Kumardev_Chatterjee_EYIF_Horizont_2020_EU
Kumardev_Chatterjee_EYIF_Horizont_2020_EU Kumardev Chatterjee auf einem Event des European Young Innovators Forum

EU-Finanzierung für lau – mit bürokratischen Fallstricken

Die Europäische Kommission gibt sich spendabel: Bis 2020 sollen im Rahmen des Horizont-Förderprogramms 80 Milliarden Euro in Forschung und Innovation in Europa fließen. Für KMUs und Startups schnürte die EU unter diesem Dach ein eigenes, 2,8 Milliarden Euro schweres Förderpaket, das sich mit Finanzspritzen in Höhe von bis zu 2,5 Millionen Euro an Gründer und Unternehmer richtet. An sie sollen in den kommenden zwei Jahren mehrere hundert Millionen Euro ausgeschüttet werden. Das Ziel der Kommission: Europa als Innovationsstandort platzieren, um auf Augenhöhe mit den USA zu sein.

Anteile abtreten oder das eingestrichene Kapital zurückzahlen müssen die bezuschussten Betriebe und Jungunternehmen dabei nicht. Doch es hakt am Verständnis des Programms. Die bürokratischen Hürden bis zur Bewilligung der Finanzierung sind hoch, kleinste formale Fehler in der Bewerbung können zur Disqualifizierung von Antragstellern führen.

Entsprechend gering fiel die Erfolgsquote im ersten Bewerberdurchlauf aus, der Mitte Juni abschloss: Von knapp 2.700 Bewerbern erhielten nur 155 Fördermittel. Diese erste 50.000-Euro-Finanzierung konnten Unternehmen im Anfangsstadium beantragen, um mit dem Kapital Marktstudien zur Einführung neuer, innovativer Produkte durchzuführen. In den nächsten Runden mit Stichtagen im September, Oktober und Dezember dieses Jahres sollen auch höherphasige KMUs und Startups Fördermittel beantragen können – und Gelder zur Entwicklung von Prototypen und Wachstumsfinanzierungen erhalten.

Kumardev Chatterjee ist Gründer und Präsident des European Young Innovators Forum (EYIF), das Jungunternehmern EU-weit das Eingehen von Risiken erleichtern will. Seit dem Start des Horizont-2020-Programms vermittelt die Non-Profit-Organisation zwischen Kommission und Bewerbern und greift Anwärtern beim Verfassen der Anträge für das KMU-Förderinstrument unter die Arme. Mit Events wie der Unconvention und dem Innopitch will das EYIF die Jugend Europas für Startups und Unternehmertum sensibilisieren.

Mit Gründerszene sprach Chatterjee über die Funktionsweise der KMU-Förderung, die digitale Infrastruktur in der europäischen Startup-Provinz und den Musterschüler Südkorea.

Bewerbungsschluss für die Horizont-Finanzierung des KMU-Instruments der Phase eins war Mitte Juni. Noch im April hattet Ihr bekannt gegeben, dass der Bewerberandrang recht verhalten sei. Wie haben sich die Zahlen entwickelt?

Rein quantitativ entsprach die Zahl der eingegangenen Bewerbungen letzten Endes den Erwartungen der Europäischen Union. Von den 2.666 Antragsteller haben aber nur 155 Unternehmen ein Funding erhalten. Diese niedrige Quote zeigt, dass viele Startups und auch Berater immer noch nicht verstehen, wie die Förderinstrumente der EU funktionieren. Das nehmen wir uns zum Anlass, unsere Aktivitäten mit weiteren Workshops und Beratung mit ausschließlichem Fokus auf Horizont 2020 auszuweiten.

Welche Branchen unterstützt die EU mit dem Programm?

Stell dir Horizont 2020 wie ein multifunktionales Werkzeug vor – einen Schraubenzieher oder Hammer, für den es verschiedene Aufsätze gibt. Mit dem Hammer kann man entweder ein großes Gebäude einreißen oder aber ein Schweizer Uhrwerk bearbeiten. Genau so sieht das Horizont-Instrument aus: Es lässt sich in vielen Bereichen und für verschiedene Prozesse anwenden. Informations- und Kommunikationstechnik etwa ist ein Bereich davon. Aber auch Cleantech oder Healthcare sind gefragt. Gefördert werden wiederum ganz unterschiedliche Prozesse, von Marktstudien über die Prototypentwicklung bis hin zum Wachstum.

Das Instrument verspricht Startups, weder Sicherheiten vorweisen noch Unternehmensanteile abtreten zu müssen. Auch zurückzahlen müssen sie das Kapital nicht. Wo ist der Haken?

Es gibt keinen. Beantragte Fördersummen werden von Experten evaluiert. Sie prüfen, dass alle Formalitäten eingehalten wurden und wägen ab, ob die EU in das vorliegende Geschäftsmodell investieren sollte – etwa weil es einen Mehrwert für Europa gibt. Allerdings muss der Antrag exakt den formalen und inhaltlichen Anforderungen entsprechen.

Welche Innovationsbarrieren siehst Du in Europa?

Die Hürden sind schon lange dieselben. Zum einen gibt es eine allgemeine Angst davor, Risiken einzugehen. Das führt dazu, dass viele Köpfe mit guten Ideen und Expertise ihre Ideen gar nicht erst in die Tat umsetzen. Auch an finanziellen Stützen fehlt es vielerorts. Wenn du in eine Bank in Deutschland gehst und erzählst, dass du eine gute Idee hast und 20.000 Euro brauchst, dann wirst du ausgelacht und rausgeworfen. Wenn du einen entsprechenden Kredit aufnimmst und dein Unternehmen pleite geht, dann setzt dich die Bundesbank auf die schwarze Liste und du wirst als kreditunwürdig eingestuft. Diese Szenarien spielen sich in ganz Europa ab – und hindern Gründer daran, Risiken einzugehen.

Was muss sich ändern?

Wenn junge Menschen scheitern, sollten sie möglichst bald wieder neu starten können, und nicht isoliert werden. Diese Denkweise, die vorherrschende Aversion von Risiken, wollen wir aufbrechen. Auch wissen viele Europäer gar nicht, was in der Szene passiert. Dieses Defizit gibt es etwa in den USA nicht. Dort sind Unternehmen und erfolgreiche junge Leute im Bewusstsein der Menschen verankert und werden geschätzt. Das ist Teil ihrer Kultur. Viele Europäer meinen, dass man Mark Zuckerberg sein muss, um Erfolg zu haben. Das stimmt aber nicht. Ein anderes Problem ist das Fehlen von Gründer-Netzwerken außerhalb der großen Startup-Hubs. Wer zum Beispiel in Osteuropa gründen will, der ist in den Metropolen gut bedient und kann sich mit Mentoren oder Investoren kurz schließen. An alle anderen: Viel Glück!

Heißt das, die digitale Infrastruktur in der Provinz muss besser werden?

Ja, wir müssen jungen Leuten die Möglichkeit geben, Ideen und Expertise zu teilen. Wer glaubt, dass sich das Startup-Spektakel ausschließlich in London, Berlin, Paris abspielen muss, der irrt. Das Ökosystem kann nur wachsen, wenn sich auch andere Städte und Regionen zugehörig fühlen und die Ärmel hochkrempeln. Nicht jeder Gründer möchte gleich etliche Kilometer weg ziehen, um ein funktionierendes Startup-Ökosystem vorzufinden.

Bild: European Young Innovators Forum

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Kumardev_Chatterjee_EYIF_Horizont_2020_EU Kumardev Chatterjee auf einem Event des European Young Innovators Forum

Abgesehen von Horizont 2020: Was kann die EU tun, um den Innovationsgedanken tiefer im europäischen Bewusstsein zu fixieren?

Sicher ist, dass Horizont 2020 das angesprochene Mentalitätsproblem nicht lösen kann. Es ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber das Problem selbst ist viel größer. Wir müssen eine Kultur schaffen, in der Risikobereitschaft belohnt und nicht bestraft wird, und die Leute dazu bringen, Entrepreneurship als Mainstream-Karriereoption zu sehen und nicht als einzige Alternative zur Arbeitslosigkeit. In Frankreich etwa gibt es viele erfolgreiche Unternehmen. Trotzdem wird das Wort „Entrepreneur“ oft als Beleidigung benutzt – getreu dem Motto „Der hat sonst keinen Job gefunden“. Dabei ist es ja so, dass Gründer sowohl für sich selbst als auch für andere Jobs schaffen und damit die Wirtschaft ankurbeln.

Das zielt alles eher auf die Denkweisen des Einzelnen ab. Welche Rolle kann die EU in diesem Prozess übernehmen?

Wir müssen den Leuten auf nationaler Ebene das Gründen erleichtern. In vielen Ländern sind die Hürden einfach viel zu hoch. Stichwort Bürokratie: Wer ein Unternehmen eintragen will, der hat mit einem Schlag einen riesigen Haufen Dokumente auf dem Schreibtisch liegen. Wenn die nicht ordnungsgemäß abgearbeitet werden, drohen Bußgelder. Außerdem muss Europa von den Musterschülern in Sachen Entrepreneurship in der Welt lernen, wie zum Beispiel den USA. Dort können neue Ideen und neue Unternehmen viel einfacher hohe Investments erhalten und schnell wachsen.

Welche Länder könnten noch als Steilvorlage dienen?

Südkorea ist ein gutes Beispiel. Vor ein paar Jahrzehnten hatte das Land dasselbe Bruttoinlandsprodukt wie Ghana. Heute sieht alles anders aus. Wie ist das passiert? Sicher nicht, weil die Südkoreaner urplötzlich einen Schatz voller Beamtenposten entdeckt haben, sondern weil es dort eine Innovationskultur gibt. Heute gehören Produkte von südkoreanischen Marken zu unserem Alltag. Davon können wir hier in Europa lernen.

Was hat sich in den letzten Jahren in der hiesigen Startupszene getan?

Als wir mit dem European Young Innovators Forum vor zweieinhalb Jahren gestartet sind, waren die Probleme, über die wir heute reden, viel größer. Entrepreneurship und Innovation standen damals noch nicht auf der Agenda – nicht einmal auf europäischer Ebene. Viel mehr ging es in den Diskussionen etwa um Jugendarbeitslosigkeit. Inzwischen sind sich die politischen Akteure der Bedeutung von Innovation bewusst. Sie haben erkannt, dass sie auf vielen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Baustellen zum Einsatz kommen und Probleme lösen kann. Das ist eine positive Entwicklung, die wir forcieren müssen. Nun gilt es, nicht mehr in die Verhaltensmuster der Vergangenheit zurückfallen.

Bild: European Young Innovators Forum