Neben Toru (siehe Video) entwickelt das Startup noch einen zweiten Roboter: Soto

 

Mittagszeit. In der Küche ist es wuselig. Gerade wurde das gemeinsame Lunch beendet, wie jeden Tag. Es ist eines der Rituale, mit dem die Magazino-Gründer ein familiäres Gefühl im Team erhalten wollen, trotz der heute rund 96 Mitarbeiter aus vielen verschiedenen Ländern.

Magazino ist eines der deutschen Vorzeigestartups. Zuletzt konnten die Gründer Frederik Brantner, Lukas Zanger, Nikolas Engelhard, die mittlerweile nicht mehr die Mehrheit an ihrem Unternehmen halten, u.a. den Online-Versandhändler Zalando und das Logistik-Unternehmen Körber als strategische Investoren gewinnen. Im Februar hat Magazino eine Finanzierung von insgesamt mehr als 20 Millionen Euro bekommen. Solch hohe Summen sind in Deutschland selten.

 

Das im Jahr 2014 gegründete Spinoff der TU München hat sich vorgenommen, die Logistik in Warenlagern zu automatisieren – mit Hilfe von Robotern. Durch 2- und 3-D-Kameras können die Roboter beispielsweise Schuhkartons in den Lagern erkennen, sie greifen und in ein Regal legen, was dann mitfährt. Zalando könnte einmal der größte Kunde in Europa werden.

 

Wir haben das Startup in München besucht und mit dem Gründern über das Geschäftsmodell, Sozialabgaben für Roboter und Wachstumsschmerzen gesprochen.

Frederik, worin besteht genau Euer Geschäftsmodell?

Wir verkaufen unsere Hardware, also die Roboter für einen Preis X und erheben dann für die Software eine jährliche Gebühr, also ein Software-as-a-Service-Modell. Einerseits ermöglicht das unseren Kunden, relativ günstig starten zu können. Andererseits helfen die Daten, die vor Ort entstehen, die Software der Roboter stetig zu verbessern.

Wie oft braucht so ein Roboter ein Update?

Momentan updaten wir fast wöchentlich. Eigentlich denken Maschinen in Nullen und Einsen. Unser Roboter bezieht darüber hinaus auch Erfahrungswissen mit ein. Aus der Summe all dieser Informationen trifft er dann die Entscheidung, was er als nächstes tut. Zu Beginn war die Maschine also wie ein Kind, das beim Radfahren immer wieder auf die Nase fällt, sich dann stetig verbessert und irgendwann ganz alleine fahren kann.

Wie viele und welche Daten produziert der Roboter?

Drei Gigabyte pro Minute. Die werden allerdings nicht komplett gespeichert. Einerseits gibt es Daten, die beim Kunden bleiben und ausgewertet werden. Beispielsweise scannen die Roboter-Kameras bei ihrer Fahrt vorbei an Regalen die darin stehenden Kartons ab, sodass sie beim nächsten Mal schneller gegriffen werden können. Unsere Maschinen können zudem über die Kunden hinweg lernen. Ein Teil der Daten geht dafür in die übergeordnete Cloud.

Spielt also die Hardware nur eine untergeordnete Rolle?

Nein. Das, was wir jetzt bauen, können wir nicht mit einem beliebigen fahrerlosen Transportsystem lösen. Dafür brauchen wir die von uns entwickelten Roboter. Doch langfristig wird Hardware zu Commodity. Das sieht man schon an 3D-Kameras und anderen Komponenten, die im Preisverfall sind.

Gibt es irgendwann den Roboter von der Stange, der sich dann mit beliebiger Software bespielen lässt?

Ja. Bis dahin wird es aber mindestens noch fünf bis zehn Jahre dauern. Der Hardwaremarkt wird von Asien getrieben. Auch deshalb haben wir einen Investor mit Sitz in Hongkong an Bord. Es macht Sinn, dass dort günstig Hardware produziert wird und wir die smarte Software liefern.

Wie reagierst du auf die Kritik, dass Roboter und die damit einhergehende Automatisierung irgendwann den Menschen die Arbeitsplätze wegnehmen?

Da habe ich mehrere Antworten darauf. Ein grundsätzlicher Gedanke: Technik war in der Historie immer ambivalent. Sie kann zu etwas Gutem genutzt, aber auch missbraucht werden.

Es kommt also letztlich darauf an, wie die Technologie genutzt wird.

Genau. In den letzten 100 Jahren hat die Automatisierung eigentlich nie zu Nachteilen geführt, sondern immer zu höherer Produktivität, wie beispielsweise im Automobilbau. Das hat zur Standortsicherung beigetragen – und dort sind heute die bestbezahltesten Jobs zu finden.

Welches Szenario ist noch denkbar?

Durch Roboter könnte auch die Globalisierung in manchen Aspekten zurückgedreht werden: Dinge, die bis jetzt in anderen Ländern entstehen, könnten wieder lokal produziert werden, weil die Stundenlähne der Roboter immer weiter sinken. Dadurch fallen Transportketten weg.
Was heute teilweise kritisch gesehen wird, ist das Tempo der Veränderung. Da haben auch wir als Hersteller die Verantwortung, die Entwicklung zu begleiten und aufzuklären. Und wir müssen als Gesellschaft eine Antwort darauf finden.

Wie könnte diese aussehen?

Wenn immer mehr Arbeitsleistung durch Kapital erbracht wird, müssen wir eventuell unsere Sozialversicherungssysteme durch Roboter mitsponsern lassen, denkbar wären Roboter-Sozialabgaben oder -steuern. Dann bleibt allerdings die Frage: Was ist ein Roboter? Ist eine Waschmaschine schon ein Roboter? Wo ziehen wir die Grenze?

Wann könnte solch ein System entstehen?

In den nächsten Jahren wird das kein Thema sein. Gerade im Bereich E-Commerce, in dem wir aktiv sind, finden die Unternehmen keine Mitarbeiter mehr für die Warenlager. Wir haben wahrscheinlich bald ein Projekt in einem osteuropäischen Land. Auch dort finden Unternehmen – entgegen der allgemeinen Annahme – keine Arbeiter mehr und denken deshalb über Roboter nach. Eine ganze Weile wird die Automatisierung also noch keinen Effekt haben.

Du hast es schon erwähnt: Neben deutschen Investoren habt ihr mit Cellcom einen asiatischen Geldgeber an Bord geholt. Was waren die Überlegungen dahinter?

China und Südkorea sind führend im Bereich der Robotik, sie haben die größten Wachstumsraten von Industrierobotern pro Einwohner. Es gibt außerdem viel Funding für junge Unternehmen in der Branche. Für uns ist deshalb wichtig, nah an der asiatischen Szene dran zu sein. Auch wenn wir nicht sofort nach Asien expandieren.

Siehst Du Deutschland da besser aufgestellt?

Zurzeit ja. Zwar arbeiten auch in den USA viele Entwickler an smarter Software für Roboter. Dort gibt es aber ein riesiges Fachkräfte-Problem für Software-Entwickler. Experten aus anderen Ländern erhalten kaum mehr ein Visum. Und wenn Du dann mal jemanden gefunden hast, wird er gleich von Google abgeworben. Da haben wir in Deutschland einen Vorteil: Wir geben neuen Mitarbeitern einen Arbeitsvertrag mit entsprechendem Salär und damit bekommen sie schnell eine Blue Card. Wir rekrutieren weltweit, haben Leute aus Südkorea, Kanada und 14 weiteren Ländern eingestellt.

Die Magazino-Gründer: Nikolas Engelhard, Frederik Brantner, Lukas Zanger (v.l.)

Ihr seid in den letzten vier Jahren stark gewachsen. Gab es dabei Schwierigkeiten?

Klar. Es ist eine große Herausforderung, bei starkem Wachstum auch die Organisation nachzuziehen. Im Rahmen dessen wurde beispielsweise die Softwareabteilung komplett neu strukturiert. Im Unternehmen haben wir nun drei Ebenen: C-Level, Teamleiter und die Mitarbeiter.

Geht es ohne Hierarchien nicht?

Hierarchien helfen. Aber so starr sind wir nicht aufgestellt, wir lassen viele Freiheiten. Trotzdem braucht es Richtung und Guidance, jemanden der Entscheidungen trifft. Nicht alle müssen über meinen Schreibtisch gehen. So kann zum Beispiel bei uns jeder Mitarbeiter die Dinge bei Amazon bestellen, die er braucht. Die Zugangsdaten stehen allen offen. Wir versuchen, so viele Entscheidungen wie möglich bei den Leuten zu lassen.

Letztes Jahr lag Euer Umsatz bei mehr als einer Million Euro. Was peilt ihr für dieses Jahr an?

Deutlich mehr. Der Umsatz ist aus meiner Sicht aber nicht die entscheidende Größe.

Sondern?

Wir müssen beweisen, dass wir es schaffen, im Betrieb günstiger zu sein als der Mensch. Schon heute liegen wir 30 bis 40 Prozent darunter. Wenn wir erfolgreich nachgewiesen haben, dass unsere Roboter auch alleine arbeiten können, gibt es für E-Commercler keinen Grund mehr, sich für die Logistik keinen zu kaufen. Kritisch für die Skalierung ist also eher die Frage nach der Technik und weniger, ob wir genug Roboter aus der Produktion bekommen.

Für wann plant ihr den Breakeven?

Für das Jahr 2020. Bis dahin müssen wir unsere Aufträge ordentlich abarbeiten. Allein ein einziger großer E-Commerce-Player könnte so viele Roboter einsetzen, dass wir durch die damit generierten Umsätze die nächsten Jahre gut leben könnten.

Bild: Magazino, Siemens AG; Video: Marco Weimer