg nicht wie gewünscht laufen.

Bitte wenden – im Interview erklärt Sebastian Diemer die Hintergründe seines Abschieds.

Sebastian, wirst Du abseits Deiner Rolle als Board-Mitglied noch eine offizielle Funktion innerhalb von Kreditech erfüllen? Wie viel Deiner Zeit wirst Du noch Kreditech widmen, wie viel neuen Ventures oder der Tätigkeit als Business Angel?

Teil unserer Vision war es immer, eine Firma zu schaffen, die flexibel ausgerichtet und transparent ist. Dieses Ziel verfolgten wir immer und infolgedessen bin ich stolz, nun meine Position in einem pulsierenden Unternehmen wechseln zu können. Kreditech ist ein wichtiger Teil in meinem Leben und deshalb werde ich immer und jederzeit da sein, wenn es mich braucht. Ich freue mich nun aber erst einmal auf neue Herausforderungen.

Es heißt, dass Du gemeinsam mit Alexander entschieden hättest, dass er den CEO-Posten übernimmt. Wie lief dieser Prozess ab?

Es war keine leichte Entscheidung und Aufgabe, den Aufsichtsrat davon zu überzeugen, dass meine Passion im Aufbau von Teams und Unternehmen und nicht im Management von bestehenden Strukturen liegt. Genau wie ich mich auf die neuen Herausforderungen freue, freut es mich umso mehr für meinen Freund und Partner Alexander, der mit dieser Position ebenfalls gespannt neuen Aufgaben entgegensieht. Das Board bei uns ist glücklicherweise so besetzt, dass der Pragmatismus und das Vorankommen des Unternehmens im Fokus stehen und so zielführende Veränderungen positiv beschieden werden und wurden.

Inwiefern wurde von Board- und Investorenseite Einfluss genommen auf die Frage, wer das Unternehmen in Zukunft führen soll?

Bei unseren Investoren handelt es sich um Personen, die unserem Unternehmen ihr Vertrauen ausgesprochen haben. Hierfür sind wir dankbar und sehen es als selbstverständlich, einen offenen Dialog auch in dieser Sache zu führen. Die Entscheidung zum Führungswechsel ist nicht zuletzt Resultat aus diesem Dialog.

Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt, diesen Wechsel vorzunehmen?

Das Unternehmen ist bis zum Erreichen des Break-Even beziehungsweise Exit finanziert und hat ein Management an Bord, das die jüngst verabschiedete Strategie dorthin strukturiert umsetzen wird. Das Schiff Kreditech hat seit langem Fahrt aufgenommen, ein paar kleinere und größere Wellen unterwegs genommen und befindet sich mittlerweile in ruhigem Fahrwasser.

Was siehst Du als Deine wichtigsten Leistungen in Deiner Zeit als Kreditech-Gründer und -CEO?

Ich habe tolle Menschen als Partner, Investoren und Mitarbeiter gewinnen können, die es mir ermöglichten, aus einer einfachen Idee ein Unternehmen aufzubauen, das eine Größe und Reife erreicht hat, die mich operativ nicht mehr täglich braucht. Rückblickend sehe ich mich einfach nur als jemanden, der sich von nichts und niemanden entmutigen ließ, eine Idee umzusetzen.

Gab es Sachen, die nicht so gut gelaufen sind in der Zeit und die Du auf Deine Kappe nehmen würdest?

Als Unternehmer sind täglich zig Entscheidungen zu treffen und Weichen zu stellen – manche davon trifft man richtig, andere falsch. Aufgrund der nunmehr über 300 Millionen Euro an Finanzierung und über 200 Mitarbeitern standen insbesondere die falschen Entscheidungen im Fokus der deutschen Gründer- und Wirtschaftspresse. Es ist rückblickend richtig und wichtig, dass auch von außen konstruktiv Fehler aufgezeigt werden. Hier war ich vielleicht nicht immer gleich zugänglich, was aber auch mit der Tatsache zu tun hat, dass unprofessionelle Recherche viel zu oft noch eine Plattform findet. Egal, ich wäre nicht die richtige Besetzung gewesen, wenn ich dies nicht hätte ertragen können.

Was sind die wichtigsten Herausforderungen, vor denen Kreditech jetzt steht?

Wir stehen vor keinen Herausforderungen, die wir nicht schon vor vier Jahren gehabt haben. Die finanzielle Freiheit von Kunden durch bessere Technologie weltweit zu verbessern und der beste Arbeitgeber der Welt zu werden für smarte, kreative, ambitionierte Mitarbeiter.

Bild: Kreditech