Masterhora-Gründerin Marion Kopmann

„Es ist vermessen zu glauben, dass wir das Wissen von gestern nicht mehr brauchen“

Deutschland wird immer älter. Dass die Alterspyramide sich in absehbarer Zeit auf dem Kopf kehren und es mit dem Nachwuchs über kurz oder lang auch an Arbeitskräften fehlen wird, ist nichts Neues. Und: Es gibt mehr und mehr ältere Menschen, die auch über den Ruhestand hinaus gern aktiv wären und ihre Erfahrungen weiter in Gesellschaft und Wirtschaft einbringen möchten.

Marion Kopmann kennt beide Tendenzen: Sie arbeitete als Demografieberaterin für Unternehmen – und hat einen auch im Alter noch sehr aktiven Vater. Der hatte das Glück, einem alten Kollegen wiederzubegegnen, der ihm ermöglichte, auch weiterhin als Ingenieur für Architekturbüros tätig zu sein.

Gemeinsam mit ihrem Mitgründer Andy Sacherer startete Kopmann 2013 in Frankfurt die Plattform Masterhora, die es auch anderen Menschen ermöglichen will, sich im Alter zu engagieren. So könnten gestandene Finanzexperten trotz Ruhestand beispielsweise Startups bei ihrer Finanzplanung beraten. Im Interview spricht Marion Kopmann darüber, weshalb das Wissen von gestern nicht verloren gehen dürfe, wie auch Startups vom Austausch mit Rentnern profitieren – und was das Ganze mit Michael Endes „Momo“ zu tun hat.

Marion, worum geht’s bei Masterhora?

Masterhora ist ein soziales Netzwerk für erfahrene und gut ausgebildete Menschen im rentennahen Alter oder bereits in der Rente. Diese möchten ihre Fähigkeiten und Erfahrungen weiter in die Berufswelt einbringen, sich mit interessanten Kontakten aus ihrer Altersklasse vernetzen und mit der Wirtschaft in Verbindung bleiben. Außerdem sind sie an gesellschaftlichem Engagement und Weiterbildung interessiert. Genau da setzt Masterhora an. Wir sehen, dass in dieser Gruppe extrem viel Wissen und Kompetenz vorhanden ist – und eben auch viel Bereitschaft, dies wieder in die Wirtschaft und in das soziale Leben einzubringen. Wir wollen also diese Menschen nicht nur miteinander vernetzen, sondern nehmen sie auch weiter als professionelle Personen wahr und versorgen sie mit Angeboten für Weiterbildung, Arbeit, Engagement und mit redaktionellen Beiträgen.

Wofür steht der Name Masterhora?

Wer im Laufe seines Lebens beim Lesen über Michael Ende gestolpert ist, der hat wahrscheinlich auch Momo gelesen. Und unser geistiger Pate ist eine Figur aus diesem Buch, der Meister Hora. Er ist der Verwalter der Zeit und ein sehr charmanter, weiser und wissender Charakter. Er ist damit Sinnbild für Alter, Weisheit und Kompetenz, zugleich aber auch für das Thema Flexibilität der Zeit: Er steht also auch dafür, dass man mit seiner Zeit sinnvoll umgeht und sie schlau und flexibel einsetzt. Das sind unsere beiden Botschaften, die wir mit Masterhora gerne transportieren möchten.

Seht ihr euch als Vermittlungsplattform?

Nein, es geht primär um das Teilen von Wissen und Vernetzen mit Kontakten. Wir sind keine Vermittler und es gibt auch keine Vermittlungsprovision oder Ähnliches. Da so aber ein sehr interessanter Pool von Menschen entsteht, kann das natürlich auch für Unternehmen sehr interessant sein – Stichwort Social Recruiting. Unsere Experten lassen sich auf der Plattform über ihre Profile finden. Die können dort zum Beispiel ihre Kenntnisse, Zertifikate und Projekte eintragen. Unternehmen wiederum können Projektideen und Jobs ausschreiben, Kontakt aufnehmen und sich austauschen.

Wie verdient ihr denn Geld über die Plattform?

Wir finanzieren uns ausschließlich durch die Mitgliedsbeiträge. Unsere Experten bezahlen zwölf Euro im Monat. Für Unternehmen gibt es unterschiedliche Mitgliedschaftsmodelle. Sie können für vier Wochen oder auch ein ganzes Jahr Mitglied werden. Wer als Unternehmen für ein Jahr Mitglied ist, bezahlt 150 Euro im Monat und kann unterschiedliche Leistungen von Masterhora in Anspruch nehmen: Experten ansprechen, sich selbst präsentieren, Jobs einstellen, auf Arbeitshilfen zugreifen und so weiter. Außerdem führen wir Veranstaltungen durch und haben Weiterbildungsangebote im Programm. Wie bieten also einen Full-Service-Ansatz und betreiben sehr aktives Community Management.

Bekommt ihr auch finanzielle Unterstützung von Investoren?

Wir haben als Gründer damals zum Start im wahrsten Sinne des Wortes zusammengelegt und waren zunächst komplett privatfinanziert. Jetzt haben wir einen kleinen Kreis von Investoren gefunden, der uns unterstützt und weiter unterstützen will.

Bleiben wir beim Thema Geld. Masterhora-Experten können sich ehrenamtlich engagieren – sich aber durchaus auch etwas dazuverdienen.

Das überlassen wir den Menschen. Wir gehen von einem autonomen Menschenbild aus und glauben, dass Fach- und Führungskräfte, die ein gutes Berufsleben hinter sich haben, selbst entscheiden können, ob sie Geld für ihr Engagement bekommen oder nicht – und wenn ja, wie viel. Wir bauen dabei die Brücke und bringen Leute zusammen, die bisher noch nicht aneinander gedacht haben.

Gutes Stichwort. Gerade ältere Menschen werden auf dem Arbeitsmarkt ja oft vergessen. Wie wird Masterhora bisher von Unternehmen angenommen?

Das stimmt leider, wir denken in unserer Gesellschaft oft noch viel zu sehr in Schemata. Dabei wächst dieser Personenkreis ja jeden Tag ein wenig mehr: Wir werden alle natürlich perspektivisch immer älter, sind dabei aber gesünder, aktiver und gut ausgebildet. Das ist – um sich mal in der Personalsprache auszudrücken – eine unglaubliche Ressource, die bislang noch nicht von vielen wahrgenommen wird. Und das spiegelt sich derzeit auch noch auf unserer Plattform wider: Wir haben (noch) mehr Unternehmen, die aus dem sozialen Bereich kommen oder auch kleinere und mittelständische Unternehmen. Die Größeren fangen jetzt so ganz langsam an, sich dem Thema anzunehmen.

Ihr richtet euch mit eurem Netzwerk auch an Startups.

Startups haben ja die gleichen Herausforderungen wie alle anderen Unternehmen auch: Sie müssen ihre Buchhaltung machen, ihre Angebote schreiben und brauchen eine aussagekräftige und zielgerichtete Kommunikation. Was Startups aber alle nicht haben, ist Geld. Da bietet es sich natürlich an, nicht unbedingt jemanden in Vollzeit zu beschäftigen, sondern sich beispielsweise einen Experten zu suchen, der dann eben einmal die Woche unterstützt oder für ein vierwöchiges Projekt voll dabei ist.

Gerade Startups widmen sich häufig hochinnovativen Tech-Themen. Können Rentner denn da Know-how einbringen?

Sicherlich gibt es auch viele Unternehmen, die sagen: Wir sind so schnell und entwickeln so viel Neues – wir brauchen das alte Wissen nicht. Aber das Gros sieht schon, dass in den nächsten Jahren mit den geburtenstarken Jahrgängen ganze Gruppen von Personen aus dem Berufsleben ausscheiden – und mit ihnen geht eben auch sehr viel Wissen verloren. Damit ist vor allem Erfahrungswissen gemeint, das eben an Menschen gekoppelt ist. Am Ende des Tages baut Wissen immer wieder aufeinander auf. Es ist vermessen zu glauben, dass wir das Wissen von gestern nicht mehr brauchen.

Und interessanterweise sind es gerade junge Unternehmen, die sich gerne in den Austausch mit Älteren begeben. Das sehen wir bei unserem Gründerstammtisch, den wir seit einem Vierteljahr veranstalten und bei dem wir unsere Experten gezielt mit Gründern zusammenbringen. Das läuft richtig gut, da wird gegenseitig sehr voneinander profitiert. Nur die mittlere Generation scheint sich das zum Teil gar nicht so recht vorstellen zu können. Da stecken zum Teil noch alte Vorstellungen in den Köpfen, mit denen muss aufgeräumt werden.

Das ist aber nicht nur eine Mentalitätsfrage, letztlich gibt es doch auch gesetzliche Regeln, die das Arbeiten im Alter erschweren.

Absolut. Vom Kopf her ändert sich gerade auch schon eine Menge. Ich würde mir deshalb sehr wünschen, dass auch ein paar Signale aus der Politik kommen, die deutlicher machen, dass sich Arbeit und Alter nicht gegenseitig ausschließen müssen. Da geht es auch und vor allem um soziale Nachhaltigkeit. Dazu gehört auch, dass wir mit dem Alter anders umgehen und wir somit Wissen und Erfahrung nachhaltig behandeln. Eine Gesellschaft kann es sich heute nicht mehr leisten, viel Geld und Energie in die Ausbildung von Menschen zu investieren, um sie dann ohne Perspektive für das letzte Drittel des Lebens einfach wieder aus dem Prozess zu stoßen.

Was müsste sich ändern?

Also eine ganz wesentliche Forderung lautet, dass die Vereinbarkeit von Rente beziehungsweise Vorruhestand und Arbeit leichter gemacht wird. Und zwar für beide Seiten. Derzeit müssen Unternehmen nämlich volle Sozialabgaben leisten, wenn sie jemanden in der Rente noch beschäftigen. Und den Älteren, die gerne noch ihr Know-how und Fähigkeiten einsetzen möchten, werden auch viele Steine in den Weg gelegt. Wer zum Beispiel eine Beratertätigkeit ausüben will, muss aufpassen, dass er oder sie nicht in die Scheinselbstständigkeit gerät. Da gibt es nach wie vor sehr harte Auflagen. Am größten ist das Problem für diejenigen, die in den Vorruhestand geschickt werden: Diese Gruppe wird richtiggehend dafür bestraft, wenn sie sich zu ihrer oft kleinen Rente noch etwas hinzuverdienen möchte. Da muss also etwas passieren. Man muss den Älteren mehr Mut machen, statt sie durch Abgaben und Auflagen dazu zu zwingen, in der Passivität zu verharren.

Aber nicht jeder Rentner will bis ins hohe Alter weiterarbeiten.

Richtig. Wir haben aber auch keinen totalitären Anspruch. Wir sind ein Unternehmen mit einer ganz bestimmten Idee und sprechen damit ganz bestimmte Leute an. Sicherlich gibt es auch Rentner, die sagen: „Noch weiter arbeiten? Ich habe mein ganzes Leben lang geschuftet, jetzt möchte ich lieber meinen wohlverdienten Ruhestand genießen.“ Das ist dann aber eben auch nicht unsere Klientel.

Marion, danke für das Gespräch!

Bild: Masterhora