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casper Taugen die Matratzen aus dem Netz nichts? Hersteller und Verbände warnen.

Manchmal kann Geld verdienen so einfach sein. „Wir wollten ein Startup gründen“, erinnert sich Jas Bagniewski an jenen Nachmittag in London vor gut zwei Jahren. „Also haben wir geguckt, welches Geschäft hohe Margen bietet und gleichzeitig noch nicht so stark digitalisiert ist“, erklärt der Unternehmer, der schon für einige große Digitalkonzerne wie Rocket Internet, Zalando oder Groupon gearbeitet hat.

Das Ergebnis dieser ungewöhnlichen Recherche: Matratzen. Gesagt, getan. Bagniewski hat eine Firma gegründet und verkauft heute Matratzen – aktuell über 3.800 Stück pro Monat, die meisten davon in England und Deutschland.

Eve Mattress heißt Bagniewskis Unternehmen. Und damit hat er viel vor: „Wir wollen zu den führenden Anbietern in der Branche gehören“, lautet das schlichte wie ehrgeizige Ziel des Unternehmers. Die Konkurrenz ist allerdings groß. Neben etablierten stationären Händlern wie Matratzen Concord oder Dänisches Bettenlager tummeln sich mittlerweile mehrere Dutzend Startups in dem Segment.

Sie heißen zum Beispiel Casper und Emma oder Felix und Brunobett. Und sie alle arbeiten mit ähnlichen Methoden und Versprechen wie Eve. Die neuen Anbieter aus der Internetwelt beraten in Live-Chats, liefern ihre Matratzen kostenlos bis an die Haustür und gewähren ein 100-tägiges Rückgaberecht – ebenfalls kostenlos. Das kommt an. Die Zahl der Kunden jedenfalls steigt rasant, bei gleich mehreren Anbietern ist von monatlich deutlich zweistelligen Wachstumsraten die Rede. Wohl auch, weil der Werbedruck der Neueinsteiger stetig zunimmt. Und das nicht nur im Internet. Die ersten Firmen schalten mittlerweile schon TV-Spots.

Deutsche tauschen alle 13,5 Jahre ihre Matraze

Immerhin winken hohe Einnahmen. Allein der europäische Markt wird auf jährlich neun bis zwölf Milliarden Euro Umsatz geschätzt – je nachdem, wen man fragt. Deutschland spielt dabei angesichts seiner hohen Einwohnerzahl – wie in vielen anderen Branchen auch – eine Hauptrolle. 2015 kamen die heimischen Hersteller laut dem Statistischen Bundesamt auf einen Umsatz von fast einer Milliarde Euro. Und es könnte noch mehr sein.

Denn die Bundesbürger sind vergleichsweise zögerlich beim Austausch ihrer Schlafunterlage: Im Durchschnitt tauschen sie alle 13,5 Jahre die Matratze, heißt es beim Fachverband Matratzenindustrie. Dabei raten Experten zum Wechsel schon nach acht bis zehn Jahren. Doch kaum ein Verbraucher geht gerne ins Matratzengeschäft, belegen Umfragen. Der Grund: Ambiente und Beratung erinnern viele Kunden an Gebrauchtwagenhändler. Passend dazu sei die Preisgestaltung überwiegend intransparent. Und auch sinnvolle Vergleichskriterien fehlen.

„Eine Matratze zu kaufen ist eine der schlechtesten Kundenerfahrungen weltweit“, meint daher Philip Krim, der Gründer von Casper. Schließlich müsse man im Laden Probeliegen, sich dann zwischen etlichen Modellen entscheiden und das sperrige Teil womöglich noch durch das eigene Treppenhaus quetschen. Bislang jedenfalls. Nun muss sich die Branche bewegen und verkrustete Strukturen aufbrechen, sagt Adam Szpyt, langjähriger Matratzenhersteller und derzeit Geschäftsführer vom Versender Bett1.de. „Mehr Wettbewerb ist gut für die Branche.“

Die Matratzen der neuen Anbieter sind allerdings umstritten. Denn im Gegensatz zu den bislang üblichen Marktgepflogenheiten sind sie nicht kundenindividuell auf den Körper des jeweiligen Käufers abgestimmt. Stattdessen gibt es eine Standardmatratze – und zwar für Mann und Frau, dick und dünn, groß und klein gleichermaßen.

„Eine Matratze muss zu Körperbau und Gewicht passen“

„One fits all“, heißen diese Modelle in der Fachsprache. Und die sind für den Fachverband Matratzenindustrie ein Unding. „Bei diesem Geschäftsmodell können Verbraucher nur darauf hoffen, dass sie in eine gewisse Zielgruppenschnittmenge hineinpassen“, ätzt die Organisation in einer Stellungnahme. Mit dem Vertriebsweg Internet habe man kein Problem, versichert eine Sprecherin. Mit der Einheitsmatratze aber sehr wohl.

„Eine Matratze muss zum individuellen Körperbau und Gewicht des betreffenden Menschen passen“, sagt die Verbandsvertreterin. „Damit sowohl die Wirbelsäule gestützt wird als auch Druckstellen und Durchblutungsstörungen verhindert werden.“ Ein Mann mit 100 Kilogramm sinke doch ganz anders ein als eine Frau mit 56 Kilogramm. Dennoch würden beide das gleiche Modell bekommen. Bei Kleidung oder Schuhen funktioniere das ja auch nicht. „Da suchen wir nicht ein Produkt, das allen passt, sondern nach einem Modell, das optimal und möglichst individuell zu uns selbst passt.“

Die Startups sehen das wenig überraschend anders. „Durch eine spezielle Materialzusammensetzung passt sich unsere Matratze jedem Körper an und ist dabei trotzdem punktelastisch“, sagt zum Beispiel Helmut Müller, der Deutschland-Chef von Eve. Er verweist zudem auf die Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Deutscher Rückenschulen – und auf eine geringe Retourenquote. Lediglich fünf Prozent der verschickten Matratzen würden zurückgegeben, weil die Käufer nicht damit zurechtkommen.

Eine objektive Bewertung kommt nun von der Stiftung Warentest – mit dem besseren Ende für die etablierten Anbieter und ihre Varianten. Insgesamt fünf „One fits all“-Matratzen haben die Verbraucherschützer unter die Lupe genommen, überzeugen konnte dabei am Ende lediglich eine. Das Modell Bodyguard von Bett1 bekam mit der Note 1,8 sogar die beste Bewertung, die von der Stiftung Warentest jemals für eine Matratze vergeben wurde.

Die Unterlage von Brunobett dagegen ist den Testern zufolge lediglich „befriedigend“, weil sie für schwere und große Menschen nicht geeignet ist. Die Matratzen von Muun und von Emma erhielten jeweils ein „ausreichend“, weil sie laut den Verbraucherschützern aufwendig in der Handhabung waren, es eine beträchtliche Geruchsbelästigung gab und auch hier große und schwere Menschen Probleme kriegen könnten.

Eve Gruender
Eve Gruender Die Gründer von Eve: James Fryer und Felix Lobkowicz, Kuba Wieczorek und Jas Bagniewski (v.l.)

Ab September werden in Matratzen in Bayern produziert

Noch schlechter war nur noch die Matratze von Eve. „Mangelhaft“ lautet das Testurteil. Die Matratze enthalte hohe Mengen des vermutlich krebserregenden Flammschutzmittels TCPP, heißt es zur Begründung. Außerdem seien die Tester beim Probeliegen in einer Kuhle versunken, aus der sie sich nur „mühsam wieder herauswälzen konnten“.

Eve wehrt sich nun gegen die schwache Bewertung. In Großbritannien, wo das Startup gegründet wurde, sei Brandschutz zwingend vorgeschrieben, heißt es in einer Stellungnahme. „Hintergrund ist, dass Matratzen leicht brennbar sind und vergleichsweise viele Menschen in ihren Betten durch Brand zu Tode kommen.“ Noch dazu existiere nach derzeitigem Kenntnisstand keine wissenschaftliche Studie, die TCPP als karzinogen für den Menschen klassifiziert.

Dennoch reagiert das Unternehmen. Ab September werden die Matratzen für den deutschen Markt auch hierzulande produziert – bei der Firma Frankenstolz in Bayern. Und zwar ohne das Brandschutzmittel. Eine Grundsatzkritik kann sich Geschäftsführer Müller allerdings nicht verkneifen. „Brandschutz spielt bei Tests keine ausreichende Rolle. So musste zum Beispiel ein Fön, der bei Stiftung Warentest Testsieger wurde, vom Markt genommen werden, da er in Flammen aufgehen konnte.“

Noch kein Urteil gab es für Casper. Schließlich sind die Amerikaner erst seit wenigen Wochen auf dem deutschen Markt aktiv. Die Konkurrenz ist deswegen vielfach schon nervös. Immerhin ist Casper in seiner US-Heimat bereits eine gewichtige Nummer im Matratzenmarkt. 2015 lag der Umsatz bei über 100 Millionen Dollar – und das nur zwei Jahre nach dem Marktstart. In Deutschland soll es nun ähnlich rasant vorangehen. 20 Mitarbeiter arbeiten daran im neuen Europa-Hauptquartier am Potsdamer Platz in Berlin. „In den USA haben wir den Markt aufgeweckt und verändert, das planen wir jetzt auch in Europa“, sagt Deutschland-Chef Constantin Eis selbstbewusst.

„Wir wünschen Casper alles Gute auf dem Weg, die Nummer zwei in Deutschland zu werden“

Experten halten diese vollmundige Ankündigung durchaus für realistisch. Denn Casper hat gehörig Power im Rücken. Stattliche 70 Millionen Euro Risikokapital hat das junge Unternehmen aus New York – das 2015 vom Magazin Forbes zu einem der Hottest Startups in den USA gekürt wurde – bereits eingesammelt. Zu den Geldgebern gehören dabei neben Fonds auch Hollywood-Größen wie Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire oder Ashton Kutcher. Sie erzählen dazu noch öffentlichkeitswirksam, wie sie sich betten.

Auch dadurch hat Casper eine simple Matratze mittlerweile mit Glamour versehen und – in den USA jedenfalls – zu einem coolen Produkt gemacht. Casper bietet seine „One fits all“-Matratze in insgesamt sechs Maßen an und verlangt je nach Variante 500 bis 900 Euro und damit weniger als die gewöhnlichen Händler. Begründet wird der Preisabschlag mit der Struktur: „Wir arbeiten ohne Zwischenhändler“, erklärt Eis, der zwar ohne Umschweife die Marktführerschaft anstrebt, dabei aber auch Platz sieht für Wettbewerber. „Der Markt verträgt mehrere große Online-Anbieter.“

Vor allem Eve traut sich dabei eine Hauptrolle zu. „Wir wünschen Casper alles Gute auf dem Weg, die Nummer zwei in Deutschland zu werden“, sagt Gründer Bagniewski – zwar mit einem Augenzwinkern, aber trotzdem durchaus ernst gemeint. „Wir verfügen über die stärkste Finanzierung aller europäischen Startups“, begründet der Unternehmer und verweist auf millionenschwere Finanzierungsrunden in den vergangenen Monaten, etwa von DN Capital und von Octopus Ventures.

Dieses Geld will er nun einsetzen, um sowohl das Produkt als auch die Logistik, den Service und das Marketing zu verbessern. Käufer werden sich dann finden, sagen Branchenexperten. Denn sie trauen den Online-Anbietern tatsächlich eine Art Revolution im Matratzenmarkt zu. Werden aktuell rund fünf Prozent der Matratzen über das Internet gekauft, sollen es schon mittelfristig mehr als 20 Prozent sein.

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Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bilder: Casper, Eve