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santa monica airport martin schaedel Der Flughafen von Santa Monica: Hier stürzte Martin Schaedel am 28. Januar 2009 in den Tod.

Martin Schaedel (1985-2009)

Es ist kurz nach 17 Uhr am 28. Januar 2009, als die kleine, einmotorige Marchetti SF-260C vom Flughafen Santa Monica abhebt. Sie kommt nicht weit. Kurz nach dem Start meldet der Pilot dem Tower: Es gibt ein Problem mit dem Triebwerk. Er will umkehren, eine Landung versuchen. Dann fällt das Triebwerk ganz aus. Die Marchetti fällt vom Himmel. Am Boden geht sie in Flammen auf. Die zwei Männer an Bord überleben nicht.

Zwei Tage später berichtet die Santa Monica Daily Press, dass es sich bei dem Piloten um Paulo Emanuele handelt, einen 46-jährigen Geschäftsmann und Flugzeugliebhaber. Der Name des zweiten Passagiers ist der Zeitung nicht bekannt. Doch in Foren, sozialen Netzwerken und Blogs hat sich da schon längst die Nachricht verbreitet, wessen ungewöhnliches, schillerndes und kurzes Leben an diesem Mittwoch im Januar auf so tragische Weise beendet wurde: Martin Schaedel, 23 Jahre alt, ein schmächtiger blonder Junge aus Schweden, der in so kurzer Zeit wie kaum jemand vor ihm Geld und Ruhm und den Status eines respektierten und geachteten Mitglieds der globalen Tech- und Business-Szene erlangte.

Wer sich heute, fünf Jahre nach seinem Tod, im Netz auf die Suche nach Schaedels Spuren begibt, der stößt schnell auf eine ganze Reihe wohlwollender Charakterisierungen. Er sei „einer der wenigen unabhängigen Denker in unserer Internetwirtschaft“ gewesen, schrieb Gigaom-Gründer Om Malik nach dem Unfall. „Er war ein Junge voller Energie, Träume, Hoffnungen und Rätsel. Er ging auf die größten Unternehmen der Welt zu, 100 Prozent selbstbewusst, und versuchte ihnen zu erklären, was sie als nächstes tun sollten“, erinnert sich Skype-Investor Morten Lund, der mit Schaedel zusammenarbeitete. „Tausende Menschen sind seinem Charme erlegen, viele davon durften ihn ihren Freund nennen“, glaubt Richard Burton, der zum fünften Jahrestag von Martin Schaedels Tod einen umfangreichen Nachruf verfasst hat.

Was hat die Menschen so fasziniert an einem 23-jährigen Gründer? Was erklärt diese Achtung, diese Bewunderung, den Respekt, der ihm entgegenschlug? Wer war Martin Schaedel?

Von Lund nach London

Er wird 1985 geboren, wächst auf in Lund, einer Universitätsstadt in Südschweden. Ungefähr im Alter von zwölf Jahren beginnt er sich für Computer zu interessieren. Erst geht es nur um PC-Spiele. Dafür braucht er schnellere Rechner, aber die sind teuer und die Eltern weigern sich, dafür zu zahlen. „Ich habe ihm gesagt: Du hast selbst die Möglichkeit, Geld zu machen“, erzählt sein Vater später dem New York Observer. „Ich habe versucht, ihm auf spielerische Weise klarzumachen, dass es im Internet einen Markt gibt, den die Leute nicht verstehen, und wo man absurd viel Geld mit einfachen Sachen verdienen kann.“

Schaedel beginnt sich für Online-Marketing und Suchmaschinenoptimierung (SEO) zu interessieren. Er liest alles, was er dazu finden kann, er durchwühlt Expertenforen und Blogs. „Lazerzubb“, wie er dort heißt, macht sich bald einen Namen, weil er die Updates für Googles Suchalgorithmus so schnell wie kein anderer entdeckt.

Er ist 16, als ihn ein Headhunter aus London anruft und ihm einen Job anbietet. Schaedel fliegt hin, aber er sagt ab. Stattdessen stellt er sich bei den drei Unternehmen vor, für die er arbeiten will. Er bekommt den Job, macht sich aber ein Jahr später schon selbständig, launcht die ersten Startups – eine Reiseseite, eine Online-Apotheke – und hat einen Erfolg, der anderen unheimlich ist. „Es gab keine Möglichkeit herauszufinden, wo Martins Traffic herkam“, sagt ein Kollege. „Unsere Server sind regelmäßig fast zusammengebrochen.“ Schaedel wird später erzählen, er habe zu der Zeit 2.000 Dollar am Tag mit SEO verdient.

Bald ist ihm London zu klein, er fliegt um die ganze Welt, wohnt in Schanghai und Tokio, bleibt wochenlang in Hotels und bei den ungezählten Freunden und Partnern, von denen er ständig neue gewinnt. „Martin hatte die verblüffende Fähigkeit, Freundschaften schneller zu schließen als sonst irgendjemand“, erinnert sich der SEO-Experte Brett Tabke.

Einer der richtig guten Freunde wird der Däne Morten Lund. Im Herbst 2005 steigt Martin Schaedel bei dessen VC-Firma LundKenner ein. Für den VC organisiert er zum Beispiel ein Investment in die Reiseseite FareCompare. „Wir haben dann ein oder zwei Millionen Dollar in die Seite gesteckt. Der Wert hat sich spielend verdrei- oder vervierfacht“, sagt Lund. Schaedel sei klüger gewesen „als die meisten Leute, die ich kenne“, einer, der ständig bestehende Strukturen und Verhalten und Muster in Frage stellt. Der Martin Schaedel, den Lund beschreibt, ist ein furchtloser, energiegeladener und bis zur Selbstaufgabe loyaler und großzügiger Jungunternehmer. „Er hat es geliebt, mich zu ärgern, indem er in teuren Restaurants die Rechnung bezahlt hat, wenn ich nicht hinguckte.“

Verhandlungen mit Murdoch, Party mit Hilton

Mit wem er Geschäfte machen will, den kontaktiert er einfach. Irgendwie kommt er an alle ran, er verhandelt mit Rupert Murdoch und bekommt Anrufe von Justin Timberlake. Bald kommandiert er ein globales und weitverzweigtes Netzwerk von Gründern, Investoren, Geschäftspartnern, Freunden. Will er zwei Leute zusammenbringen, schreibt er einfach eine Mail an beide: „TALK“, steht darin. Oder er fliegt um die halbe Welt, um ein Kennenlernen zu organisieren. „Jedes Mal, wenn ich Martin traf, hat er mich mit fünf anderen Leuten, die ich unbedingt kennen lernen müsste, bekannt gemacht“, schreibt der New Yorker Investor Fred Wilson in seinem Blog. Auf Schaedels Flickr-Stream kann man heute noch nachvollziehen, wem er alles mal zum Lunch gegenübersaß, auch deutsche Startup-Größen wie Alexander Samwer oder Lukasz Gadowski sind darunter.

Fred Wilson fällt aber auch auf, dass dieser schlaksige junge Mann ein Getriebener war. „Ich bin nicht sicher, ob er irgendwo lebte. Er war ein VC oder Gründer oder etwas anderes. Er war ein lustiger und mysteriöser Typ.“ In einem Jahr sammelt er fast 100.000 Flugmeilen, er ist mal in der Türkei und mal in Burma, er liebt schnelle Autos, er prahlt auf Twitter mit der Teilnahme an Fashion-Shows von Victoria’s Secret, Einladungen zu Paris Hiltons Geburtstag oder zu Heidi Klums Halloween-Party. „Wie jage ich sie Seal ab?“, fragt er.

Ein anderer Geschäftspartner beschreibt ihn so: „Er war wie ein Charakter aus einem Fitzgerald-Roman, ich weiß nicht, ob Gatsby oder Benjamin Button. Einerseits war er dieser 50-jährige Geschäftsmann im Körper eines 23-Jährigen. Andererseits hatte er diesen Gatsby-Charakter, weil er sich überwiegend selbst erfunden hatte, weil er sich freiwillig mit einer mysteriösen Aura umgab.“ Er sei sich nie ganz sicher gewesen, schreibt ein Blogger, „ob die Geschichten, die er erzählte, wahr oder gelogen waren. Es war egal, er war eine Naturgewalt, oft nervig, oft eingebildet, aber immer voller Ideen, wie er die Welt verbessern würde.“

Vielleicht ist das ein Teil der Antwort. Martin Schaedel hat die Menschen fasziniert und inspiriert – in seiner Rätselhaftigkeit, in seiner Getriebenheit, in seinem Tempo und Cleverness. Er war ein Entrepreneur mit einem beispiellosen Netzwerk – aber er knüpfte die Kontakte offenbar nicht allein um der Geschäfte willen, sondern weil ihn die Menschen dahinter interessierten.

Auch der 28. Januar 2009 zeugt davon, es war ein Tag, den Schaedel wie üblich vollgepackt hatte mit Terminen und Meetings. Um 16 Uhr traf er sich mit dem Investor Derek Norton in Los Angeles. Für 19 Uhr war er mit dem Investmentbanker Michael Montgomery zum Burger essen verabredet.

Zwischendrin aber wollte er noch eine Flugstunde nehmen, mit seinem Freund Paulo Emanuele, dessen rote Marchetti am Flughafen von Santa Monica wartete.

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