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Für mehrere Monate stellte Movinga eine große Hoffnung der Berliner Startup-Szene dar. Anfangs verkündete das junge Umzugsunternehmen, gegründet von den WHU-Absolventen Bastian Knutzen (24) und Chris Maslowski (25), fast schon wöchentlich positive Nachrichten. So gab Movinga Ende August vergangenen Jahres bekannt, dass Earlybird Millionen investiert habe. Gemeinsam mit dem renommierten Berliner VC stiegen auch bekannte Business Angels wie Florian Heinemann, Christian Vollmann, Lukas Brosseder, David Khalil, Felix Swoboda oder Philipp Kreibohm ein. Das rasant wachsende Umzugs-Startup war erst wenige Monate zuvor, Anfang 2015, gestartet, verwies aber schon auf Millionen-Umsätze und war bereits in fünf Ländern aktiv.

Anfang Oktober 2015 verkündete Movinga schließlich, dass die Samwer-Brüder sechs Millionen Euro über den Global Founders Capital investiert hätten. Oliver Samwer ließ sich mit den Worten zitieren: „Wir freuen uns, das Unternehmen bei seinem rasanten Wachstum unterstützen zu können.“ Im November wurde der ehemalige Epic-Chef Finn Hänsel als Co-Geschäftsführer bei Movinga angestellt. Er äußerte sich in einem Interview mit Gründerszene euphorisch: „Ich will dabei helfen, das groß zu machen.“

Das Index-Investment als Ritterschlag

Anfang diesen Jahres dann der vermeintliche Ritterschlag für Movinga: Index Ventures steckte zusammen mit den Altinvestoren 25 Millionen US-Dollar in das Unternehmen. Der europäische Vorzeige-VC hatte sein Geld zuvor in Facebook, Slack, Deliveroo, Etsy oder Soundcloud investiert.

Die Aufregung war groß. Unter anderem das Handelsblatt, die Wirtschaftswoche, das Manager Magazin und Die Welt veröffentlichten ausführliche Berichte über Movinga. Selten zuvor hatte ein junges Startup mit jungen Gründern nach wenigen Monaten so viel Aufmerksamkeit bekommen. Auch wir bei Gründerszene waren beeindruckt von der Erfolgsstory, die Movinga in nur wenigen Monaten hingelegt hatte. Besonders das Index-Ventures-Investment hatte uns überzeugt. Die detaillierten Zahlen kannten wir nicht. Jedoch sind wir wie alle anderen Medien davon ausgegangen, dass insbesondere Index eine knallharte, detaillierte Due-Diligence-Prüfung durchgeführt hatte – und schließlich von den Ergebnissen überzeugt war.

Wieso ist niemandem etwas aufgefallen?

Doch Ende Mai überschlugen sich dann die negativen Ereignisse. Das Manager Magazin berichtete, dass die Staatsanwaltschaft gegen die Movinga-Gründer wegen Dokumentenfälschung ermittele. Im Juni kam heraus, dass die Gründer Knutzen und Maslowski das Unternehmen verlassen müssen, im Juli folgte die Meldung, dass sie ihre gesamten Anteile abgegeben haben. Die 25 Millionen aus der Finanzierungsrunde mit Index sollen sie in nur fünf Monaten verbrannt haben. Ein Viertel der 500 Mitarbeiter musste gehen. Das Startup zog sich aus allen Ländern bis auf Deutschland und Frankreich zurück. Diese Woche wurde nun bekannt, dass die Wachstumszahlen manipuliert waren. Die Investoren wurden offenbar geblendet.

Die Schuldfrage ist noch nicht geklärt. Die Gründer beharren im Gespräch mit dem Handelsblatt darauf, sie hätten alle Zahlen „ ma­xi­mal trans­pa­rent dar­ge­stellt“. Doch wer ist dann für die geschönten Zahlen verantwortlich? Wie konnte das Startup 25 Millionen US-Dollar in nur wenigen Monaten verbrennen? Wieso haben die Investoren nicht reagiert? Haben sie nichts bemerkt oder wollten sie nichts bemerken? Wieso ist Index beim Einstieg Anfang des Jahres nichts aufgefallen? Fragen über Fragen, die wohl erst in den kommenden Monaten geklärt werden.

„Natürlich fragen wir uns alle, wie das sein kann“

Wie so häufig führen offene Fragen zu Gerüchten in der Startup-Szene. Viele machen derzeit die Runde, wenige können verifiziert werden. Wir haben mit Gründern gesprochen, die, wie die Movinga-Gründer, an der WHU studiert haben.

Eine Gründerin sagt: „Es ist ein riesiges Problem, dass der Name WHU immer so prominent erwähnt wird, wenn es um Movinga geht.“ Das WHU-Alumni-Netzwerk werde auch künftig stark bleiben, aber sie selbst müsse jetzt bei Investoren immer argumentieren, dass sie ihr Unternehmen anders als die Movinga-Gründer führe. „Man muss klarstellen, dass man anders eingestellt ist und keine dubiosen Praktiken anwendet, nur um erfolgreich zu sein.“ Gleichzeitig hätten einige ihrer Freunde Mitleid mit den Movinga-Gründern. Sie seien mit Anfang Zwanzig „verbrannt“, wie sie es nennt. Auch sie stellt die Frage nach der Schuld der Lead-Investoren. „Wieso haben die nicht genauer hingeguckt? Unsere Investoren würden spätestens nach zwei Wochen merken, wenn wir zu viel Geld ausgeben.“

Eine Gründerin, die auch an der Privatuni in Vallendar studierte: „Natürlich fragen wir uns alle, wie das sein kann.“ Sie selbst und viele Gründer-Freunde seien vom Movinga-Fall alarmiert. „Alle gucken jetzt noch tiefer rein und setzen lieber auf langsames, nachhaltiges Wachstum. Movinga hat noch mal gezeigt, dass die Prozesse erst einmal funktionieren müssen, damit die Kunden zufrieden sind.“

Einem anderen Gründer, ebenfalls WHU-Absolvent, ist aufgefallen, dass das öffentliche Interesse im Fall Movinga sehr groß war – viele Medien hätten ausführlich über die Einzelheiten berichtet. „Es gab schon immer irgendwelche Fuckups – auch im WHU-Netzwerk. Es ist diesmal nur viel öffentlicher.“ Diese Art von Fällen würden dazu führen, dass Gründer und Investoren jetzt noch genauer hinschauten. „Denn es ist nicht alles Gold, was glänzt.“

„If it’s too good to be true, it’s probably not true.“

Ein Satz, der bei Gesprächen über Movinga häufiger fällt: „If it’s too good to be true, it’s probably not true.“ Diesen Leitspruch hätten sich nun viele wieder ins Gedächtnis geführt, erzählt einer der vielen Business Angels von Movinga. Die Kernfrage sei für ihn, ob das Unvermögen der Gründer beim schnellen Wachstum zum Chaos geführt hätte. Oder möglicherweise doch „Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz“. Eine konkrete Antwort darauf hat auch er nicht.

Er selbst sei nur nebenberuflicher Business Angel, erzählt er. Er habe am Anfang eine kleine Due Dillengence gemacht, sich in den Folgerunden aber auf die Arbeit der Lead-Investoren verlassen. „Eine eigene Due Dillengence in jeder einzelnen Runde zu machen, kann ich mir gar nicht leisten – das würde mich entweder viel Zeit oder Geld kosten“, sagt er. Die anderen Business Angels hätten es ähnlich gehandhabt.

Trotzdem habe er nach Movinga seinen Einsatz als Business Angel abermals überdacht. „Die logische Folge ist für mich, dass ich jetzt weniger Investments als Angel machen und dafür in die einzelnen Deals mehr Zeit stecke“, sagt er. „Das liegt zwar nicht nur an Movinga, aber ich fühle mich dadurch bestärkt in meiner Entscheidung.“

Zweite Chance für Movinga

Die Geschichte von Movinga ist noch nicht zu Ende. Das Management um Geschäftsführer Finn Hänsel wurde durch den Ex-Zalando-Manager Jochen Cassel als CFO und den ehemaligen BCG-Berater Christoph Müller-Guntrum ergänzt. Die Investoren wollen dem Unternehmen eine zweite Chance geben, sie glauben weiterhin an das Geschäftsmodell. Auch die Gründer, gegen die die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen mittlerweile eingestellt hat, arbeiten offenbar schon wieder an einer neuen Idee. Details haben sie aber noch nicht verraten.

Eine WHU-Absolventin plädiert neben ihrer Kritik an den Geschäftspraktiken für Nachsichtigkeit: „Wir betonen in Deutschland immer gerne, dass wir mit dem Thema Scheitern offener umgehen und aus den Fehlern lernen wollen“, sagt sie. „Dann sollten wir das auch im Fall von Movinga tun.“

Grafik von Michel Penke
Bild: Movinga