Machtdistanz

Machtdistanz lässt sich bewerten

Der Sozialpsychologe Mauk Multer definierte Machtdistanz treffend mit den Worten: “Es handelt sich um die Distanz, die zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten herrscht.”

Geert Hofstede – niederländischer Experte für Kulturwissenschaften – analysierte in seinen Forschungen in den 80er Jahren die Zusammenhänge zwischen nationalen Gegebenheiten und Unternehmenskulturen. Ihm fiel schon innerhalb einer einzigen Firma auf, dass es im Rahmen der Machtdistanz landesspezifische Charakteristika gibt, welche sich in alle Kulturen niederschlagen. In der Konsequenz beeinflusst die nationale Kultur nicht nur die Unternehmensführung, sondern auch die Organisation eines Unternehmens.

Die Akzeptanz der ungleichen Machtverteilung und der Umgang mit der Macht in dem jeweiligen Land ist anhand Hofstedes PDI (Power Distance Index) erkennbar. Während der Wert null einen geringen Machtunterschied sichtbar macht, wird mit dem Wert hundert eine stark ausgeprägte Ungleichheit deutlich. Deutschland liegt mit einem Indexwert von 35 im Mittelbereich, Malaysia mit 104 an der Spitze und Österreich liefert mit elf einen Minimalwert. Je höher der Wert, umso weniger ist es innerhalb der Firma gewünscht, offene Kritik zu üben.

Macht versus Machtdistanz

Macht verdirbt und absolute Macht verdirbt absolut, schrieb schon der britische Historiker Lord Acton im Jahr 1887. Macht lässt sich in erster Linie mit Kraft gleichsetzen. Diese verhält sich neutral und bekommt erst durch den Menschen ein Gesicht. Wird Macht beziehungsweise Kraft nicht mit ethischen und moralischen Grundsätzen vereinbart, ist sie zerstörerisch und destruktiv; und hier spielt es keine Rolle, ob Macht in der Familie, einer Firma oder in der Politik demonstriert wird.

Macht befähigt den Menschen, auf das Denken sowie auf das Verhalten von sozialen Gruppen und Personen einzuwirken. Der Erfolg der Macht lässt sich anhand der Zustimmung der betroffenen Person messen. Zur Macht zählt Autorität oder Einfluss aufgrund von Begabung oder Stellung. Machtausübung aufgrund falscher Beweggründe zerstört, Macht oder Autorität mit positiver Intention bewegt, beeinflusst und belebt.

Machtdistanz ist das gelebte Ergebnis der angewandten Macht. Durch ihre physischen sowie intellektuellen Fähigkeiten unterscheiden sich alle Menschen innerhalb eines Landes sowie zusätzlich innerhalb der zahlreichen Kulturen. Deshalb existiert innerhalb der Gesellschaft Ungleichheit, die mehr oder weniger stark durch Macht geprägt ist. Erkennbar ist die Machtdistanz an den autokratischen Führungsstilen, es ist das Kräftegleichgewicht zwischen den Vorgesetzten und Angestellten oder zwischen dem Staat und der Bevölkerung.

Machtdistanz und Startup

Wer einen Firmengründungsprozess durchläuft, muss sich seiner sozialen Fähigkeiten bewusst sein, da die Qualität der Belegschaft von dieser abhängt. Wer sich selbst gut reflektieren kann, wird auch seinen zukünftigen Mitarbeiter ein fundiertes Briefing geben.

Angestellte, die eine klare Zielsetzung vor Augen haben, identifizieren sich über das Unternehmen und sind eher bereit, auch in schwierigen Situationen hinter der Firma zu stehen. Am Rande erwähnt sei, dass ökonomische und soziale Statusunterschiede innerhalb der Gesellschaft überall vertreten sind. Diesen keine Beachtung zu schenken, wäre fatal, da Stärken und Schwächen nicht berücksichtigt werden, was sich nachteilig auf die Firma auswirken kann.

Auch das Gegenextrem ist kontraproduktiv: Wer über ein Startup nachdenkt, sich allerdings bisher von seinem sozialen Umfeld derart einengen ließ, dass er sein vorgegebenes Leben für fast unveränderbar hält, erlebt Machtdistanz als destruktiv, sodass die Angst vor Selbstüberforderung den Gründerwillen zunichte machen oder zumindest lähmen kann.

Vor Firmengründung sollte daher die Selbstanalyse stehen, um den richtigen Führungsstil finden und bewerten zu können. Dieser muss mit den Gegebenheiten der in der potenziellen Firmenregion lebenden Menschen abgeglichen werden. Stimmt die eigene Sichtweise über Unsicherheitsvermeidung, Individualität, Kollektivität, Maskulinität und Femininität mit der Allgemeinheit überein, wird es nicht allzu schwer werden, geeignete Mitarbeiter einzustellen.

Schwierig wird es, wenn die umliegenden Regionen ein ganz anderes Verständnis von Machtdistanz haben als man selbst, da die kulturelle Prägung des Landes eine andere ist als die eigene. Hier muss sich jeder kritisch die Frage stellen, ob er anfänglich einem kulturadäquaten Führungsstil gewachsen ist, welcher unter Umständen moderat der eigentlichen Firmenphilosophie angepasst wird.

Machtdistanz positiv nutzen

Eine Machtdistanz, die sich an den Gegebenheiten des jeweiligen Landes ausrichtet und so den Angestellten Sicherheit bietet, ist vom Grundsatz her für die Firma erst einmal positiv – auch dann, wenn sie mit der idealen Sichtweise nicht übereinstimmt. Durch fehlende Unsicherheit innerhalb der Belegschaft arbeitet diese produktiv.

In Ländern, wo die Machtdistanz hoch ist und daher ein autoritärer Führungsstil an der Tagesordnung steht, erwarten die Menschen diesen auch in ihrem Arbeitsleben. Eine neue Firma in Asien würde anfänglich mit einem autoritären Führungsstil Sicherheit bieten, da in diesen Ländern eine andere Machtdistanz herrscht. Ein autoritärer Führungsstil setzt die Zielvorgabe fest, ohne dass Rückfragen geduldet werden. Ziele werden so schnell erreicht, Kreativität bleibt oftmals auf der Strecke, da Mitarbeiter arbeiten, ohne zu denken. Fatale Fehlentscheidungen innerhalb der Führungsebene fallen daher erst spät auf.

Deutschland zählt zu den Ländern, die über eine relativ geringe Machtdistanz verfügen, daher erwarten die Mitarbeiter von ihrem Vorgesetzten, dass er sie in den Entscheidungsprozess mit einbezieht. Das Streben nach Autonomie, Selbstverwirklichung sowie ein Mitbestimmungsrecht der jeweiligen Arbeitsschritte sind für die meisten Mitarbeiter selbstverständlich. Erfüllt werden diese Erwartungen durch einen kooperativen Führungsstil, den von Wertmaßstäben geprägt ist.

Vielfältiger Ideenreichtum innerhalb der Belegschaft ist das messbare Ergebnis, auch ungünstige Entscheidungen aus der Chefetage werden eher angesprochen. Allerdings ist hier Fingerspitzengefühl gefragt, da Stimmungsschwankungen und andere Meinungen eher den Fortschritt und schnelle Entscheidungen behindern können. Beide Führungsstile können mit unterschiedlichem Schwerpunkt in beide Richtungen verschoben werden, sodass je nach Kultur und Themenrelevanz ein Maximum an fairem Management erarbeitet werden kann.

Beachtung verdient hierbei immer der Machtabstand des jeweiligen Landes. Es ist kontraproduktiv, eine Firma von jetzt auf gleich fast autonom von Angestellten führen zu wollen, wenn die Menschen eines Landes mit solch einem Führungsstil völlig überfordert sind, weil sie ihn bedingt durch die Landespolitik nie gelernt haben. Allerdings ist selbstständiges Denken und Eigenverantwortung erlernbar; richtig eingesetzte Autorität gibt die nötige Anleitung und wird auf Dauer viel Gutes bewirken.

Machtdistanz im Internet

Nach Aaron Marcus, einem US-amerikanischen Internetdesigner, wird Machtdistanz auch im Webdesign sichtbar. So lässt sich anhand der Internetseite einer Firma dessen Firmenpolitik eruieren. Bei einer niedrigen Machtdistanz sind die online gestellten Informationen transparent und für jeden zugänglich, viele Menüpunkte erleichtern das Suchen, und eine Betonung der moralischen sowie der sozialen Normen wird selten angewandt. Der Blick auf Zertifikate, Experten, offizielle Logos oder Siegel sowie auf die Autorität ist eher niedrig. Kunden, Angestellte und Bürger stehen auf der Website im Mittelpunkt; eine Gliederung der Informationen nach sozialem Status hat keine Relevanz, Transparenz wird groß geschrieben.

Bei einer hohen Machtdistanz hingegen gibt es wenige Informationen. Häufig werden soziale Normen in Form von Religion oder nationalen Symbolen aufgezeigt. Der Fokus auf Zertifikate, Expertisen, Autorität sowie offizielle Siegel ist sehr hoch. Oftmals gibt es separate Bereiche, die nur mit zusätzlichen Login-Daten abrufbar sind. Menschen mit Autorität gehören zur unmittelbaren Zielgruppe oder sind Brennpunkt der Internetseite.

Wer online seine Geschäfte abwickelt – sei es durch einen Shop oder durch direkte Auftragsvergabe – muss sich über seinen zukünftigen Käuferkreis mindestens genauso viele Gedanken machen wie über seine Belegschaft. Das Auge isst mit; diese Weisheit lässt sich auch auf die Internetpräsenz umsetzen. Schon bevor ein Kunde sich gedanklich mit einer Internetseite auseinandersetzt, hat das Auge die Stärken und Schwächen eines Kaufsentscheids erfasst und im Unterbewusstsein abgespeichert. Was im ersten Moment nicht auffällt, ist doch absolut präsent – Machtdistanz.

Ausblick

Macht ist ein diffiziles und fragiles Instrument, welches zerstören und desillusionieren, aber auch schützen, stärken und bewegen kann. Wer ein Startup ins Auge fasst, sollte objektiv und ehrlich an sich selbst, sowie an das Thema Macht und Machtdistanz heran gehen.

Das Ausstrahlen von Integrität, Ehrlichkeit und positiver Autorität wird die gesamte Firma positiv beeinflussen; Charakterstärke zahlt sich aus, nicht nur im Umgang miteinander, sondern auch im Umsatz.

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