Kleine Partie Tischkicker zwischendurch? Geht klar!

Dan Lyons ist 52 Jahre alt. Nach mehr als zwei Jahrzehnten als Journalist und Buchautor fängt er ein frisches Kapitel in seinem Leben an. Sein neuer Arbeitgeber ist das US-Startup HubSpot. Inzwischen ist Lyons wieder aus dem Unternehmen ausgeschieden und hat in seinem Buch „Disrupted“, das am 5. April erscheint, seine Eindrücke geschildert, die er in seinen 18 Monaten als Angestellter in der New Economy gesammelt hat.

Dan Lyons

Dabei kommt die Startup-Kultur nicht sehr gut weg. Wenn man es milde ausdrückt. Trotz der vielen altbekannten Klischees macht die Lektüre des Vorabdrucks im Magazin Fortune Spaß. HubSpot dürfte nicht begeistert sein über dieses Buch.

Nicht den Hauch einer Ahnung

Wenn man hier ankommt, schreibt Lyons, fühlt man sich, als ob man auf einer einsamen Insel gelandet ist, auf der die Einwohner seit Jahren in Isolation leben, eigene Regeln, Religion, Sprache, Rituale etabliert haben und sich so ihre eigene Realität geschaffen haben. Die Software-Firma HubSpot betreibt eine Plattform für Marketing.

Lyons einziges Problem: Er hat von Marketing nicht den Hauch einer Ahnung. Das war bei seinen Bewerbungsgesprächen offenbar kein Problem. Im Gegenteil. Auf dem firmeneigenen Blog feiert sich der CMO für seine prominente Neuverpflichtung aus der Medienwelt. Andere Tech-Blogs berichten begeistert über seinen Wechsel.

Sex in der Duschkabine

Auf den ersten Blick wirkt die Firma auf Lyons wie die Montessori-Vorschule seiner Kinder. Leuchtende Farben, viel Spielzeug, gemütliche Sitzecken. Auf einer Kreidetafel steht: „HubSpot = cool“. Der große Konferenzraum ist gleichzeitig ein Spielzimmer mit Tischtennis, Tischkicker, Shuffleboard und Videokonsole. Auf den Gängen sind eine Menge Hunde unterwegs und im ersten Stock kann man seine schmutzige Wäsche abgeben. Es gibt Duschkabinen für die Radfahrer und Jogger. Diese werden hin und wieder als Sexkabinen zweckentfremdet, wenn eine Firmenparty etwas heftiger ausfällt.

Gehirnwäsche für den Job

Bevor es losgeht, muss Lyons die Software lernen, um die es bei HubSpot geht. Dafür sitzt er mit 20 anderen neuen Mitarbeitern in einem kleinen Büro und es fühlt sich für ihn an wie Gehirnwäsche – als ob man einer Kultgemeinde beitreten wolle. Der Ausbilder ist eine Art Prediger und erzählt, dass HubSpot sein Leben geändert hätte. Die Firma führe eine Revolution an und wolle auch das Leben der Kunden verändern.

In Wirklichkeit geht es laut Lyons schlicht darum, den Kunden zu ermöglichen, mehr von ihren Produkten zu verkaufen. Zu den Kunden gehören auch Firmen, die Leute mit Trick-Emails bombardieren. „Online-Marketing mag nicht ganz so schmierig sein wie Porno“, schreibt Lyons, „aber es ist nicht viel besser.“

Wie man solche Trick-Emails schreibt, die Leute dazu bringen, sie zu öffnen, bringt HubSpot Kunden zum Beispiel auf der jährlichen Konferenz „Inbound“ bei. Sie werden nicht als „Spam“, sondern als „loveable marketing content“ bezeichnet. Spam ist das, was die „bösen Jungs“ verschicken. Wir sind die „guten Jungs“, heißt es in der Firma. Dabei ist unser Geschäft ganz einfach, schreibt Lyons: „Kaufe unsere Software und verkaufe mehr Zeug.“

Sei im Super-Get-Shit-Done-Modus!

Auf 168 Slides hat Mitgründer Dharmesh Shah das Grundgesetz von HubSpot zusammengefasst. Mit Weisheiten wie diesen: Das Team ist wichtiger als das Individuum, die Arbeit ist das Leben, HubSpotter sollen Magie erzeugen. Dieser Kultur-Code war ein großer PR-Coup für die Firma und wurde bereits mehr als eine Millionen Mal im Internet angesehen.

Inzwischen schreibt Shah ein Buch über Unternehmenskultur. Der ideale HubSpotter soll jemand sein, der Qualitäten in GSD besitzt. Get Shit Done. Am besten, Du bist de ganze Zeit im Super-GSD-Modus, fordert das Startup von seinen Mitarbeitern.

Startup ohne Produkt

HubSpot begann mit Marketing und Verkaufspersonal, schreibt Lyons. Ein Produkt gab es nicht. Danach musste erst gesucht werden. Ein Freund klärte Lyons auf: „In der Tech-Industrie geht es nicht mehr um ein Produkt. Der Markt bezahlt dafür, dass deine Firma schnell wächst. Du musst nicht profitabel sein, aber sehr schnell skalieren.“ Genau das macht HubSport, sammelte inzwischen Millionen-Investitionen ein und ist an der Börse gelistet. Lyons: „Investoren wollen einen Haufen junger Leute, die darüber reden, die Welt zu verändern. Das verkauft sich gut.“

Hauptsache Freibier und einen Kicker

Warum werden so viele junge Leute beschäftigt? Weil sie billig sind, schreibt Lyons. Und weiter: Gib ihnen Freibier und einen Kicker und tue so, als ob die Arbeit nur ein Spaß sei. Schmeiße Partys und dekoriere die Büros wie bei einem Kindergeburtstag. Das reicht schon.

Dazu musst du noch einen Mythos kreieren, der versucht, die Arbeit irgendwie bedeutungsvoll aussehen zu lassen. Junge Leute brauchen eine Mission, nicht so sehr Geld. Sag ihnen einfach, dass sie etwas Besonderes seien und es schwerer sei, einen Job bei HubSpot zu bekommen, als einen Studienplatz in Harvard. Funktioniert garantiert.

Nach etwas mehr als einem Jahr verlässt Dan Lyons die Firma. Seine Entlassungspapiere hat er nie unterzeichnet.

Dan Lyons: Disrupted – My Misadventure in the Startup Bubble, Hachette Books, 272 Seiten, 19,95 Euro

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