Noch ist es nicht zu spät! Wir können noch alle in Sicherheit gebracht werden. Geschützt vor all den Firmen, die immer nur das Eine wollen: unsere geheimsten Daten. Da ist zum Beispiel diese Datenschutzgrundverordnung mit ihrer herzzerreissenden Abkürzung EU-DSGVO, die kräftig dabei helfen soll. Und dann wartet da noch die ePrivacy-Verordnung, endlich in Kraft zu treten. Was soll man jetzt tun? Ist das eigentlich schlimm? Muss man sich wirklich damit beschäftigen? Herausforderungen! Da ist es wieder. Diese Verordnungen stellen uns vor „Herausforderung“. Ist das nicht die Neusprech-Chiffre für „Probleme“?

Im Berliner Office des Messengers Wire debattierten jedenfalls vier Menschen, die sich mit diesen „Herausforderungen“ auskennen. 70 Zuhörern wurde zunächst erklärt, dass es mächtige Lobbygruppen gäbe, die etwas gegen diese neuen Regulierungen im Sinne der internet-Nutzer hätten. Das klingt nicht gut, oder? In keinem anderen Land hat das Wort „Lobby“ einen derartig zweifelhaften Klang wie in Deutschland. Seltsam. Man hätte auch von Interessenvertretern sprechen können. Hat man aber nicht. Dass da vier Lobbyisten auf dem Panel saßen, wurde auch nicht weiter erwähnt.

Als Zigaretten noch gesund waren

Schirmherr der Veranstaltung sowie Wire-Mitgründer Alan Duric zum Beispiel. Wenig erstaunlich, dass er eine Lanze für europäische Services bricht. Er will ja schließlich seinen Messenger unter die Leute bringen. Sitz von Wire ist die Schweiz. Das klingt bombensicher. Die Server stehen in der Europäischen Union. Klar. Duric: „Die EU-DSGVO ist eine große Chance für die Wirtschaft und auch Gesellschaft, das Thema digitaler Privatsphäre massentauglich zu machen.“ In der Herausforderung liegt eben immer eine Chance. Dann erklärte er, dass auch das Thema Rauchen heute anders betrachtet wird als noch vor 50 Jahren, als Zigaretten noch als gesund galten. Einen ähnlichen Mentalitätswechsel müsse es auch bei Daten geben, so Duric.

Jan Philipp Albrecht von Bündnis90/Die Grünen und Mitglied des EU-Parlaments, hat sogar an der Verordnung mitgearbeitet. Für ihn geht es nicht nur um Datensicherheit. Nein, er will gleich eine bessere Welt. Albrecht: „Wir betreten eine Welt, wo etwas zu verkaufen wichtiger wird, als ein gutes Produkt zu machen. An den Kunden heranzukommen ist heute wichtiger als das Produkt selber. Aufmerksamkeit ist auch wichtiger als das Produkt. Manchmal wird auch der Kunde verkauft. Nicht das Produkt. Das sind die Zeiten in denen wir leben. (…) Werbung ist der einzige Weg, Geld zu machen, sagen sie. Dieser Weg wird platzen.“

Es müssen neue Grenzen her

Das klingt jetzt nicht gerade nach Verbraucherschutz und mehr Transparenz in Sachen Daten für die Kunden, was uns ja allen am Herzen liegen sollte. Albrecht will andere Produkte und weniger Werbung. Zurück zu den guten Dingen. Startups, die mit Werbung und ihrer Platzierung ihr Geld verdienen haben einfach Pech gehabt. Ihr Geschäft platzt. Da kann man wohl leider nichts machen. Albrecht: „Wir wollen das Produkt zurück. Nicht mehr nur den Verkauf.“ Bumm. 

Außerdem träumt man davon, von Europa aus die Welt zu verändern. Silicon Valley müsse merken, dass es vorbei ist, heißt es. Der wilde Westen sei vorbei. Die Menschen wollten anonym auf die Straße gehen. Und genau in diesem Bereich sollten deutsche Firmen und auch spanische Firmen „den Lead“ übernehmen. Die Staatsgrenzen hätten in der digitalen Welt ausgedient, ist man sich einig. Deshalb müssten neue Grenzen her. EU-Recht soll faktisch weltweit gelten. Sonst hätte das Gesetz keinen Sinn. Das ist wirklich groß gedacht. 

Verordnungen, Gesetze und Strafen. So soll europäischer Datenschutz also betrieben werden. Anders ginge es nicht, beteuerte Wire-Mitgründer Duric: „Es geht offenbar nur mit erheblichen Strafen.“ Was leider nicht diskutiert wurde ist, dass die neuen Verordnungen den Riesen wie Facebook oder Google in die Hände spielen könnte. Schade. Es hätte sich bestimmt ein Interessenvertreter gefunden, der diesen Aspekt gerne erklärt hätte. Professor Klaus Miller von der Goethe-Universität Frankfurt zum Beispiel. Er hat ausgerechnet, dass europäischen Publishern fast 800 Millionen Euro verloren gehen könnten, wenn die ePrivacy-Verordnung wie geplant kommt. 

Nutzer werden in stärkere Systeme getrieben

Oder Florian Heinemann vom Investor Project A. Denn dass die neue Verordnung tatsächlich nur die Privatsphäre der Nutzer schützt, wie ihr Name verspricht, wird von Heinemann bezweifelt: „Die EU will den Datenschutz stärken. Aber sie treibt die Nutzer stärker in Systeme, die sich weniger um Datenschutz kümmern als Unternehmen in der EU“, sagte er gegenüber Gründerszene. „Wahrscheinlich wird die ePrivacy-Verordnung Systeme wie Amazon, Facebook oder Google stärken. Denn diese bieten dem Nutzer einen starken Anreiz zum Einloggen. Nutzer akzeptieren, dass sie irgendwelchen Sachen zustimmen müssen, wenn sie zum Beispiel etwas kaufen wollen.“

Für Startups im Wachstumsprozess würde es dagegen ungleich schwerer, ihre Besucher zur Freigabe der Datennutzung zu bewegen – also dem sogenannten Tracking zuzustimmen. „Die Targeting-Qualität bei Publishern und Adtech-Unternehmen nimmt ab. Man drängt Advertiser also zusätzlich auf die großen amerikanischen Plattformen“, sagt Heinemann. Eine echte Herausforderung, oder? Man hätte sogar über ein echtes Problem diskutieren können. Wenn man es wirklich gewollt hätte.

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Foto: Youtube / Screenshot / Grand Hotel van Cleef