Er hatte uns ja alle gewarnt…

Der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels hatte uns gewarnt. Doch es will ja niemand hören – und alle machen weiter, als ob nie etwas passiert wäre. „Das Internet zerstört unser Leben.“ Das waren die Worte des sogenannten Internet-Pioniers Jaron Lanier in seiner Dankesrede vor der versammelten Print-Buch-Lobby. Jedenfalls in der etwas sehr freien Übersetzung der Hamburger Morgenpost. Und es dauerte gar nicht lange, bis sich in den Tagen danach die ersten Opfer zu Wort meldeten.

Man hätte eigentlich gerne nie wieder etwas von ihr gehört. Doch dann stand sie plötzlich bei einer Veranstaltung des Magazins Forbes in Philadelphia am Rednerpult. Monica Lewinsky, die weltberühmte Ex-Praktikantin aus dem Weißen Haus, stilisierte sich in ihrer Ansprache als das erste Opfer des Internets. Lewinsky: „Ich war Patient Null.“ Sie sei einfach eine ganz normale 22-Jährige gewesen, die sich ganz normal in ihren Chef verliebt hätte. Dafür sei sie im Internet aufs Schwerste gedemütigt worden.

Ja. Sie hatte bestimmt keine leichte Zeit. Über zwei Jahre dauerte ihre Affäre mit dem Chef. Und dieser Chef war ausgerechnet der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Dass das ein kleines Problem sein könnte, hätte vielleicht auch eine 22-jährige Praktikantin vorhersehen können. Warum musste sie eigentlich nach all den Jahren dieses fast vergessene Thema öffentlich wieder aufwärmen? Lies’ bitte nicht die Kommentare unter dem Youtube-Video, Monica! Das Internet ist einfach unbarmherzig – und hat manchmal leider recht. Mach‘ es doch wie Mark Zuckerberg und lerne Chinesisch. Das kommt im Web sehr viel besser an.

In Hamburg trafen sich in dieser Woche die große Politik und Wirtschaftsvertreter zum IT-Gipfel. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte einen ganzen Tross von hochrangigen Ministern an die Elbe beordert. Das Thema ist ernst, wollte sie damit signalisieren. Dann verließ sie aber der Ernst, als sie selber auf der Bühne stand. Von drei „F“ hatte der Keynotespeaker und Vorstandsvorsitzender der Telekom, Timotheus Höttges, gesprochen. „Frequenzen, Förderung und – ähm“, das dritte F-Wort wolte ihr partout nicht einfallen. Dieses Internet kann aber auch echt nerven. Die Kanzlerin sammelte mit ihrer charmanten Nachfrage an das Publikum Sympathiepunkte. Doch irgendwie wurde man den Eindruck nicht los, dass sich die versammelten Entscheider eher als Opfer der Digitalisierung sehen. Es war doch vorher viel gemütlicher.

Merkel versprach etwas schwammig, die Finanzierungsbedingungen für Startups zu verbessern. Vizekanzler Sigmar Gabriel stellte 500 Millionen Euro Unterstützung für die Digitalwirtschaft bis 2017 in Aussicht. Stefan Körner, Bundesvorsitzender der Piratenpartei, urteilte scharf: „Der IT-Gipfel hat sich in dieser Form überlebt, und alle Beteiligten tun gut daran, ihn aufzugeben oder in Zukunft den Prinzipien und Funktionsweisen der digitalen Gesellschaft anzupassen.“ Festnetz, Frau Merkel. Das dritte F. Nichts zu danken. Warum eigentlich Festnetz? Braucht das noch jemand?

Auch die Fahrer, die für den Chauffeurdienst Uber arbeiten, sehen sich als Opfer und reagieren heute mit einem „weltweiten Protesttag“. Gestreikt wird in New York, Chicago, Seattle, San Francisco, Los Angeles and London. Gegen zu geringe Bezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen. „Fahrer sind nicht einfach nur die Typen auf dem Fahrersitz“, heißt es in der Streikaktion, die sich in Windeseile über das Internet verbreitet hat. Wir können aufatmen. Das Web fordert offenbar nicht nur Opfer, sondern ist auch ein gutes Mittel zur Selbstverteidigung. Möge die Macht des Netzes mit euch sein.

Foto: Ausriss Titelseite der Hamburger Morgenpost