Die fünf Motius-Gründer Philipp Dörner, Sören Gunia, Zièd Bahrouni, Daniel Weiss und Michael Sauer (von links)
Die fünf Motius-Gründer Philipp Dörner, Sören Gunia, Zièd Bahrouni, Daniel Weiss und Michael Sauer (von links)

Wer in Bayern studiert hat, der weiß, dass sich harte Arbeit und zünftige Mahlzeiten keineswegs ausschließen. Deshalb beginnen beim Münchener Startup Motius viele Geschäfte mit einer herzhaften Brotzeit. „Eine Innovationsbrotzeit“, wie Michael Sauer sich beeilt klarzustellen. „Mit vielen Kunden setzen wir uns vor dem Vertragsabschluss bei Brot, Brezeln und alkoholfreiem Bier zusammen, um zu besprechen, was das beste Produkt oder die beste technische Lösung für sie ist“, führt er aus. Das Treffen ist für den potentiellen Geschäftspartner kostenlos. „In rund drei Viertel der Fälle führt eine solche Innovationsbrotzeit zu einem Auftrag“, sagt Sauer. „Ich denke, diese Quote spricht für sich.“ Doch die eigentliche Arbeit des Startups beginnt erst danach.

Denn Motius ist keineswegs ein Beratungsunternehmen, sondern eine Entwicklerfirma. Ihr Konzept klingt zunächst sehr einfach: Motius findet Lösungen für die Probleme anderer Unternehmen. Je nach Auftrag entwickelt das Startup mit einem Talent Pool aus mehr als 800 jungen Entwicklern für seine Kunden High-Tech-Produkte in den verschiedensten technologischen Bereichen. Zu ihren Auftraggebern gehören Großunternehmen wie BMW, der Energieanbieter innogy oder Microsoft.

Doch warum lösen diese Weltmarken ihre Probleme nicht einfach selbst? Sauer grinst. „Wir sind innovativer“, sagt er. „Und schneller.“ Aber seine Stimme wird schnell wieder ernst, und er holt weit aus, um die Frage ernsthaft zu beantworten. „Während des Studiums haben wir bei unseren eigenen Werkstudentenjobs gemerkt, dass gerade junge Entwickler extrem versiert und gut in neuen Technologien sind“, erzählt der 27-Jährige. „Diese Generation an Entwicklern wächst mit den neuesten Technologien auf, nutzt sie täglich und ist deshalb hochmotiviert, damit auch neue Produkte und Lösungen zu schaffen.“ So kamen die fünf Gründer auf den Gedanken, dieses Wissen zu sammeln und bei Bedarf zusammenzuführen. Damit war das Herzstück von Motius geboren – der interdisziplinäre Talent Pool aus Entwicklern weltweit.

DAS GRÜNDERSZENE-RANKING

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Sauer hat Motius 2013 gemeinsam mit vier Kommilitonen von der TU München gegründet. Seitdem ist der studierte Wirtschaftsingenieur als Business Development Director tätig. Motius besteht heute aus einem Kernteam von 21 festen Mitarbeitern – und eben jenem Talent Pool, dem inzwischen mehr als 800 Entwickler angehören. Zum größten Teil besteht er aus Master-Studenten, aber auch Doktoranden, junge Absolventen oder Bachelor-Studenten sind dabei. Die meisten der Entwickler kommen aus den Fachbereichen Informatik, Maschinenwesen und Elektrotechnik.

Dank des Talent Pools kann Motius für jeden Kunden das maßgeschneiderte Arbeitsteam bilden. „So können wir um einiges schneller, freier und unvoreingenommener neue Produkte und Prototypen entwickeln“, ist sich Sauer sicher. Im Herbst 2017 waren rund 70 Entwickler aus diesem Pool an Kundenprojekten beschäftigt. „In den Strukturen großer Firmen vergehen schnell mal drei Monate bis sich eine Arbeitsgruppe zusammengefunden hat, um ein Problem zu lösen“, sagt Sauer. „Bei uns sind es drei Wochen.“

Auch in Dubai betreibt Motius ein Büro.
In Dubai betreibt Motius ein Vertriebsbüro.

Die Kunden beauftragen Motius mit einem Festpreis für die Problemlösung. Mit diesem Konzept hat das Münchener Startup in den vergangenen Jahren jeweils siebenstellige Umsätze gemacht. Dabei ist Motius bis heute gebootstrapped und eigentümergeführt, noch wurde kein externes Kapital aufgenommen. In der noch jungen Unternehmensgeschichte hat Motius bereits mit einigen Projekten für Aufsehen gesorgt. Anfang 2016 etwa entwickelte Motius einen interaktiven Gebetsteppich, der es leichter machen sollte, muslimische Gebete zu lernen. Dabei werden falsche Bewegungen in einer Art Computerspiel auf einem Bildschirm angezeigt, richtige werden mit Sternchen belohnt. Die Idee kam von einem Religionslehrer im Oman, der Radikalisierung vorbeugen wollte, indem er Religion moderner gestalten wollte.

Auf der Consumer Electric Show in Las Vegas 2017 sorgte der „Holoactive Touch“ für Aufsehen, den Motius für BWM entwickelt hatte. Dabei werden Bedienelemente des Armaturenbretts etwa für Radio, Klimaanlage oder Navigationsgerät als Hologramm vor den Fahrer in die Luft projiziert. Das Besondere: Auch wenn der Fahrer eigentlich nur in die Luft tippt, spürt er bei jedem Knopf einen Widerstand, eine haptische Reaktion.

Auch für Sauer ist der „Holoactive Touch“ ein Highlight. Doch wie entsteht aus einem Pool von mehr als 800 Entwicklern ein solches Produkt? „Man kann sich für unseren Talent Pool bewerben, da gibt es ein stufenweises Aufnahmeverfahren, zu dem auch ein Aufnahmeinterview gehört. Die besten Entwickler werden dann aufgenommen“, erklärt Sauer. „Ist man im Pool, bekommt man Einladungen für Projekte, die zum eigenen Profil passen.“ In den Büros von Motius gibt es Räume für die Entwicklerteams. Auch bei den Innovationsbrotzeiten sind häufig ein oder zwei Experten aus dem Pool dabei. „Aber meist arbeiten die Entwickler remote“, sagt Sauer. Einmal pro Woche gebe es meist einen Tag, an dem das ganze Team zusammen arbeitet. „Ansonsten erfolgt die Kommunikation viel über Skype, Slack und andere Tools.“

Nicht nur der Talent-Pool, auch die Gründer von Motius sind interdisziplinär. Sauer und seine Kollegen Zièd Bahrouni, Sören Gunia, Daniel Weiß und Philipp Dörner haben zwar alle an derselben Universität studiert, jeder allerdings ein anderes Studienfach. So decken sie Kompetenzen von BWL bis Luft- und Raumfahrttechnik ab. Kennengelernt haben sie sich im Qualifizierungsprogramm Manage & More des Gründerzentrums UnternehmerTUM.

Motius
Wachstumsrate: 118%
Gründungsjahr: 2013
Kategorie: Dienstleistung/Analyse
Website: www.motius.de

Schaut man sich in der Welt der Tech-Startups um, steht Motius mit seinem Konzept relativ allein da. Über fehlende Konkurrenz will sich Sauer dennoch nicht beklagen. „Es gibt in jedem einzelnen Bereich, in dem wir tätig sind, Konkurrenz“, stellt er klar. „Bei Projekten für die Automobilindustrie etwa, stehen wir zum Teil mit klassischen Zulieferern im Wettbewerb.“ Der große Unterschied zu allen Konkurrenten sei, dass Motius nach Bedarf unterschiedliche Lösungen aus den neuesten Technologiebereichen anbietet. „Diesen Ansatz gibt es in Deutschland kein zweites Mal.“ Auch weltweit wirbt nur die US-Firma Gigster aus dem Silicon Valley mit einem ähnlichen Konzept. Neben dem Hauptstandort in München am Forschungszentrum in Garching betreibt Motius in Dubai ein Vertriebsbüro. Dort besteht zudem eine Kooperation mit Innogy.

Als zweiten großen Standort in Deutschland wollen Sauer und seine Kollegen ein neues Büro in Stuttgart aufbauen. Warum gerade Stuttgart? „Hier gibt es sowohl große, bekannte Industrieunternehmen als auch unheimlich viele Hidden Champions“, schwärmt Sauer. „Es gibt viel Nachwuchs und in der Umgebung mit Karlsruhe, Reutlingen und Stuttgart gute Universitäten.“

Das neue Büro soll ähnlich wie das Hauptquartier in München funktionieren. Mit festen Mitarbeitern und Räumen zur Kundenbetreuung, vor allem aber mit einem neuen Kundenstamm und neuen Entwicklern für den Talent Pool. Das alles soll aus dem eigenen Cashflow finanziert werden. „Für das kommende Jahr planen wir aber, noch schneller zu wachsen“, blickt der Gründer voraus. „Perspektivisch wollen wir auch die restliche DACH-Region und neben Dubai verschiedene Standorte weltweit erschließen. Dafür würden wir sicherlich externe Finanzierungsmöglichkeiten benötigen.“

Aber erstmal gibt es für die kommenden Monate noch weitere konkrete Vorhaben. „Wir arbeiten derzeit an einem ,Technical Venturing’-Konzept“, führt Sauer aus. „Dabei helfen wir, Tech-Startups schnell auf die Strecke zu bringen.“ Der Clou: Motius und die jeweiligen Entwicklerteams werden erfolgsbasiert an den neu entstehenden Unternehmen beteiligt. Wenn diese Strategie aufgeht, ist Motius bei Expansionsplänen in Zukunft vielleicht gar nicht mehr auf Fremdkapital angewiesen.

Bilder: Motius