Die englischsprachige Wikipedia hat ein Netzwerk von 381 Konten aufgedeckt, die im Auftrag von zahlenden Kunden Artikel in das Online-Lexikon eingeschleust haben. Das Netzwerk ging dabei äußerst geschickt vor: Um das Vertrauen der Wikipedia-Gemeinschaft zu gewinnen, machten die Konten des Netzwerks zunächst über einen längeren Zeitraum sinnvolle Änderungen an dem Online-Lexikon, an dem jeder mitarbeiten kann.

Auch wirkten die erstellten Artikel nicht auf den ersten Blick wie Werbung, sondern hielten sich auf den ersten Blick an die Wikipedia-Regeln und belegten sogar alle aufgestellten Behauptungen mit Quellenangaben. Laut „Zeit Online“ ist es einer der bisher größten dokumentierten Fälle von organisiertem Missbrauch der Online-Enzyklopädie.

Mit falscher Identität das Vertrauen der Community erschlichen

Das Ziel des Netzwerks war es in erster Linie, Artikel über Möchtegern-Prominente in das Online-Lexikon einzuschleusen, deren Artikel zuvor von der Community als irrelevant abgelehnt wurden, berichten Wikipedia-Administratoren auf einer „Orangemoody“ genannten Sonderseite des Lexikons – nach dem ersten aufgeflogenen Account des Netzwerks.

Derartige Accounts mit falscher Identität werden im Netz auch „Sockenpuppen“ genannt. Diese Sockenpuppen stützten sich dann gegenseitig in Diskussionen und sorgten so dafür, dass die Inhalte der Kunden nicht gelöscht wurden. Sockenpuppen, die sich einmal das Vertrauen der Community erschlichen hatten, konnten dann sogar andere Mitglieder des Netzwerks verifizieren und diese damit weiter legitimierten.

Wikipedias Seriosität wird ausgenutzt

Das Netzwerk suchte gezielt nach abgelehnten Wikipedia-Artikelentwürfen und kontaktierte den vermuteten Autor dahinter. Meist handelte es sich um Artikel über Personen oder Unternehmen, die sich wichtiger nahmen, als sie sind. Diesem wurde dann das Angebot gemacht, dass der Artikel gegen eine Gebühr in einer auf den ersten Blick regelgerechten Version dauerhaft in der Wikipedia bleiben könne.

Für Schutz und Pflege des Artikels wurden weitere Gebühren fällig. Für viele ist das attraktiv: Informationen aus dem Online-Lexikon wirken auf die meisten seriös und werden oft ungeprüft von anderen übernommen.

Aufgeflogen ist das Netzwerk erst dadurch, dass sich Mitglieder gegenüber zahlenden Kunden als Wikipedia-Administratoren ausgaben. Als die Kunden sich dann über offizielle Kontaktadressen der Wikipedia darüber beschwerten, dass einzelne Artikel trotz monatlicher Zahlung dennoch verschwunden waren, flog das Netzwerk auf.

Über eine Analyse der IP-Adressen konnten dann 381 Wikipedia-Konten dem Netzwerk zugeordnet werden. Nach bisherigen Erkenntnissen war kein offizieller Wikipedia-Administrator an dem Netzwerk beteiligt. Bis zur Aufdeckung standen 210 Artikel, die über das Netzwerk eingeschleust wurden, online. Alle wurden nun komplett gelöscht.

Nach Skandalen wurde gehandelt

Die immer wieder gleiche IP-Adresse deutet darauf hin, dass hinter dem Netzwerk eine einzelne Person oder zumindest Firma steht. Möglicherweise gehören noch mehr Accounts zu dem Netzwerk – die Wikipedia-Administratoren konnte nur die Daten von April bis Anfang August auswerten.

Erst im Juli ist in der deutschsprachigen Wikipedia ein ähnliches Netzwerk von Suchmaschinenoptimierern aufgeflogen, das gezielt Links in die Wikipedia eingeschleust hat. Dieses Netzwerk ging aber weit weniger geschickt vor.

Im Juni 2014 hatte die Wikimedia Foundation, die Betreiberin des Online-Lexikons, nach einer Reihe von Skandalen Transparenzpflichten für die PR-Mitarbeit veröffentlicht. Große PR-Firmen hatten sich damals dazu verpflichtet, sich an diese Regeln zu halten.

Dieser Artikel ist zuerst in der Welt erschienen.

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